Hamburg. Zahl der Obdachlosen in Hamburg hat sich im vergangenen Jahrzehnt fast verdoppelt. Jetzt wird um Gegenmaßnahmen gestritten.

Die Zahl der Obdachlosen in Hamburg hat sich von 2009 bis 2018 fast verdoppelt, von 1029 auf 1910 Personen. Diese Zahl hatte der Senat bereits im Oktober bekannt gegeben. Doch die Debatte, wie mit dem Phänomen umzugehen ist, setzte erst am Freitag ein – nachdem der Senat nunmehr die gesamte, fast 200 Seiten lange Studie über Obdachlosigkeit in Hamburg veröffentlicht hat.

Die Wohlfahrtsverbände nahmen das zum Anlass, vom Senat deutlich mehr Engagement gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit zu fordern. „Auf Hamburgs Straßen leben heute fast doppelt so viele Menschen wie vor neun Jahren. Das zeigt doch leider, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nur begrenzt wirken“, sagt Sandra Berkling von der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW).

Mehr Wohnungen für Obdachlose

Stephan Nagel vom Diakonischen Werk sagte: „Man kann nicht weitermachen wie bisher, der Senat muss jetzt handeln.“ Der Schlüssel liege im Zugang zu erschwinglichen Wohnungen. „Es wird sehr viel gebaut, auch Sozialwohnungen – aber selbst zu diesen Wohnungen haben Menschen, die aus der Obdachlosigkeit kommen, kaum Zugang“, so Berkling. Nagel schlug vor, dass die Saga, die bislang rund 1000 wohnungslosen Haushalten eine Unterkunft bietet, diese Zahl verdoppelt.

Auch die Beratung von Wohnungslosen sowie die Präventionsarbeit müsse gestärkt werden, denn ein Viertel der Betroffenen verliere seine Wohnung in Folge von Kündigungen oder Räumungen. Die Fachstellen für Wohnungsnotfälle in den Bezirken leisteten gute Arbeit, müssten aber gestärkt werden, so Nagel.

Christine Tügel vom Paritätischen Wohlfahrtsverband wies darauf hin, dass zwei Drittel der Obdachlosen aus dem Ausland kämen und von ihnen wiederum gut 70 Prozent auf der Suche nach Arbeit in Hamburg gestrandet seien. Die Stadt sollte diese Menschen unterstützen, eine Arbeit zu finden. Berkling schlug vor, günstige „ Arbeitnehmerpensionen“ für Arbeitsmigranten zu schaffen, damit diese Menschen nicht auf der Straße landen.

Zahl der deutschen Obdachlosen gesunken

Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) betonte, dass die Zahl der deutschen Obdachlosen sowohl relativ (von 70 auf 36 Prozent) als auch absolut (von rund 720 auf etwa 680) gesunken sei. „Der Rückgang bei der Zahl der deutschen Obdachlosen zeigt: Unsere jahrelange Präventionsarbeit und die vielen unternommenen Anstrengungen greifen“, sagt sie dem Abendblatt. „Wir sind froh über jeden einzelnen Vermittlungserfolg, mit dem es gelingt, Menschen von der Straße ins Hilfesystem oder die eigene Wohnung zu bringen“, so Leonhard.

Das Problem sieht sie eher in den vielen Menschen aus Osteuropa, die auf der Suche nach Arbeit nach Hamburg kommen und dann auf der Straße landen – sie machen inzwischen rund 40 Prozent der Obdachlosen aus. Denn staatliche Hilfsangebote für diese Gruppe würden das Grundprinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU gefährden. Das beruht nämlich darauf, dass jeder EU-Bürger in einem anderen EU-Land Arbeit suchen darf, aber zunächst kein Recht auf staatliche Unterstützung hat. Dennoch wolle der Senat nun gemeinsam mit den „Akteuren des Hilfesystems“ nach Lösungen suchen, wie diesen Menschen geholfen werden kann, sagte Leonhard.

Der Linken-Bürgerschaftsfraktion reicht das nicht. Die sozialpolitische Sprecherin Cansu Özdemir forderte den Senat auf, "langfristig mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und die Reintegration voranzutreiben, kurzfristig ausreichend finanzielle Mittel bereitzustellen, um das Hilfesystem und die Präventionsarbeit zu stärken. Auch die obdachlosen Menschen ohne Leistungsansprüche müssen in den Fokus genommen werden, und es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die weitere Ausbeutung und Verelendung zu unterbinden."