Hamburg. Hamburger Hotel zählt zu besten Adressen der Stadt. Gerade erst wurde es unter die Top 50 der besten Luxusherbergen der Welt gewählt.
6.30 Uhr: Nils Korth schaut noch etwas müde aus den Augen. Da können Anzug und Krawatte noch so gut sitzen. 6.30 Uhr ist 6.30 Uhr. Aber an seinem Arbeitsplatz an der Rezeption ist ohnehin noch nicht viel los. Zeit für eine kurze Übergabe von der Nachtschicht. War alles ruhig. 70 Anreisen und 60 Abreisen stehen an. Auch VIP-Gäste sind dabei. Wer? Leider top geheim. Nur so viel: Ein bekannter Fußballer wird heute einchecken. Dass er sich bei Korth an der Rezeption blicken lässt, ist dennoch unwahrscheinlich. „Meistens lassen die VIP-Gäste einchecken.“ Nach der Übergabe steht fest: Das wird ein ziemlich normaler Hoteltag. Ein Glück. Denn der Concierge ist krank, und Korth muss mit übernehmen. Aber dass der Concierge für einen arabischen Scheich eine ganze Kuhherde besorgen und verfrachten muss, kommt zum Glück dann doch eher selten vor. Heute bleibt es vorerst bei einem „besonders schönen Blumenstrauß“, den ein Gast seiner Frau schenken möchte.
8.30 Uhr: Silvia Ruhs Blicke fliegen durch den Saal. Sind alle Tische richtig eingedeckt? Muss irgendwo nachgeschenkt werden? Ist das Büfett hübsch angerichtet? Seit neun Jahren ist sie die Herrin des Frühstücks im Café Condi. Ruh nimmt alle Gäste in Empfang und platziert sie. Dass einige von ihnen ein Headset tragen und mit einem Ohr schon im Büro sind – ganz normal. Die Frühstücksklassiker? Kaffee, Eierspeisen, auch Smoothies laufen gut. Aber wer lieber Miso-Suppe schlürft, bekommt auch die. Oder drei Spiegeleier, aber nur mit Eigelb, wie es neulich ein Gast bestellt hat.
9 Uhr: Sechs Torten, 60 Törtchen. Gute Bilanz nach vier Stunden Arbeit. So lange ist hier heute schon Hochbetrieb in der hauseigenen Patisserie. Aber Rebecca Schreiber, die Patisserie-Leiterin, ist ja zum Glück nicht allein hier. Ihre Kolleginnen verzieren gerade Feingebäck, das später beim Fünf-Uhr-Tee serviert wird. Viel Zeit zum Plaudern ist nicht. Die süßen Willkommensgrüße müssen noch fertig werden und auf die Zimmer gebracht werden.
9.30 Uhr: Ein prunkvoller Saal, hohe Decken, eine kronleuchterähnliche Lampe und eine lange Tafel, die sich langsam füllt. Zeit fürs Morning-Meeting aller Abteilungschefs. Mit dabei auch Hoteldirektor Ingo C. Peters. Abkürzungen, Fachjargon, Interna – aber dazwischen immer wieder auch Verständliches: Die Empfangsleiterin verliest alle 70 Anreisenden mit Namen und eventuellen Besonderheiten, etwa Allergiker-Bettwäsche oder Transferwünsche. Es folgen einige Berichte vom Vortag, darunter eine Beschwerde, weil das Zimmer keinen Alsterblick hatte. Konnte geändert werden, und eine Flasche Champagner gab es auch noch als Entschuldigung. Weiter: Liegen die König-der-Löwen-Karten für die guten Kunden vor? Und wann trifft der Stammgast ein, der heute zum 253. Mal im Haus ist? Direktor Peters möchte ihn unbedingt persönlich begrüßen.
10.25 Uhr: Hoteldirektor Peters schaut auf seine Uhr. Beziehungsweise eine seiner beiden Uhren. Die mit dem Schrittzähler. „3069 Schritte bis jetzt“, sagt er. „10.000 sollten es schon noch werden.“ Das wird wohl kein Problem werden. Wie jeden Tag wird er gleich erst mal seinen Rundgang durchs Haus starten. „Die Mannschaft auf Strecke bringen.“ Ansonsten: normal voller Tag. Etliche Meetings, ein Außer-Haus-Essen, dazwischen besondere Gäste in Empfang nehmen, Präsenz zeigen. Wenn nichts mehr dazwischenkommt, könnte es heute sogar mit seinem liebsten Abendtermin klappen: einer Joggingrunde um die Alster.
11 Uhr: Strelitzien, Alstroemeria, Ginster, Rosen, Lisianthus, Schneeball-Blume, Guernseylilien. Floristin Ute Stock zupft den XXL-Strauß noch etwas zurecht und scheint zufrieden. Der „besonders schöne Strauß“, den der Gast bestellt hat, wäre dann fertig. Wert: etwa 200 Euro. Ob auch mal Kunstblumen verwendet werden? Was für eine Frage ... Natürlich nicht.
12 Uhr: Noch ist im Nikkei Nine, dem japanisch-südamerikanischen Restaurant alles frei. Das wird sich gleich ändern. 50 bis 60 Lunchgäste erwartet Executive Chef Benjamin Dayag heute zum „Business Lunch“. Das meiste ist vorbereitet. Der „Ramen“ , eine asiatische Suppe, dampft im Topf. In einem anderen schmoren Kalbsknochen, im nächsten Teriyaki. Kann losgehen.
14 Uhr: Zimmer 132, Standard-Twin-bed-Zimmer, Blick zum Innenhof, Eigentlich ist das Zimmer bezugsfertig. Aber Hausdame Ulrike Kroll geht lieber noch mal alles ab. Wurde nichts übersehen? Gehen alle Glühlampen? Ist die Raumtemperatur angenehm? Kroll ist seit vielen Jahren dabei, kennt jedes Zimmer. Ob auch schon mal verwüstete Hotelzimmer dabei waren? „Kommt hin und wieder mal vor“, sagt Kroll. Aber auch auf „einen besonderen Lebensstil“ sei man im Zweifel eingestellt. Der würde dann eben in Rechnung gestellt werden. Gestohlen würde nur selten etwas. Große Ausnahme: „Einmal war plötzlich der Fernseher weg.“ Angesichts der Zoll-Größe eine beachtliche Aktion.
16 Uhr: Vivien Redeker hat den hauseigenen Kalligrafie-Wettbewerb gewonnen. Also den inoffiziellen. Was zur Folge hatte, dass sie nun täglich Karten schreiben muss. Redeker, 28 Jahre alt, durch und durch gepflegt, akkurate Steckfrisur, ist die persönliche Assistentin des Hoteldirektors, der es sich nicht nehmen lässt, besondere Gäste mit persönlichen Worten zu begrüßen. Aber da nicht nur der Inhalt zählt, sondern auch der liebevolle Schwung mit der Feder des Montblanc-Füllers, sitzt Redeker nun da und schreibt: Lieber Herr ....
17 Uhr: „Chef der Wohnhalle“ klingt zu formal für das, was Andreas Winkels eigentlich ist. Er nennt sich ohnehin lieber „Maitre“, und so sieht er auch aus mit seinem Anzug, der Krawatte und dem gestärkten Hemd. Sein Hauptmetier: der Fünf-Uhr-Tee. 28 Teesorten stehen zur Auswahl – und zu jeder kennt Winkels eine Geschichte. Geschichten kennt er aber auch, abgesehen vom Tee, nahezu unendlich viele. Seit 25 Jahren arbeitet er hier in der Wohnhalle zwischen Kamin, Ölgemälden, schweren Vorhängen, antiken Sesseln und einem goldenen Tee-Samowar. Winkels kennt hier fast jeden, Stammgäste, Personal, aber auch viele Hamburger, die die Wohnhalle regelmäßig als zweites Wohnzimmer nutzen. Nie langweilig geworden? Winkels schüttelt den Kopf und brüht – eher untypisch – einen Kamillentee für Tisch fünf auf. Preis: 9,50 Euro.
18 Uhr: Zwei Michelin-Sterne, 19 Gault-Millau-Punkte, um nur mal zwei Auszeichnungen des Haerlin zu nennen. Noch 30 Minuten bis zur Öffnung. In der Küche ist alles in Bewegung. Mittendrin Sous-Chef Tobias Günther. Der werkelt gerade an einer Maschine herum, die dampft und zischt. So viel Zeit muss sein: Was ist das? Auflösung: Eine Stickstoff-Kühlung. Mit der stellt er heute Sauerrahm-Wodka-Perlen her. Andere Küchengeräte sind zum Glück einfacher zu erklären. Zum Beispiel der Thermomix, der gleich in dreifacher Ausführung vorhanden ist. Thermomix in der Sterneküche? Günther versichert: „Der soll uns nicht das Kochen abnehmen, aber das Mixen.“
21 Uhr: Andreas Ruks hat für vieles Verständnis. Muss er als Barkeeper wohl auch. „Dass einem mal das Herz ausgeschüttet wird, gehört zum Job dazu.“ Seit zehn Jahren steht Ruks hier in der Jahreszeiten Bar im Erdgeschoss des Hotels hinter dem Tresen – nach eigenen Angaben übrigens Hamburgs kleinste Bar. Ruks serviert Drinks aller Art, exquisite Whiskeys, Rumsorten und Cocktails, die so schöne Namen tragen wie „Last word“. Heute geht bisher vor allen Dingen Bier über den Tresen. Sowieso kommt die Bar überraschend rustikal daher. Und sogar rauchen darf man dort noch. Auf rund 21 Quadratmetern glimmen sechs Zigaretten.
Keine Beschwerden? „Fast nie“, sagt Ruks. „Nur wenn es rappelvoll ist und der Rauch auf den Flur zieht.“ Aber das komme, wenn überhaupt, eher zu einer deutlich späteren Stunde vor. Nur für Zigarren und Pfeifen gibt es eine „Sperrstunde“ bis 22 Uhr. Wovon Ruks nichts hält: Barkeeper, die sich inszenieren, als ob sie auf einer Bühne stehen würden – wie es heute in modernen Bars manchmal üblich sei. „Dieses ganze Gewese, die großen Gesten, die Hosenträger. Das braucht doch keiner“, sagt er. „Lieber bodenständig und die Gesinnung eines Gastgebers.“ Last Word.
21.37 Uhr: Direktor Ingo C. Peters schaut wieder auf die Uhr. 23.185 Schritte. Nach der Alsterrunde, versteht sich. Die hat ihn wie immer wieder auch vor dem Vier Jahreszeiten entlanggeführt. Dort sind die Arbeiten noch in vollem Gang, und auch der nächste Tag wirft seine Schatten voraus: 53 Anreisen, 106 Zimmer belegt, Auslastung: 72,6 Prozent. Wieder ein ganz normaler Tag im Grandhotel.