Hamburg. Marcus Weinberg, der als Favorit für die CDU-Spitzenkandidatur zur Bürgerschaftswahl 2020 gilt, soll die Partei öffnen.
Die Hamburger Christdemokraten standen bislang nicht im Verdacht, sich den früheren Ersten Bürgermeister und jetzigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zum Vorbild zu nehmen. In dieser Woche klang es plötzlich anders. „Das hat Olaf Scholz doch auch so gemacht“, sagte ein ranghoher CDU-Politiker und dabei schwang eine gewisse Bewunderung für die Hartnäckigkeit und Unbeirrtheit des Sozialdemokraten mit.
Der Grund für die Verhaltensanleihe beim politischen Gegner: Nachdem das Abendblatt darüber berichtet hatte, dass der Altonaer Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg Favorit für die CDU-Spitzenkandidatur zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 ist, sahen sich die Strategen bei der Union unter Zugzwang gesetzt. Nach Abendblatt-Informationen hat Weinberg inzwischen seine Bereitschaft zur Übernahme der schwierigen Aufgabe erklärt, und der engere Führungszirkel um Parteichef Roland Heintze und Bürgerschafts-Fraktionschef André Trepoll ist sich einig, dass Weinberg der Richtige ist. Nur sagen will man es jetzt noch nicht. Der ursprüngliche Fahrplan zur Präsentation des Spitzenkandidaten – nach den Frühjahrsferien von Mitte März an – soll weiterhin gelten: Das bedeutet eine Hängepartie von rund vier Wochen.
Eine solche Hängepartie hatte Scholz vor gut einem Jahr gespielt, als das zähe Ringen um die Neuauflage der Großen Koalition in die letzte Runde ging. Es pfiffen wahrlich nicht nur die Spatzen in Berlin von den Dächern, dass der Hamburger im neuen Kabinett von Angela Merkel Vizekanzler und Bundesfinanzminister werden würde. Nur Scholz tat, wann immer er gefragt wurde, in stoischer Abgehobenheit so, als ob er von nichts wisse und sich auf viele weitere Jahre als Erster Bürgermeister freue. „Hat ihm doch auch nicht geschadet“, heißt es nun in der Union.
Christdemokraten wollen sich Machtoptionen eröffnen
Dass der Vergleich zwischen Scholz und Weinberg nicht ganz aufgeht, schwant natürlich auch den Christdemokraten. Es geht ihnen schlicht darum, bei der Vorstellung der wichtigsten Personalie nicht als Getriebene zu erscheinen, sondern den Termin selbst zu bestimmen – so weit die Parallele. Im Übrigen soll Weinberg eine glaubwürdige und überzeugende Geschichte von sich erzählen können. Kurzum: Die Vorbereitungen zur großen Präsentation sind einfach noch nicht abgeschlossen.
Und schließlich bleibt noch ein Hintertürchen offen, falls sich plötzlich doch noch eine Überraschungskandidatin auftut, die bereit ist, die Elb-Union aus dem 14-Prozent-Jammertal zu führen, das die Abendblatt-Umfrage Anfang des Jahres ermittelt hatte. Die Union hatte im Herbst 2018 mit der früheren niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan schon einmal eine Frau als Herausforderin von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ins Rennen schicken wollen. Die Hamburgerin Özkan musste bekanntlich aufgrund einer schweren Erkrankung absagen.
Einstweilen ist die strategische Option klar: Weinberg, der der liberalen Strömung seiner Partei angehört, soll die CDU als Koalitionspartner attraktiv machen. Die Christdemokraten benötigen jedenfalls die Ahnung einer Machtoption, um aus dem Keller zu kommen. Dass genau diese Chance fehlte, war einer der zentralen Gründe für die bislang schlimmste Niederlage: jene 15,9 Prozent bei der Bürgerschaftswahl 2015.
Politischer Tiefschlag
Als politischer Tiefschlag ist vielen Christdemokraten in Erinnerung geblieben, wie die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank, mittlerweile Spitzenkandidatin der Grünen für die Bürgerschaftswahl, André Trepoll abfertigte, als er im Sommer des vergangenen Jahres eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP ins Gespräch brachte. Sie finde, so gab Fegebank zu Protokoll, „in der CDU mit André Trepoll einfach keinen interessanten Gesprächspartner“. Das saß. Trepoll wird ein eher konservatives Profil zugeschrieben, und die von ihm geführte Fraktion grenzt sich immer wieder scharf von den Grünen ab.
Weinberg soll nun Brücken bauen. Der Lehrer ist nicht nur ein umgänglicher und kommunikativer Typ. Er verfügt auch über gute Kontakte zu den Grünen, die nicht vergessen haben, dass der Altonaer ein überzeugter Anhänger des schwarz-grünen Bündnisses von 2008 bis 2010 war und sich für die in der CDU ungeliebte Grünen-Idee des längeren gemeinsamen Lernens in die Bresche geworfen hat. In der Union gilt also weiterhin neben Schwarz-Grün, wenn überhaupt wohl eher Grün-Schwarz, ein Jamaika-Bündnis nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins als Option, wenngleich die CDU angesichts des augenblicklichen Höhenflugs der Grünen auch dabei derzeit nur Juniorpartner wäre.
Apropos Juniorpartner: Die Unions-Strategen schließen sogar ein Bündnis mit der SPD in ihr Kalkül ein – viele Jahre von beiden Seiten eigentlich undenkbar in Hamburg. Da erscheint der überraschende Verzicht der SPD auf eine Koalitionsaussage zugunsten des Regierungspartners von den Grünen plötzlich in einem anderem Licht. Auch für die SPD, denen die Grünen in der jüngsten Umfrage schon bedrohlich nahe gerückt sind, könnte die Union ein „billigerer“ Koalitionspartner sein als vor Selbstbewusstsein strotzende Grüne. Weinberg könnte auch hier als Türöffner fungieren, schließlich arbeitet er im Rahmen der Großen Koalition mit Sozialdemokraten zusammen. Während der Koalitionsverhandlungen saß der CDU-Mann mit Sozialsenatorin und SPD-Landeschefin Melanie Leonhard im Arbeitskreis Familienpolitik zusammen.
Ploß könnte nach dem Landesvorsitz greifen
In der Union wird nicht nur über – derzeit doch noch recht ferne – Koalitionsmöglichkeiten diskutiert, sondern auch über die Folgen, die die Spitzenkandidatur Weinbergs haben würde. Der Bundestagsabgeordnete hat deutlich gemacht, dass er im Fall der Fälle sein Mandat niederlegen und sich ganz auf Hamburg konzentrieren würde. Das dürfte auch die Erwartung der Partei sein, in der das Beispiel des Außenpolitikers Norbert Röttgen nicht vergessen ist. Röttgen hatte 2012 als CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen nicht klar gesagt, dass er auch im Falle einer Wahlniederlage der Union von Berlin nach Düsseldorf wechseln würde. Das war ihm als Karrierismus und mangelnde Entschlossenheit ausgelegt worden. Das Wahlergebnis war entspechend.
Sollte die CDU nach der Bürgerschaftswahl in der Opposition bleiben, würde Weinberg wohl zum Fraktionsvorsitzenden gewählt werden. Und was passiert dann mit Amtsinhaber André Trepoll? Ein Wechsel in den Bundestag – gewissermaßen im Tausch mit Weinberg – gilt derzeit als unwahrscheinlich. Aus zwei Gründen: Zum einen scheint es Trepoll selbst nicht wirklich nach Berlin zu ziehen. Zum anderen wäre das Gedränge um die aussichtsreichen Listenplätze mit dem politischen Schwergewicht Trepoll noch größer.
Regulär wird der Bundestag erst 2021 neu gewählt. Aber angesichts des krisengeschüttelten Bündnisses von Union und SPD und immer wieder betonter Absetzbewegungen letzterer kann die Legislaturperiode durchaus auch früher zu Ende gehen. Auch deswegen haben in der Elb-Union längst die Diskussionen über die Listenplätze begonnen.
Gerücht in der Partei
Zum ersten Mal sind die Christdemokraten per Satzung verpflichtet, auf den Positionen eins und zwei einen Mann und eine Frau zu platzieren – die Reihenfolge ist nicht vorgegeben. Es ist wahrscheinlich, dass die Abgeordneten Rüdiger Kruse, Christoph Ploß und Christoph de Vries erneut kandidieren. Als sicher gelten aber nur die ersten vier Plätze. Mit Trepoll wären es dann aber schon fünf Namen – ohne ihn wäre die Lage deutlich entspannter.
In der Partei hält sich das Gerücht, Christoph Ploß, der auch Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Nord ist, könnte das Amt des Landesvorsitzenden anstreben. Das könnte vor allem dann der Fall sein, wenn Parteichef Roland Heintze als Hamburger Spitzenkandidat für die Europawahl im Mai tatsächlich das Ticket nach Brüssel löst. Als Landesvorsitzender hätte Ploß nicht nur das Zugriffsrecht auf Platz eins oder eben zwei der Bundestagsliste, er hätte auch ein entscheidendes Wort bei der Verteilung der weiteren Plätze mitzureden. Auch Ploß’ politisches Vorbild und Vorgänger als Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Nord/Alstertal, Dirk Fischer, war 15 Jahre lang CDU-Landesvorsitzender.