Hamburg. Marvin B. (26) hat seinem Betreuer erzählt, einen Ikea-Kunden (22) niedergestochen zu haben. Heute steht er vor dem Richter.
Die Gefahr ist gebannt: Zwei Tage nach dem Messerangriff bei Ikea in Schnelsen hat die Polizei einen 26 Jahre alten Mann festgenommen, der die Tat begangen haben soll. Er hatte sich vorher seinem Betreuer offenbart. Dieser informierte dann die Polizei.
Aus Kreisen der Sicherheitsbehörden hieß es, der Rahlstedter Marvin B. sei bislang nicht im Zusammenhang mit Straftaten aufgefallen. Allerdings soll er psychisch auffällig gewesen sein.
Festnahme beendet Albtraum der Sicherheitsbehörden
Große Erleichterung auch bei der Polizei: Ein Messerstecher, der wahllos und ohne erkennbaren Anlass an einem belebten Ort auf Menschen losgeht und jederzeit wieder zuschlagen könnte, gilt als Albtraum der Sicherheitsbehörden. Genau das war am Sonnabend gegen 18 Uhr bei Ikea passiert. Kurz hinter den Kassen, zwischen dem Schweden-Shop und dem Ausgang, hatte sich Marvin B. offenbar von hinten dem 22-Jährigen genähert, der mit seiner Freundin einkaufen gewesen war. Dann rammte er dem jungen Mann ein Messer in den Rücken. Niemand realisierte das Verbrechen. Selbst der 22-Jährige dachte, er sei lediglich hart angerempelt worden. Kurz darauf aber brach er zusammen. Im Krankenhaus wurde er notoperiert.
Die Mordkommission hatte zunächst keine Hinweise auf den Täter. Es gab keine Zeugen. Die Polizei konnte nur ein paar Videoaufnahmen von schlechter Qualität sichern, die zeigen, wie der Messerstecher in Richtung Mitarbeiterparkplatz rennt. Auch die Vernehmung des Opfers nach der Notoperation brachte keine Anhaltspunkte auf den Täter oder ein Motiv.
Am Morgen der erlösende Anruf
Am Montagmorgen dann der Anruf bei der Polizei. Der Betreuer des 26-Jährige gab an, dass der Mann ihm gegenüber die Tat eingeräumt habe. Polizisten fuhren zur Praxis des Betreuers in Bergstedt. Dort wurde Marvin B. von einer Peterwagenbesatzung der Wache Poppenbüttel „unspektakulär“, wie es bei der Polizei heißt, festgenommen und ins Polizeipräsidium gebracht.
Am Nachmittag wurde er von Beamten der Mordkommission vernommen. Der 26-Jährige, so hieß es, lasse sich anwaltlich vertreten und habe keine Aussage gemacht. Gleichzeitig wurde seine Wohnung in Rahlstedt durchsucht. Ob dort belastende Beweisstücke gefunden wurde, wurde gestern nicht bekannt. Heute soll Marvin B. dem Haftrichter vorgeführt werden. „Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, haben wir es offenbar mit einer Tat zu tun, die potenziell jeden hätte treffen können“, sagt Polizeisprecher Timo Zill.
Schon die zweite Attacke eines psychisch Gestörten
In Hamburg ist es bereits die zweite Tat in diesem Jahr, bei der ein offenbar psychisch gestörter Täter Menschen in Tötungsabsicht attackierte. Anfang Januar war eine 53-Jährige in Langenhorn von ihrem Nachbarn angegriffen, in ihre Wohnung gedrängt und dort beinahe erschlagen worden, weil der Mann sie für den „Satan“ hielt. Polizisten, von Nachbarn alarmiert, retteten die Frau.
Im vergangenen Jahr sorgte der tödliche Angriff auf Behördenmitarbeiter in Eißendorf für Schlagzeilen. Ein Mann, der in die Psychiatrie eingewiesen werden sollte, übergoss in seiner Wohnung zwei Mitarbeiter des sogenannten Zuführungsdienstes der Stadt mit einem Brandbeschleuniger und zündete sie an. Ein 50 Jahre alter Beamter starb, sein 59 Jahre alter Kollege wurde schwer verletzt. Tim D. hatte zuvor nicht als gefährlich gegolten. Als die Beamten mit seinem Betreuer anrückten, verschanzte er sich jedoch plötzlich in seiner Küche, als diese die Tür öffnen wollten. Als er die Männer anzündete, wurde er selbst von den Flammen erfasst und sprang aus dem Fenster der Wohnung im dritten Stock. Tim D. überlebte. Inzwischen befindet er sich in der forensischen Psychiatrie der Asklepios-Klinik in Ochsenzoll.
„Aktenzeichen XY ...“ brachte keine lösung
Auch der bis heute unaufgeklärte Mord an dem 16 Jahre alten Schüler Viktor E., der im Oktober 2016 unterhalb der Kennedybrücke vor den Augen seiner Freundin mit einem Messer attackiert wurde, könnte, so eine Hypothese der Polizei, von einem geistig verwirrten Täter getötet worden sein. Die Polizei hatte nach der Tat mit großem Aufwand ermittelt. Unter anderem waren mehrere Tausend Ärzte angeschrieben worden. Bundesweit wurde der Fall in der ZDF-Fahndungssendung „Aktenzeichen XY ...“ aufgerollt. Bis heute haben die Ermittler allerdings keinen Hinweis auf den Täter oder ein Motiv.
Die Behörden gehen mittlerweile beim Umgang mit psychisch gestörten Menschen, die eingewiesen werden sollen, auf „Nummer sicher“. Erst vor wenigen Tagen wurde das SEK gerufen, um einen 41-Jährigen in Gewahrsam zu nehmen, für den ein Unterbringungsbeschluss vorlag.
Störungen wachsen oft jahre lang im Verborgenen
Offiziell heißt es, dass trotz mehrerer Hundert Zwangseinweisungen pro Jahr schwere Übergriffe sehr selten seien. Die Mitarbeiter des Zuführdienstes werden geschult, wie sie sich in Konfliktsituationen am besten verhalten. Gelten Personen als gefährlich, wird die Polizei hinzugerufen.
Doch ein Risiko bleibt immer. Forensische Psychiater weisen darauf hin, dass sich bei manchen Menschen entsprechende Störungen oft jahre- oder jahrzehntelang aufbauen, bevor es plötzlich zu einer Gewalttat kommt.