Hamburg. Dentist Amir D. ist wegen Körperverletzung angeklagt. Patienten berichten im Prozess über eklatante Fehlbehandlungen.

Als sie am Donnerstag die Tür ihres Lokals öffnet, steht da ein unbekannter Mann. Sofort schlägt er ihr ins Gesicht und flüchtet. Ein mysteriöser Fall, die Polizei ermittelt.

Am Freitag sitzt Gastronomin Sandra G. im Amtsgericht, Saal 290. Auf der rechten Wange der zierlichen Frau prangen ein Hämatom und eine verschorfte Wunde. Am liebsten hätte sich die 41-Jährige nach der Episode vom Vortag ihren Auftritt als Zeugin gegen den Angeklagten – ihren früheren Zahnarzt – erspart. Auch deshalb, weil ihr Martyrium schon acht Jahre zurückliegt und sie nicht gern daran denkt: an die Schmerzen, die sie nur mit einer „täglichen Riesendosis Tramal“ überstanden habe; an die 35.000 Euro Folgekosten; an die Wurzelbehandlung im gesamten Gebiss. Ihre einst gesunden Zähne seien irreversibel geschädigt, nur „winzige Stümpfe“ übrig. „Ich wollte eigentlich mit alldem abschließen“, sagt sie.

Zeugin Sandra G. vor ihrer Aussage gegen Dr. Amir D.
Zeugin Sandra G. vor ihrer Aussage gegen Dr. Amir D. © HA/Daniel Herder | HA/Daniel Herder

Der Angeklagte, Dr. Amir D., besaß einst drei Praxen in besten Hamburger Lagen, Anfang 2012 rasselte er in die Insolvenz. Inzwischen hat ihm auch die Hamburger Zahnärztekammer die Approbation vorläufig entzogen. Neben Sandra G. berichten drei weitere Patienten von eklatanten Fehlbehandlungen durch den wegen Körperverletzung angeklagten Dentisten. In vier Fällen soll der 54-Jährige, so die Staatsanwaltschaft, medizinisch teils unsinnige Eingriffe ohne die erforderliche Aufklärung fehlerhaft vorgenommen haben.

Einer Frau, die ihn am 24. Dezember 2009 mit Zahnschmerzen aufsuchte, soll er 22 Zähne gezogen haben – ohne Not. Bei 19 Zähnen, so die Anklage, habe keine „medizinische Notwendigkeit“ bestanden. Außerdem habe „unzureichende Hygiene“ beim Ziehen zu Komplikationen geführt.

Bei einem Mann soll er zwölf Zähne durch Implantate ersetzt haben – obgleich dies nur bei acht erforderlich war. Dass der Fall erst jetzt vor Gericht gelandet ist, hat unter anderem mit der Komplexität der Ermittlungen zu tun. Gegen einen Strafbefehl über zehn Monate auf Bewährung und 2000 Euro Geldstrafe hatte Amir D. bereits 2015 Einspruch eingelegt.

Unter Vollnarkose 24 Zähne runtergeschliffen

Sandra G. gerät nach eigenen Angaben im Oktober 2010 auf Empfehlung ihrer Friseurin an die Praxis des Zahnarztes. Vor Dentisten ist ihr nicht bang, und von Amir D. will sie nur eins: einheitlich helle, schönere Zähne. „Er hat mir Kronen empfohlen, da meine Zähne nicht ganz einwandfrei waren“, sagt die 41-Jährige. Zu Verblendschalen, sogenannten Veneers, als milde Alternative zur Aufhellung habe ihr Amir D. nicht geraten. In einem ersten Schritt habe ihr der Arzt unter Vollnarkose 24 Zähne runtergeschliffen – viel zu tief, wie sich später herausstellt. In einem zweiten Schritt sei ihr Gebiss komplett überkront worden.

„Wenig später wackelten zwei Zähne, alle Kronen hatten einen Grünstich, meine Zähne sahen aus wie Stäbchen.“ Sie habe genau das Gegenteil von dem bekommen, was sie wollte. Die zwei Wackelzähne habe der Arzt sodann gezogen und die Kronen auf ihren dringenden Wunsch hin wieder entfernt. „Ich hatte irrsinnige Schmerzen“, berichtet die Zeugin. „Jeder weiß, wie sich ein kaputter Zahn anfühlt, aber wenn alle Zähne angeschnitten sind und die Nerven frei liegen – das schlägt alles.“

Unter den eingesetzten provisorischen Kronen habe sich ihr Zahnfleisch entzündet. Die von Amir D. geforderten 17.000 Euro für die Behandlung habe sie nicht gezahlt. „Wofür auch, für kaputte Zähne?“. Ein anderer Arzt habe ihr neue, gut sitzende Kronen eingesetzt. Weil Amir D. ihre Zähne jedoch viel zu tief abgeschliffen habe, seien ihre Zähne noch wurzelbehandelt worden: „Alle bis auf zwei.“ Auf den Kosten für die Korrektureingriffe in Höhe von 35.000 Euro sei sie bis heute sitzen geblieben.

Eigentlich wollte sie nur ein Implantat einsetzen lassen

Dina A. ist eine weitere Patientin von Amir D. Auch sie wolle „nur ihre Ruhe“, Schmerzen habe sie schon genug, so die Zeugin. Sie habe sich 2009 lediglich ein Implantat einsetzen lassen wollen – woraus nach der ersten Untersuchung drei geworden seien. Ansonsten seien ihre Zähne „völlig gesund“ gewesen. Unter Vollnarkose sei, gegen ihren ausdrücklichen Wunsch, der Großteil ihrer Zähne abgeschliffen und provisorisch überkront worden.

„Die Zähne waren so runtergeschliffen, sie sahen aus wie Mäusezähne. Er hat mir dann versprochen, mein Gebiss wieder in Ordnung zu bringen“, sagt Dina A. Zeitweise sei sie bis zu dreimal pro Woche bei ihm gewesen. Doch die darauf eingesetzten dauerhaften Kronen seien immer wieder herausgefallen. Zudem habe ihr Amir D. nicht, wie gewünscht, Kunststoff-Kronen eingesetzt, sondern, trotz ihrer Nickel-Allergie „so metallische Kronen“, sagt Dina A. „Die billigsten überhaupt.“

Und Zahnarzt Amir D.? Der bestreitet die Vorwürfe. Laut „Bild“ habe er stets nur auf „Wunsch der Patienten“ gehandelt. Der Prozess wird fortgesetzt.