Hamburg. Hamburg steht vor der großen Herausforderung, dass sich die Menschen das Wohnen in dieser schönen Stadt noch leisten können.

Liebe Freunde des Hamburger Abendblatts,

schön, Sie zu sehen. Für mich ist das heute ein besonderer Neujahrsempfang. Es ist der erste ohne Olaf Scholz als Bürgermeister. Die meisten von Ihnen wissen, dass ich Scholz immer sehr kritisch gesehen habe – okay, nicht so kritisch wie Matthias Iken Angela Merkel, aber das geht auch kaum – und die meisten von Ihnen erinnern sich vielleicht, dass ich schon vor acht Jahren, und danach quasi monatlich wieder, geschrieben habe, dass Olaf Scholz nach Berlin gehen wird. Und, was soll ich sagen: Ich hatte Recht!

Kaum hatte das Jahr 2018 begonnen, war Scholz weg – und Hamburg brauchte einen neuen Bürgermeister. Das wurde, wie von uns allen erwartet, der seit Jahren als Kronprinz gehandelte Andreas, Entschuldigung, Peter Tschentscher.

Lieber Herr Bürgermeister, was war das für ein Schock, als meine Kollegen vom ersten Interview mit Ihnen zurückkamen. Kreidebleich, zitternd, verschüchtert. Ich fragte: Was ist denn passiert? „Der Bürgermeister“, sagten die Kollegen, „er hat…“ „Er hat was?“, fragte ich. „Er hat … auf unsere Fragen geantwortet.“ Wie gesagt: ein Schock. Denn Ihr Vorgänger hat alles gemacht, aber auf Fragen antworten? Ausgeschlossen.

Wohnen ist das Thema der kommenden Hamburg-Wahl

Lieber Herr Tschentscher, wir mussten uns umgewöhnen, aber das haben wir gern getan. So gern, dass wir beide für die Geburtstagsausgabe des Hamburger Abendblatts die Rollen getauscht haben: Sie haben mich interviewt. Das war interessant, weil Sie mich viel härter rangenommen haben, als ich mich das jemals mit Ihnen getraut hätte.

Und ich gebe zu, dass ich richtig getroffen war, als Sie behaupteten, dass ich in Bremen sozialisiert sei… Leider passiert es immer wieder, dass gebürtige Hamburger mich fragen, ob ich denn selbst auch gebürtiger Hamburger sei, und leider verläuft der Dialog immer gleich. Etwa so wie der mit einem Hamburger Kaufmann: „Herr Haider“, fragte der, „sind Sie eigentlich Hamburger?“ Meine Antwort: „Natürlich.“ „Das ist schön“, sagte der Kaufmann. „In welchem Stadtteil sind Sie denn geboren?“ „In Harburg“, sagte ich. „ Ach so“, sagte der Kaufmann, „dann sind Sie also doch kein Hamburger.“

Hatte ich den schon mal erzählt? Dann schnell zurück zum Interview mit den vertauschten Rollen. Tschentscher fragte mich: Was werden die großen Themen des nächsten Bürgerschaftswahlkampfs sein? Ich antwortete: „Es gibt drei: Wohnen, Wohnen, Wohnen.“ Wenige Wochen später sprach der Bürgermeister dann auf einem Parteitag der Hamburger SPD. Und was sagte er dort? Er sagte: „Liebe Genossinnen und Genossen, wir stehen vor wichtigen Wahlen, bei denen es vor allem um drei Themen gehen wird: Wohnen, Wohnen, Wohnen.“

Wohnen verschlingt 50 Prozent des Einkommens

Liebe Freunde des Hamburger Abendblatts, wer wäre ich, dem Bürgermeister in diesem Punkt zu widersprechen? Tatsächlich lässt der SPD-geführte Senat in diesem Jahr so viele Wohnungen bauen wie Ole von Beusts Regierung in ihrer gesamten Amtszeit. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: An der Lage auf dem Wohnungsmarkt ändert sich nichts. Wer in Hamburg ein Haus kaufen will, zahlt dafür heute fast 34 Jahresmieten, normal sind 20.

Fast jeder zweite Hamburger muss inzwischen die Hälfte seines Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Und gleichzeitig ärgern sich die, die schon länger in Hamburg leben, über Neubauten, die jetzt nicht direkt in der ästhetischen Tradition eines Fritz Schumacher stehen. Das alles kumuliert in einer Frage, die sich viele Menschen stellen. Sie lautet: Was nützt mir die schönste Stadt der Welt, wenn ich sie mir nicht leisten kann? Darauf muss nicht nur die Politik, darauf müssen wir alle eine Antwort finden, weil genau daran die Zukunft Hamburgs hängt.

Der Bürgermeister hat mich in dem Interview auch gefragt, wie ich zur Arbeit komme. Ich habe wahrheitsgemäß geantwortet: Mit dem Fahrrad. Und ich gebe zu: Das ist einzig und allein ein Verdienst der Verkehrspolitik des Senats. Der hat es, gerade mit seiner ausgefeilten, ja raffinierten Koordination der Baustellen, geschafft, dass ich mein Auto, auch noch einen Diesel, wirklich nur in absoluten Notfällen benutze – schlicht, weil ich mit dem Fahrrad, wahrscheinlich selbst zu Fuß, schneller in die Redaktion komme.

Hat jemand Interesse, Präses der Handelskammer zu werden?

Und ja: Ich trage dabei einen Helm. Das sage ich, weil in Hamburg ja heiß über Fahrradhelme diskutiert wird, seit ausgerechnet der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club erklärt hat, dass er das Tragen von Helmen nicht fordert. Begründung: Helme würden signalisieren, dass Radfahren an sich gefährlich sei. Das muss man nicht verstehen, das hat aber dazu geführt, dass selbst Senatoren zugeben, manchmal oben ohne zu fahren.

Übrigens herzlich willkommen im neuen Amt, lieber Herr Westhagemann! Und, wo wir gerade bei der Wirtschaft sind: Ist irgendjemand im Raum, der vielleicht, eventuell Interesse hätte, neuer Präses der Handelskammer zu werden? Wäre auch nur für ein Jahr… Keiner, wirklich keiner? Schade! Ich komme zu erfreulicheren Themen: Für 2019 haben sich wieder mehr als 20.000 Menschen aus der ganzen Welt in Hamburg angesagt.

Ich sehe Panik in den Augen von Bürgermeister und Innensenator, aber ich kann sie beruhigen: Es geht nicht um G20. Die Rotarier kommen zu ihrer Welt-Konferenz in unsere schöne Stadt! Beim Händeschütteln fragte mich übrigens ein Rotarier, ob ich wüsste, wie die Lions entstanden seien. „Das weiß ich nicht“, sagte ich. „Ganz einfach“, sagte der Rotarier. „Als die Rotarier ihr Gründungsmeeting hatten, haben sich die Chauffeure draußen gelangweilt…“ Wie gesagt: Ist nicht von mir.

Viele wichtige Geburtstage 2019 in Hamburg

Aber damit sind wir schon in 2019, dem Jahr, in dem in Hamburg wichtige Geburtstage gefeiert werden. Ich selbst werde – peinlich, jetzt kann ich meine eigene Schrift nicht lesen, aber das kann ja nur eine 30 sein. Egal, wichtiger sind sowieso andere Zahlen: Hamburgs Online-Marketing-Rockstar Philipp Westermeyer wird 40 und lädt 50.000 Menschen in die Messehallen ein; Ilka und Uwe Seeler sind seit 60 Jahren verheiratet, Lutz Marmor und Hadi Teherani werden 65, die Kunsthalle hat 150. Geburtstag – und unser aller Universität wird 100.

Das Abendblatt beantwortet anlässlich des Uni-Jubiläums zusammen mit Wissenschaftlern die 100 großen Fragen des Lebens, eine Reihe, bei der ich viel gelernt habe. Zum Beispiel, dass das Aussehen extrem wichtig für politischen Erfolg ist. Das könnte ein Grund für den Aufstieg der Grünen unter Robert Habeck sein. Aber, wenn das stimmt, wenn also das Aussehen wichtig für den Erfolg eines Politikers ist: Warum ist Donald Trump dann immer noch US-Präsident? Ja, ich weiß, ein billiger Witz, den man genauso gut mit Horst Seehofer machen könnte.

In Wahrheit bin ich Donald Trump auch sehr dankbar. Seine Werbekampagne für echten Journalismus ist unbezahlbar. Je länger der mächtigste Mann der Welt alternative Fakten verbreitet, desto mehr Menschen begreifen, dass es zur Wahrheit in Wahrheit keine Alternative gibt.

Auch deshalb werden im Moment so viele Digital-Abos abgeschlossen wie noch nie. Beim Hamburger Abendblatt sind es inzwischen rund 30.000, und jeden Tag kommen 60 bis 80 dazu. Darüber freuen wir uns sehr, denn wir wollen mit unserer Arbeit auch in digitalen Zeiten helfen, die für eine Stadt wie Hamburg wichtige Frage zu beantworten. Sie lautet, und jetzt zitiere ich Kultursenator Carsten Brosda: "Was müssen eigentlich alle in unserer Gesellschaft wissen, um kompetent das, was alle angeht, miteinander besprechen zu können, um auf dieser Grundlage gemeinsam vernünftige Entscheidungen zu treffen?"

Unsere Leser melden sich sofort

Darum geht es, liebe Freunde des Hamburger Abendblatts. Über die Dinge zu berichten, die die Menschen interessieren und direkt betreffen. Das ist der Kern des Lokaljournalismus, auf den gern herabgeschaut wird. Dabei machen gerade die Lokaljournalisten das, was „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein gefordert hat: Sie sagen, was ist. Das ist dann halt nicht immer sprachlich so stimmig, erzählerisch dicht und dramaturgisch perfekt, um damit einen der großen Reporterpreise zu gewinnen. Dafür kommt es der Wahrheit meist sehr nah. Und wenn nicht, dann schlägt die Dokumentation Alarm.

Ja, auch Lokalzeitungen haben eine Dokumentation, und was für eine: Unsere Leser melden sich sofort, wenn wir über Kinofilme berichten, die gar nicht gezeigt werden, oder wenn Paul Müller in Wahrheit Peter Meyer heißt. Lokaljournalismus mag manchen mühsam erscheinen, weil er mit echten Menschen zu tun hat und weil man den Menschen, über die man schreibt, jederzeit wiederbegegnen kann. Aber genau deshalb haben Lokaljournalisten, die natürlich auch unterhaltsam, spannend und detailgetreu schreiben, vor allem ein Interesse: Dass alles, was sie veröffentlichen, stimmt. Wenn das provinziell oder altbacken ist, dann sind wir beim Hamburger Abendblatt gern provinziell und altbacken.

Angela Merkels Nachfolger stand lange fest

So, und wie schaffe ich jetzt die Überleitung auf Jens Spahn, Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer? Fanden Sie den Dreikampf auf dem Bundesparteitag der CDU in Hamburg auch so spannend? Ja? Dabei stand der Nachfolger von Angela Merkel lange vorher fest. Ach, das wussten Sie nicht? Ich bitte Sie: Was reimt sich auf Adenauer? Na, Merz schon mal nicht...

Annegret Kramp-Karrenbauer hat übrigens gezeigt, wie wichtig eine Rede sein kann, wenn sie sehr persönlich, voller Leidenschaft und, Achtung, nicht zu lang ist. Friedrich Merz hat dagegen sogar die vorgegebene Redezeit beim Parteitag überschritten – ein schwerer Fehler. Denn es ist ja auch wissenschaftlich bewiesen, dass nach 15 Minuten bei 80 Prozent aller Zuhörer die sexuellen Tagträume beginnen…

Auch deshalb will ich jetzt zum Ende kommen. Drei Dinge gibt es noch zu sagen. Erstens: Wir vom Hamburger Abendblatt werden in diesem Jahr ein neues Magazin herausgeben – und der Namensgeber ist einer von Ihnen. Wirklich! Das ganze Heft wird sich im Wesentlichen mit einer Person beschäftigen, die heute hier im Atlantic ist, und diese Person wird auch sehr groß auf dem Titel zu sehen sein. Und nein, Herr Kubicki, Sie sind es nicht, zumindest nicht in diesem Jahr. So viel verrate ich: Der Vorname der Person und damit des Magazins beginnt mit P…

Repräsentative Forsa-Umfrage zur Hamburg-Wahl

Zweitens: Wir alle, Sie und vor allem ich, haben dem HSV jahrelang Unrecht getan: Die Mannschaft war gar nicht zu schlecht – sie hat nur in der falschen Liga gespielt. Was sich hoffentlich 2019 ein für alle Mal ändert: Das Trio Hoffmann, Becker, Wolff macht mich so optimistisch wie lange nicht. Und drittens: Weil ein Onkel, der was mitbringt, auch 2019 besser ist als ein Tante, die nur Klavier spielt, habe ich noch eine kleine Überraschung für Sie.

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat für das Abendblatt repräsentativ erhoben, wie die Hamburger denn abstimmen würden, wenn jetzt Bürgerschaftswahl wäre. Interessiert Sie das überhaupt? Na gut, hier sind die Zahlen: Grüne 38 Prozent … kleiner Scherz.

Also: AfD 7 Prozent, FDP 9 Prozent, Linke 11 Prozent, CDU 14 Prozent, Grüne 24 Prozent, SPD 30 Prozent. Bei einer Bundestagswahl wäre die SPD in Hamburg übrigens mit 17 Prozent nur drittstärkste Partei, hinter den Grünen mit 26 und der CDU mit 22 Prozent. So: Wenn Sie jetzt nicht wissen, worüber Sie sich unterhalten sollen, kann selbst ich Ihnen nicht helfen.

 Ich wünsche Ihnen einen tollen Tag und ein frohes neues Jahr. Vielen Dank.