Hamburg. Von dem Hamburger Straßenmagazin werden nur noch 67.000 Exemplare pro Monat verkauft. Doch es gibt auch gute Aussichten.

Gerade hat das Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ seinen 25. Geburtstag gefeiert. Der größte Wunsch zum Jubiläum: dass es das gedruckte Heft noch möglichst lange geben möge. Denn die Auflage schwindet. Wurden im Januar 1994, also wenige Wochen nach Erscheinen der ersten Ausgabe am 6. November 1993, insgesamt 180.000 Exemplare auf Hamburgs Straßen verkauft, waren es im November dieses Jahres gerade noch 67.000.

Das seien immerhin 4000 mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres, sagt Chefredakteurin Birgit Müller hoffnungsvoll. „Wir versuchen alles, um unser Heft noch attraktiver zu gestalten und die Leser zu halten.“

„Auch uns fehlen die jungen Leser“

Doch der starke Rückgang der Auflage sei nicht schönzureden, die viel zitierte Printkrise habe längst auch das Hamburger Straßenmagazin erreicht. „Wie vielen anderen Zeitungen fehlen auch uns die jungen Leser. Die kaufen einfach nichts mehr auf Papier“, sagt Birgit Müller, während sie in dem Redaktionsraum an der Altstädter Twiete vor der Wand mit den Druckfahnen des aktuellen Hefts steht.

Doch anders als andere Medienmarken kann „Hinz & Kunzt“ dieses Wegbrechen der Leserschaft nicht mit einer Digitalstrategie kompensieren. „Natürlich gibt es eine Internetseite und wir sind auch in den sozialen Medien vertreten, aber darum geht es uns im Kern ja nicht.“ Das Ziel des Projekts sei immer noch die Begegnung auf der Straße, das kurze Gespräch zwischen dem Geschäftsmann auf dem Weg ins Büro und einem obdachlosen Verkäufer oder das freundliche „Wie geht es heute?“ zwischen der einkaufenden Mama und der Verkäuferin, die das Magazin jeden Tag an ihrem Stammplatz vor einem Supermarkt anbietet.

Unmittelbarer Kontakt macht Armut im Alltag sichtbar

550 „Hinz & Künztler“ sind derzeit im Einsatz. Sie kaufen die Ausgaben, verkaufen sie für den doppelten Preis und dürfen den Gewinn behalten – 1,10 Euro pro Heft. Der Gedanke dahinter: direkte Hilfe vor Ort und durch den unmittelbaren Kontakt wird Armut im Alltag sichtbar. Doch ausgerechnet Letzteres bremst dieser Tage das Kaufverhalten enorm, fürchtet Birgit Müller.

Bedingt durch die Flüchtlingsthematik und die EU-Osterweiterung, von der Deutschland zwar wirtschaftlich profitiere, die aber eben auch viele bettelarme rumänische und bulgarische Großfamilien nach Hamburg geführt habe, seien viele Menschen von dieser offensichtlichen Armut überfordert. „Und ich kann das sogar verstehen. Man läuft durch die Straßen und denkt: Hilfe, das werden ja immer mehr, wie sollen wir das bloß schaffen, das unterstütze ich nicht.“

Käufer vor allem Frauen und über 45-Jährige

Deshalb sei es dem Team von „Hinz & Kunzt“, zu dem 36 Mitarbeiter zählen – davon 22 ehemalige Obdachlose – sehr wichtig, positive Geschichten zu erzählen und so ein bisschen Hoffnung zu machen. Und Birgit Müller fängt gleich an. Da sei zum Beispiel Horst aus Blankenese, ein trockener Alkoholiker, der sich im Stadtteil einen festen Kundenstamm aufgebaut habe. Neulich sei er 50 Jahre alt geworden. „Da hat er alle, die regelmäßig bei ihm unser Magazin kaufen, in ein Café eingeladen, um sich für deren Treue zu bedanken.“

Wie in Blankenese gebe es auch in Niendorf oder auch in Hittfeld im Landkreis Harburg „Hinz & Künztler“, die nach wie vor sehr viele Hefte verkauften. Vor allem an Frauen und Leser, die älter sind als 45 Jahre. Schwieriger sei es für jene, die keinen festen Stammplatz hätten – zumal 2016 mit dem „Straßenjournal“ plötzlich ein anderes Magazin auf den Markt drängte. Zwischendurch wurde es eingestellt, jetzt wird es aber wieder auf Hamburgs Straßen verkauft. „Und zwar teils leider sehr aufdringlich“, sagt Birgit Müller. „Das schreckt Käufer ab. Zumal die Menschen natürlich auch nicht immer differenzieren, um welche Obdachlosenzeitung es da gerade geht.“

Vier Obdachlose in Hamburg bereits erfroren

Grundsätzlich wolle man diesen Konkurrenzkampf vermeiden, sagt die Chefredakteurin, die 1993 vom Hamburger Abendblatt zu „Hinz & Kunzt“ gewechselt ist. 50 Straßenmagazine gibt es derzeit bundesweit, 20 davon sind wie „Hinz & Kunzt“ im Internationalen Verband der Straßenzeitungen (INSP) organisiert. „Da geht es eben auch darum, dass man sich nicht gegenseitig kannibalisiert.“

Denn Probleme gebe es nun wirklich schon genug – gerade jetzt im Winter. Vier Obdachlose sind in Hamburg bereits erfroren, und Schnee und Eis kommen erst noch. „Das ist absolut erschreckend“, sagt Birgit Müller. „Die Menschen werden einfach immer kränker, weil es immer länger dauert, bis sie eine dauerhafte Unterkunft finden.“ Deshalb sei es auch ihr Vorsatz für 2019, die Politik parteiübergreifend für die wachsende Armut in der Stadt noch stärker zu sensibilisieren. „Dass Menschen, die im Rollstuhl sitzen, oder schwer krebskrank sind, auf der Straße leben müssen, das gab es vor 25 Jahren so nicht. Diese Lage deprimiert mich sehr.“

Ein eigenes Haus für „Hinz & Kunzt“ in St. Georg

So soll das neue Haus für Hinz & Kunzt aussehen.
So soll das neue Haus für Hinz & Kunzt aussehen. © Hinz & Kunzt

Für „Hinz & Kunzt“ selbst gibt es aber eine Perspektive: Spätestens im Sommer 2020 zieht die gemeinnützige GmbH in ein eigenes Haus, das an der Minenstraße in St. Georg entsteht. Im Erdgeschoss und im ersten Stock sollen Redaktion, Verwaltung und Vertrieb untergebracht sein, darüber entstehen „Mini-Wohngemeinschaften“ für einige der Obdachlosen, die das Magazin verkaufen. „So ein eigenes Haus in zentraler Lage, das ist schon seit Jahren unser großer Traum. Aber wir hätten das bei den Grundstückspreisen hier in der Stadt aus eigener Kraft niemals realisieren können.“ Dann hörte Sozialinvestor Holger Cassens von den Plänen, gemeinsam mit der Amalie Sieveking-Stiftung setzt er das Projekt nun um.

Das Straßenmagazin soll es natürlich unbedingt weiterhin geben, deshalb arbeitet Birgit Müller mit ihren drei Kollegen aus der Redaktion derzeit daran, es noch lesenswerter zu machen. „Die Leselust leidet allgemein, deshalb setzen wir noch mehr auf hochwertige Fotostrecken.“ Dennoch müsse das Magazin aber „glaubwürdig und relevant“ bleiben. Wie damals, als es in einem großen Hotelreport das Schicksal prekär beschäftigter Zimmermädchen aufdeckte. Eine Geschichte, die bundesweit zitiert wurde und von vielen anderen Medien aufgegriffen wurde. „Zu berichten gibt es viel – darüber mache ich mir die wenigsten Sorgen“, sagt Birgit Müller.

Aktion: Apfelstrudel für den guten Zweck

Schlemmen für den guten Zweck: beim „Apfelstrudel Day“ im Altonaer Basecamp verkauft das Team der Social Bakery am Sonntag, 16. Dezember Apfelstrudel, Kaffee, Glühwein und Kakao. Die gesamten Erlöse gehen dabei an das Straßenmagazin Hinz&Kunzt. Hinter der Aktion,die es seit sieben Jahren immer in der Weihnachtszeit gibt, stehen mehrere Unternehmen der Hansestadt, die sich eine alte Hamburger Tradition zu Herzen genommen haben: Backe einen Kuchen mehr als du brauchst und gib diesen in deinem Viertel weiter.

„Die Idee entstand, als wir mit befreundeten Unternehmen zu Weihnachten etwas Gutes für die bedürftigen Menschen in unserer Stadt machen wollten“, sagt Mitinitiator Onur Elci vom Caterer Kitchen Guerilla. Dabei wollten die Organisatoren nicht einfach nur Geld spenden, sondern auch mit Freunden und Familien zusammenkommen und gemeinsam Backen. Die Veranstaltungen sei ein voller Erfolg und in den letzten Jahren seien bis zu 400 Gäste gekommen. Die könnten beim Showbaking nicht nur zusehen, sondern auch selbst aktiv werden. „Jeder der mithelfen möchte, ist herzlich willkommen“, sagt Elci. Das gelte auch für Kinder. Geöffnet ist von 12 bis 18 Uhr in der Warnholtzstrasse 4.