Hamburg. Hamburger Gastronom verstarb im Alter von nur 71 Jahren. Erst im Dezember feierte er noch mit Freunden und Ärzten Geburtstag.
Tief in seinem Inneren wusste Rüdiger Kowalke wohl, dass es die letzte Chance war für eine große Sause. Also lud er im Dezember 2017 zu seinem 70. Geburtstag 70 Freunde in sein zweites Wohnzimmer ein, das Fischereihafen Restaurant. Und sie kamen alle, ob HSV-Legende Uwe Seeler, die Entertainer Otto Waalkes, Jörg Knör und Mike Krüger und der frühere Sportreporter Dieter Kürten. Aber auch etliche Ärzte saßen an der langen festlich geschmückten Tafel wie Professor Wolfgang Teichmann, ohne den er „längst nicht mehr hier wäre“, wie es Kowalke damals formulierte.
Statt Geschenken wünschte er sich eine Spende zugunsten der Stiftung des früheren Tennisprofis Michael Stich, der sich mit einer berührenden Rede beim Jubilar bedankte. Es war ein fröhlicher, beschwingter Abend, ganz so, wie es sich Rüdiger Kowalke erhofft hatte.
Krebs hatte die Macht übernommen
Ein Jahr später, als Kowalke erneut zu seinem Geburtstag in seinen Gourmettempel lud, fand die Feier nur noch im kleinen Kreis statt. Der Krebs, den er seit 2009 immer wieder hatte wegscheuchen können, hatte endgültig die Macht in seinem Körper übernommen. Für einen Abend durfte Kowalke das Uni-Klinikum verlassen, wo er seine Strahlenbehandlung über sich ergehen lassen musste. Vergebens. Die Metastasen hatten sich im ganz Körper breitgemacht, also entschloss er sich, die letzten Wochen und Tage zu Hause in seiner Wohnung in Blankenese zu verbringen. Dort schlief er am Sonnabend friedlich ein, in den Armen seiner Ehefrau Susanne.
„Bewundernswert, wie tapfer mein Vater die Krankheit in den vergangenen Jahren gemeistert hat und immer noch ein Lächeln für die Gäste übrig hatte“, sagte Dirk Kowalke am Sonntag. Zwei-, dreimal pro Woche kam Rüdiger Kowalke bis zum Ende meist gegen Mittag in das Restaurant, schüttelte Hände, plauderte – und kontrolliert die Speisekarte.
Kluger Menschenfänger
Charmanter Einschmeichler, kluger Menschenfänger, das war der gebürtige Lübecker, wenn es ums Geschäft ging. Als er Ende 1980 die heruntergekommenen Räume in der Großen Elbstraße das erste Mal betrat, standen in der schmuddeligen Gegend noch viele Dutzend Prostituierte. Doch Kowalke erkannte sofort: „Hier ist goldener Boden.“ Wenige Wochen später lud er alle Concierges der bedeutendsten Hotels zum Essen ein. Die Marketingmaßnahme gelang und wirkt sich bis heute aus: Ein Drittel des abendlichen Publikums kommt aus den Hamburger Hotels.
Der Durchbruch gelang 1982, als Stardirigent Leonard Bernstein und sein Orchester um Mitternacht noch Hunger verspürten. Am nächsten Tag titelten die Zeitungen: „Ein neuer Stern am Hamburger Fischmarkt.“ Als unbezahlbarer Marketingerfolg entpuppte sich auch sein (unentgeltliches) Mitwirken als Hauptdarsteller in einem Werbesport für „American Express“.
Helmut Kohl und Prinzessin Diana als Gäste
Kowalke stieg schnell zum „Fischpapst“ auf, Spitzenpolitiker wie Angela Merkel und Helmut Kohl, das Prinzenpaar Diana und Charles und viel Showgrößen, sie alle genossen Räucheraal auf Rührei – eine seiner Spezialitäten –, Steinbutt oder auch einfach nur Pannfisch. Denn die Preise stiegen nicht mit dem Bekanntheitsgrad des Fischereihafen Restaurants. Bis heute ist das Publikum, das seine traditionellen, aber auch international angehauchten Gerichte genießt, bunt gemischt.
Kowalke arbeitete und arbeitete. „Meine Hosen liefen allein durchs Lokal“, erinnerte er sich in der „Zeit“ daran, wie Stress und Hektik anstiegen und sein Gewicht drastisch zurückging. Wenn die Müdigkeit hochstieg, gab es Mokka und Cola. Oder umgekehrt.
Kein Mann für halbe Sachen
Die Konsequenzen seines Pensums mit durchgedrücktem Gaspedal auf der Überholspor bekam Kowalke erstmals mit 40 Jahren zu spüren: Augeninfarkt, ausgelöst durch eine verkalkte Herzklappe. Doch mit halber Kraft die Gäste glücklich machen? Nein, keine Option. Also weiter.
Mindestens genauso wichtig wie die (bezahlbare) Qualität seiner Produkte waren Kowalke jedoch stets der freundliche, perfekte Service, der in all den Jahren für eine fast familiäre Atmosphäre sorgte – was nicht nur daran lag, dass viele der 25 Köche und rund 50 Mitarbeiter seit vielen Jahren hier arbeiten, sondern auch daran lag, dass mindestens immer ein Mitglied der Familie im Restaurant anwesend ist.
Sohn Dirk führt die Geschäfte
Schon 1997 übertrug Rüdiger Kowalke seinem Sohn Dirk die operative Verantwortung des Geschäfts, auch wenn er als Berater nie die Bindung verlor. Nachdem er seine zweite Ehefrau Susanne 1999 geheiratet hatte, gehörte auch sie fortan wie selbstverständlich zum Inventar. „Die gute Seele des Hauses“ nannte Rüdiger Kowalke sie stets liebevoll. Auch Susannes Sohn Benny, ein Strahlemann, ist längst in den Restaurantbetrieb fest integriert.
Sie alle müssen nun gemeinsam das Lebenswerk von Rüdiger Kowalke weiterführen. Und sie werden es. Am Sonntag war das Fischereihafen Restaurant geöffnet. Wie an jedem Tag im Jahr.