Hamburg. Chef des Verbands der Wohnungsunternehmen im Norden machte mit Kampfgeist und Menschenfänger-Qualitäten Karriere.
An einem wolkenverhangenen Sonntag im Oktober 2002 erfährt die Karriere eines Referenten im schleswig-holsteinischen Innenministerium ihren entscheidenden Schub. In der Stichwahl um das Amt des Rendsburger Bürgermeisters tritt Andreas Breitner für die SPD als krasser Außenseiter an. Als die Stimmen ausgezählt sind, verlässt der hoch favorisierte Kontrahent der CDU mit Tränen das Rathaus. Sein 35-jähriger Herausforderer feiert dagegen mit einem Vorsprung von 143 Stimmen seinen Triumph in der 30.000-Einwohner-Stadt.
Mehr als 16 Jahre später sitzt der Sieger von einst entspannt am Konferenztisch seines Büros. Der Zweckbau in einem Gewerbegebiet an der Tangstedter Landstraße steht in einem eigentümlichen Kontrast zur Machtfülle seiner Organisation. Breitner (51) führt seit 2014 als Direktor den Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Die 359 Mitgliedsunternehmen verwalten 732.000 Wohnungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Wer Wohnungspolitik im Norden der Republik macht, kommt an Breitner nicht vorbei.
Der Sprung an die Verwaltungsspitze in Rendsburg zeigte, wie Andreas Breitner tickt. Der gebürtige Kieler, aufgewachsen in Dänisch Nienhof, Fan des Fußball-Zweitligisten Holstein Kiel, ist selbstbewusst genug, um eine scheinbar aussichtslose Mission zu übernehmen – vor ihm hatten vier Genossen mangels Siegchancen abgelehnt. Breitner geht ungewöhnliche Wege: „Mich kannte in Rendsburg niemand, die örtliche Zeitung hat nur über meinen Kontrahenten geschrieben, also musste ich von Haus zu Haus gehen, um mich vorzustellen.“ Er kann sich quälen für ein großes Ziel – im achtwöchigen Rendsburger Wahlkampf klingelte er an 12.000 Türen. Und er handelt parteiübergreifend, wenn es der Sache dient: Ausgerechnet sein gescheiterter CDU-Rivale wurde sein Stellvertreter. Acht Jahre später gewann Breitner die Wahl mit 87,1 Prozent.
Breitner hat Menschenfänger-Qualitäten
Ohne Menschenfänger-Qualitäten kann so etwas nicht gelingen. Breitner hat dieses Talent: Er geht auf Menschen zu, unbefangen, offen, neugierig. Bei geselligen Abenden nach Verbandstagungen plaudert er offen über die große und kleine Politik. Zuweilen erzählt er auch von seinem größten sportlichen Erfolg, dem Sieg im 50-Meter-Lauf gegen den Ex-Zehnkämpfer Frank Busemann. Bei einer Sportabzeichen-Abnahme in Travemünde rannte er dem früheren Weltklasse-Athleten davon. Breitner profitierte von seiner Fitness als Fahrradfahrer und seiner Küstenkenntnis: Im Gegensatz zu Busemann lief Breitner nämlich barfuß – was am Strand definitiv die bessere Wahl war.
Wer ihn mit seinem fast jungenhaften Charme erlebt, unterschätzt leicht eine andere Eigenschaft, ohne die man es weder in der Politik noch im Verbandswesen an die Spitze schafft: Breitner scheut keine Konflikte, mitunter sucht er sie geradezu. Anders wäre sein Karrieresprung vom Bürgermeister zum Innenminister Schleswig-Holsteins auch kaum erklärbar. Als Ralf Stegner, schleswig-holsteinischer Spitzengenosse aus dem linken SPD-Lager, 2010 erklärte, er wolle wieder für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren, traf sich Breitner mit Torsten Albig, damals Kieler Oberbürgermeister. Sie waren sich schnell einig, das Stegner der falsche Mann sei. Breitner ermunterte Albig zu einem Mitgliederentscheid. Albig gewann klar, wurde 2012 Ministerpräsident – und machte Breitner zum Innenminister.
In nur zwei Jahren im Kabinett erwarb sich Breitner dann den Ruf des „aufmüpfigen Genossen von der Küste“ („Die Welt“). Stegner, als Fraktionschef Breitner in herzlicher Abneigung verbunden, forderte vom neuen Innenminister, ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPD umzusetzen: Schluss mit der Lizenzvergabe für Glücksspiel-Anbieter. Breitner lehnte ab, es gebe dafür keine Gesetzesgrundlage. Die Fraktionssitzung geriet für den Innenminister zunächst zu einem Tribunal. „Am Schluss stand aber die Mehrheit der SPD-Abgeordneten hinter mir“, sagt Breitner. Worauf Rivale Stegner nach Worten gerungen habe. Und dann, so erinnert es Breitner, sagte: „Andreas, du bist so sonnig.“
„Ich habe eine gewisse Furchtlosigkeit“
Diese Charakterisierung ist so falsch nicht. „Ich habe eine gewisse Furchtlosigkeit“, sagt Breitner: „Ich denke bei Konflikten nicht zu lange darüber nach, wer alles beleidigt oder enttäuscht sein könnte.“ Er vertrete lediglich das, wovon er überzeugt sei: „Das ist meine Richtschnur.“ In der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung trat er dem grünen Koalitionspartner mächtig auf die Füße, als er Gegner dieser Datensammlung „zynisch und menschenverachtend“ nannte. Man brauche dieses Instrument, um etwa nach Sexualstraftätern zu fahnden.
Breitner konnte dies einschätzen, schließlich gehörte er fast zehn Jahre zur Polizei. Als Polizeibeamter studierte er, brachte es bis zum Verwaltungsfachwirt. Breitner lehrte Verkehrserziehung und beriet Bürger, wie sie sich vor Einbrüchen schützen können. In dieser Zeit, sagt er, habe er gelernt, ohne Scheu vor Gruppen zu sprechen. Aber Breitner führte eben auch Einsatz-Hundertschaften bei Fußballspielen, im Schanzenviertel und beim Schutz von Asylbewerberheimen.
Politiker dieses Typs werden gern authentisch genannt, in Berlin gilt dies derzeit als die beste Wahlkämpfer-Währung. Der Aufstieg der Grünen verbindet sich vor allem mit Parteichef Robert Habeck: selbstsicher, charismatisch, machtbewusst, zuweilen unbequem. Eigenschaften, die auch Breitner vereint. Allerdings hat der die Tür zur politischen Bühne vor mehr als vier Jahren mit einem Knall zugeschlagen.
Rücktritt als Minister erschütterte die Partei
Sommer 2014: Der Innenminister Breitner fremdelt nach zwei Amtsjahren mehr und mehr mit seiner Rolle. Statt wie in Rendsburg auf dem kurzen Dienstweg entscheiden zu können, muss er als Experte in Hinterzimmern Genossen überzeugen, warum die Polizei Distanzwaffen braucht. Zu schaffen macht ihm auch, dass er kaum noch Zeit für seine Frau und die drei Kinder hat, das Amt lässt wenig Raum für Privates. Breitner will dennoch – genau wie in seiner Zeit als Rendsburger Amtschef – die Bürger mitnehmen. Also plaudert er weiter aus dem Nähkästchen, um Zusammenhänge zu erklären. Und sorgt sich jeden Tag, dass vertrauliche Informationen in den Medien landen könnten.
Genau in dieser Phase bekommt er ein Angebot aus der Wohnungswirtschaft. Ob er sich vorstellen könne, zum VNW zu wechseln. Der Direktoren-Job klingt reizvoll, wirtschaftlich lukrativ obendrein. Breitner sagt zu – und weiht nicht einmal seinen Ministerpräsidenten ein. Sein Rücktritt am 25. September 2014 erschüttert seine Partei. In seiner Erklärung heißt es: „Mein öffentliches Amt ist mit meiner Familie nicht oder nur schwer vereinbar. Im Kabinett bin ich ersetzbar. In der Familie nicht.“
Besonders SPD-Landeschef Ralf Stegner tobt, auch Albig reagiert angesäuert. Der Zeitpunkt für den Rücktritt sei „denkbar ungünstig“, erklärt er, zudem hätte er sich gewünscht, dass sein Innenminister ihn früher über die laufenden Vertragsverhandlungen unterrichtet hätte. War der damalige Kurs wirklich richtig? Breitner bejaht diese Frage, er habe damals in Sachen Verschwiegenheit nicht anders handeln können. Informationen seien in der Politik eine kostbare Ware. Und ein vorzeitiges Ausplaudern hätte den neuen Job gefährdet.
Kompetenz und Einsatz
Bereut, sagt Breitner, habe er den Wechsel zur Wohnungswirtschaft nie: „Diese Arbeit macht mir nach wie vor sehr großen Spaß.“ Die Verbandsmitglieder schätzen seine Kompetenz und seinen Einsatz – Breitner tourt jedes Jahr etwa 80.000 Kilometer kreuz und quer durch den Norden. Zudem kann es für einen Verband nie schaden, wenn der Chef politisch exzellent vernetzt ist: Beim VNW-Managementforum im Januar sprach in Travemünde der frühere Außenminister Sigmar Gabriel.
Vor allem aber legt sich Breitner mit jedem an, der aus Verbandssicht in der Wohnungspolitik falschliegt. Viele seiner Pressemitteilungen bergen Zündstoff, da Breitner auch in seiner neuen Funktion seine Vorliebe für knackige, schlagzeilenträchtige Aussagen pflegt. Dabei nimmt er keinerlei Rücksicht auf seine Partei. Als jüngst Pläne der SPD bekannt wurden, Mietsteigerungen auf Höhe der Inflationsrate zu deckeln, konterte Breitner: „Was dem Rechtspopulisten die Flüchtlingspolitik ist, scheint dem Linkspopulisten die Wohnungsfrage zu werden.“ Über seine eigene Partei sagt er: „Ich habe inzwischen Angst, dass ich meinen Kindern irgendwann erklären muss, was die SPD für eine große und wichtige Partei war.“
Könnte der Verbandschef in die Rolle eines Hoffnungsträgers der kriselnden Nord-SPD schlüpfen? Schließlich gibt es auch um Gabriel Comeback-Gerüchte. Breitner schüttelt den Kopf: „Das kann ich mir nicht mehr vorstellen.“ Dann packt er seine Aktentasche und fährt zu seiner Familie nach Rendsburg. In seine Stadt. In der alles begann.
Nächste Woche: Jan Pörksen, Staatsrat und Chef der Senatskanzlei