Hamburg. Wenn das Vergessen zum Alltag wird: Am UKE klärten zwei Wissenschaftler über Risikofaktoren für Demenz und Vorbeugung auf.
Der Autoschlüssel scheint vom Erdboden verschluckt, der Name einer Kollegin fällt einem gerade nicht ein, man steht in einem Raum und wollte dort eigentlich – ja, was noch mal tun? Solche Situationen und die Sorge vor einer krankhaften Ursache treiben viele Menschen um, wie sich bei der jüngsten Veranstaltung an der Gesundheitsakademie des Uniklinikums Eppendorf (UKE) zeigte. „Nur vergesslich oder schon dement?“ war der Vortrag überschrieben, den mehr als 600 Besucher hören wollten, sodass die Klinik neben dem Hörsaal zwei weitere Räume öffnen und vor der Tür sogar interessierte Hamburger abweisen musste, die keine Karte ergattert hatten.
Demenz sei inzwischen ein „riesiges Problem“, sagte Christian Gerloff, Leiter der Klinik für Neurologie am UKE. Ihm zufolge leiden etwa 1,2 Millionen Menschen in Deutschland unter einer Demenz, wobei 60 Prozent von der Alzheimer-Krankheit betroffen sind. Die allermeisten Demenz-Erkrankungen treten bei Menschen über 65 auf. Die Häufigkeit der Erkrankungen verdoppelt sich alle fünf Lebensjahre.
Schwierigkeiten bei der Planung
Damit Mediziner eine Demenz diagnostizieren, müsse Patienten allerdings mehr passieren, als dass sie hin und wieder den Schlüssel verlegen, sagte Gerloff. Wie der Professor erläuterte, nimmt bei den Betroffenen nicht nur das Gedächtnis ab, sondern es verschlechtert sich zunächst mindestens eine weitere kognitive Fähigkeit: So lässt etwa das Denkvermögen nach oder das Sprechen fällt schwerer, Planungen können größere Mühe bereiten als früher oder der Erkrankte erkennt Gegenstände nicht mehr.
Zudem kann etwa die Fähigkeit schwinden, sich zu beherrschen oder der Antrieb kann nachlassen. Halten solche Symptome mindestens sechs Monate an, spreche das für eine Demenz, sagte Gerloff. Typisch für Alzheimer sei, dass es neben Gedächtnisverlusten zu Orientierungsstörungen komme.
Viele Forscher nehmen an, dass Alzheimer insbesondere durch falsch gefaltete Eiweiße im Gehirn entsteht, die sich als Klumpen zwischen den Nervenzellen ansammeln und die Nervenenden bei der Signalübertragung stören. Diese gefährliche Variante der sogenannten Amyloid-Beta-Proteine könnte sich mithilfe von Antikörpern auflösen lassen, so die Hoffnung von Pharmafirmen und Ärzten – bisher ließ sich das in Studien aber nicht bestätigen.
Eine weitere Rolle für die Entstehung von Alzheimer spielen wohl abnorm veränderte sogenannten Tau-Proteine, die schädliche Ablagerungen innerhalb der Nervenzellen bilden. Die genaue Ursache von Alzheimer ist allerdings auch mehr als 100 Jahre nach der Entdeckung der Krankheit unbekannt.
Hilfreich ist alles, was die Gefäße schont
Als zweithäufigste Demenzform hierzulande gilt die vaskuläre Demenz. Sie entsteht durch Durchblutungsstörungen im Gehirn. Als Risikofaktoren für diese Erkrankung ebenso wie für Alzheimer gelten Krankheiten, die Stress für die Gefäße bedeuten, vor allem Bluthochdruck, Diabetes und Fettleibigkeit (Adipositas) sowie dauerhaft stark erhöhte Cholesterinwerte, wie Gerloff erläuterte. Sein Rat an die Zuhörer: „Schonen Sie ihre Gefäße.“
Was der Gesundheit unserer Gefäße dient und damit das Risiko für einen kognitiven Abbau und eine Demenz verringern kann, erklärte Jürgen Gallinat, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKE. Ihm zufolge sind etwa 14 Prozent aller Alzheimer-Fälle auf das Rauchen zurückzuführen, das auch ein Risikofaktor für die vaskuläre Demenz ist. Ein kompletter Verzicht auf Zigaretten sei deshalb ratsam, sagte der Professor.
Für Alkohol gelte, dass ein regelmäßiger starker Konsum eindeutig dem Gehirn schade und eine Demenz begünstigen könne. Ob dies auch für einen geringen regelmäßigen Alkoholkonsum gilt oder ob dieser sogar eine schützende Wirkung haben kann, sei umstritten, sagte Gallinat.
Eindeutig sehr wichtig für die Prävention von Demenz sei genügend Bewegung. Was „genügend“ bedeutet? „Fragen Sie Ihre Frau, ob Sie sich genügend bewegen – und umgekehrt“, sagte Gallinat und sorgte damit für Heiterkeit auf den Rängen.
Rat zur körperlichen Bewegung
Körperliche Bewegung hält im übrigen auch das Gehirn auf Trab. Apropos: Es gebe durch allerlei elektronische Helfer leider die Tendenz, viele geistige Aufgaben auszugliedern, sagte Gallinat. Der Psychiater rät zum Gehirntraining: „Verzichten Sie zum Beispiel beim Autofahren auch mal auf das Navi“, sagte er. „Wer sein Gehirn oft nutzt, hat mehr davon.“
Laut Gallinat verringert auch eine maßvolle Ernährung mit Gemüse, Früchten, Pflanzenölen, Fisch, Geflügel, Vollkorn- und Milchprodukten das Risiko für einen kognitiven Abbau und für Demenz.
Alle genannten Maßnahmen zur Prävention – Verzicht aufs Rauchen, wenig Alkohol, regelmäßiges körperliches und geistiges Training, ausgewogene Ernährung – können Studien zufolge auch bei der Therapie einer Demenz helfen und zumindest das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, wie Gallinat sagte. Auch Medikamente können eine Verschlechterung der Hirnfunktion zeitweise verzögern. Das Absterben der Nervenzellen verhindern die derzeit erhältlichen Arzneien jedoch nicht. „Wir haben hier wenig Substanzielles vorzuweisen“, sagte Gallinat.
Verhaltensstörungen gut therapierbar
Vergleichsweise gut therapieren ließen sich meist die mit einer Demenz einhergehenden Verhaltensstörungen wie Unruhe, Enthemmung, Aggression und Nahrungsverweigerung, weil diese häufig eine behandelbare Ursache hätten, etwa Schmerzen, die durch eine Blasenentzündung oder unerkannte Knochenbrüche entstehen, sagte Gallinat.
Immens wichtig sei es für Pfleger und Angehörige, einen „defizitorientierten Umgang“ mit Betroffenen zu vermeiden, so der Psychiater. Immer wieder auf Schwächen hingewiesen zu werden, könne für Frust und Aggressionen sorgen. Vielmehr müsse das Motto im Umgang mit Demenzkranken lauten: „Stärken fördern!“
Wegen der großen Nachfrage wird die Gesundheitsakademie fortgesetzt. Der nächste Vortrag findet am 1. April ab 18.30 Uhr statt. Das Thema: „Nur Rücken oder doch Parkinson? – Anzeichen, Ursachen & Therapie“. Ticket pro Veranstaltung: 10 Euro (zzgl. Gebühren). Partner ist das Abendblatt. Karten gibt es in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32 (Mo–Fr 9 bis 19 Uhr, Sa 10–16 Uhr) und bei der Abendblatt-Ticket-Hotline: 040/30 30 98 98. Veranstaltungsort: UKE, Gebäude N55, Martinistr. 52. Mehr Informationen unter: www.gesundheitsakademie-uke.de