Hamburg. Die Hansestadt gehöre mittlerweile zu den letzten Metropolen ohne ein computerbasiertes Instrument der Planung, bemängeln Kritiker.
Als gäbe es in Hamburg nicht angesichts von Staurekorden und einem überlasteten Hauptbahnhof bereits genug Verkehrsprobleme: Es verzögert sich auch noch die Fertigstellung eines der wichtigsten Instrumente zur Verkehrsplanung. Das 2015 vom Senat beim Ingenieurbüro IVV in Auftrag gegebenen Verkehrsmodell, das bereits 2017 in Betrieb hätte gehen sollen, wird nun frühestens im Sommer 2019 fertig sein. Und die ursprünglich kalkulierten Kosten steigen nach aktueller Rechnung um etwa 80.000 auf 1,27 Millionen Euro. Das hat die zuständige Verkehrsbehörde dem Abendblatt bestätigt.
Computergestützte Verkehrsmodelle können anhand umfassender Datenerhebungen und Rechenprozesse die Verkehrsentwicklung in größeren und kleineren Räumen berechnen und für die Zukunft prognostizieren. Sie sind daher ein wichtiges Instrument der Verkehrsplanung. Die Opposition hatte immer mal wieder kritisiert, dass Hamburg, anders als die meisten anderen Metropolen, immer noch kein eigenes Verkehrsmodell besitze.
Der früherer Staatsrat der damaligen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Christian Maaß (Grüne), hat nun kürzlich bei Twitter darauf hingewiesen, dass Hamburg 2018 „als wohl einzige deutsche Metropole noch immer kein Verkehrsmodell“ für die Planung nutzte. Seine Behörde habe zu schwarz-grünen Zeiten bereits 2009 „im strategischen Lärmaktionsplan die Vergabe eines Verkehrsmodells vorgesehen und ein Jahr später Geld dafür bereitgestellt“, so Maaß. Dann aber sei die Koalition zerbrochen.
Hochkomplexe Aufgabe
Erst seit 2015 werde wieder daran gearbeitet, schreibt der frühere Staatsrat Maaß. „Bis zur Fertigstellung heißt es: Verkehrsplanung wie in den Siebzigern mit Stecknadeln auf Karten und Bauchgefühl. Statt digitaler Prognosemodelle gibt’s Verkehrspolitik im Blindflug. Wieso haben die Nachfolgesenate so lange die Vergabe verzögert?“
Wirtschafts- und Verkehrsbehörden-Sprecher Christian Füldner betont dagegen, die Technik der Verkehrsplanung sei voll auf der Höhe der Zeit. „Stecknadeln und Karteikarten, das war gestern“, so Füldner. Dass sich das erst 2015 beauftragte Modell nun auch noch um zwei Jahre verzögert, erklärt der Sprecher so: „Der Aufbau eines Verkehrsmodells ist eine hochkomplexe Aufgabe, die viele Schnittstellen erzeugt und dessen Funktionsfähigkeit und Qualität stark von der vorhandenen Datengüte abhängt.“
Verkehrsnachfragemodelle wie das Hamburger Modell schätzten die reale Verkehrsnachfrage „auf der Basis von Strukturdaten (Einwohner, Erwerbstätige, Schulplätze etc.) und dem spezifischen Mobilitätsverhalten verschiedener Personengruppen (in Abhängigkeit z. B. vom Alter, Erwerbstätigkeit, Pkw-Verfügbarkeit, ÖPNV-Zeitkartenbesitz)“, so Füldner. „Diese Daten, wie auch zahlreiche weitere, sind in hoher Differenzierung aufzubereiten, um ein möglichst hochwertiges Abbild des Verkehrsgeschehens zu erhalten.“
Umfangreiche Datenaufbereitung
Die Verzögerung ergebe sich „zum einen durch die sehr umfangreiche Datenaufbereitung“, so Füldner. „Der Arbeitsaufwand hat sich auch durch die Kalibrierung, also die Eichung des Verkehrsmodells, erhöht. Das ist sehr anspruchsvoll und nimmt derzeit mehr Zeit in Anspruch als erwartet.“ Aus all dem ergebe sich auch der Kostenanstieg, sagte der Sprecher. „Es wurde aufwendiger als erwartet. Bestimmte Themen haben sich verfeinert, zum Beispiel war die Metropolregion anfangs nicht so fein dargestellt wie sie es jetzt sein wird.“
Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD) betonte derweil, „dass das Verkehrsmodell ein (weiteres) Instrument für die Planung von Projekten der Verkehrsinfrastruktur ist, aber kein Instrument der Baustellenkoordinierung“. Dafür nutze die Stadt das System ROADS (Roadwork Administration and Decision System).
Auch Kritik von der Linken
Die Verspätung und Verteuerung des Projekts stößt auch bei der Linken auf Kritik. „Bisher ist das Verkehrsmodell nur geeignet als Beispiel für jahrelange Verzögerung“, sagt deren Verkehrspolitikerin Heike Sudmann – und fragt: „Ist die Geburt so schwer, weil das Kind nicht erwünscht ist?“ Mit einem guten Verkehrsmodell sei es „schwer, eine neue fortschrittliche Verkehrspolitik zu verzögern“, so Sudmann. „Wie viel Autoverkehr ist notwendig, wie kann der Straßenraum besser genutzt werden für umweltfreundlichen Verkehr, welche Vorteile bringt Tempo 30 flächendeckend? Die Antworten aus dem Verkehrsmodell würden zu einer anderen Verkehrspolitik führen.“
Der Grünen-Verkehrspolitiker Martin Bill sagte, angesichts der „komplexen Aufgabe“ seien die Probleme und Verzögerungen zwar nachvollziehbar. „Andererseits würde uns das Verkehrsmodell bei unseren Planungen sehr weiterhelfen“, so Bill. „Bisher können wir bei strittigen Planungen wie der Elbchaussee oder der Langenhorner Chaussee nur durch ein sogenanntes Ameisenmodell modellieren, was eine neue Verkehrsführung für den bisher dort fließenden Verkehr bedeutet. Wie sich der Verkehr entwickeln wird, können wir nicht abbilden. Das ist aber die entscheidende Frage, wenn wir Straßen umbauen.“