Repräsentative Umfrage zeigt stark veränderte Machtverhältnisse in der Stadt. Eine Partei kann ihr Ergebnis von 2015 fast verdoppeln.
„Wo stehen wir eigentlich?“ Diese Frage stellt sich die Hamburg Politik schon seit neun Monaten. Denn seit dem Wechsel des Bürgermeisters von Olaf Scholz zu Peter Tschentscher (beide SPD) im Frühjahr 2018 gab es keine Umfrage zur politischen Lage in der Stadt. Umso mehr schlugen die Daten, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Abendblatts erhoben und die Chefredakteur Lars Haider beim Neujahrsempfang verkündet hat, ein: „Das haut mich um“, sagte die Grünen-Vorsitzende Anna Gallina.
SPD und CDU sacken ab
Kein Wunder: Denn der repräsentativen Umfrage unter 1004 Befragten zufolge würde die SPD nur noch auf 30 Prozent der Stimmen kommen – ein Minus von 15,6 Punkten gegenüber der Bürgerschaftswahl vor vier Jahren. Die mitregierenden Grünen würden ihr Ergebnis hingegen von 12,3 auf 24 Prozent nahezu verdoppeln.
Am dramatischsten ist die Umfrage für die CDU: Sie würde nach dem schon historisch schlechten Wahlergebnis (15,9 Prozent) noch weiter auf 14 Prozent abstürzen. Verbessern würden sich hingegen die Linkspartei (von 8,5 auf 11,0), die FDP (von 7,4 auf 9,0) und die AfD (von 6,1 auf 7,0).
Entsprechend unterschiedlich waren die Reaktionen der Gäste auf dem Neujahrsempfang: „Wir haben momentan eine schwierige Zeit – bundesweit und in allen Bundesländern bei Umfragen und Wahlen“, verwies Bürgermeister Peter Tschentscher auf den negativen Trend seiner SPD. Das werde aber irgendwann wieder besser, und im übrigen gelte: „Wir sind in Hamburg deutlich besser aufgestellt als überall anders in Deutschland, weil man sieht, dass wir diese Stadt sehr gut regieren.“
Wie die Grünen sich ihr Hoch erklären
Die Umfrage zeige „eine klare Mehrheit für Rot-Grün“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Vor dem Hintergrund des negativen Bundestrends stünden die Sozialdemokraten in Hamburg damit noch relativ gut da. Der Bürgermeister werde sich in den kommenden Monaten noch stärker profilieren, kündigt Kienscherf an, der zugab, sich ein „etwas besseres Umfrage-Ergebnis“ gewünscht zu haben. Erfreut zeigt sich der SPD-Politiker über das schwache Abschneiden der AfD. „Das zeigt: Hamburg hat wenig Platz für rechte Tendenzen. Das Vertrauen in die etablierten Parteien ist hier größer als anderswo.“
Auch für Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks ist die Schwäche der AfD eine gute Nachricht. „Es macht mich stolz, dass die Hamburger da so klar sortiert sind.“ Der Grünen-Politiker sprach von einem „tollen Ergebnis“ für seine Partei, das „Rückenwind für die Bürgerschaftswahl“ bedeute. „Es zeigt, dass den Menschen Themen wie die Energiewende, die Verkehrswende und die Umweltpolitik wichtig sind. Aber die Umfrage ist nur eine Momentaufnahme, da kann sich noch viel ändern“, sagte Tjarks.
CDU-Fraktionschef André Trepoll reagierte erstaunlich gelassen auf die wenig erfreulichen Zahlen für seine Partei. „Die 14 Prozent sind nahe an der Ausganglage der Bürgerschaftswahl 2015. Aber wir haben viel vor in diesem Jahr, und ich bin optimistisch, dass wir das Ergebnis noch erheblich verbessern können“, sagte Trepoll und blickte dann auf die Sozialdemokraten, denen er „dramatische Einbrüche“ attestierte.
AfD zweifelt an Aussagekraft der Umfrage
Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken, hob den stabilen Trend ihrer Partei hervor: „Wir liegen in jeder Umfrage seit der Wahl über zehn Prozent und gut über unserem letzten Ergebnis. Hamburg braucht eben eine echte linke Kraft, die sich für Grundrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzt – und die gibt es mit uns auch.“
Bestätigt sah sich Michael Kruse, Fraktionschef der FDP neben Anna von Treuenfels-Frowein. „Seit wir den Fraktionsvorsitz übernommen haben, hat sich die Hamburger FDP in den Umfragen kontinuierlich verbessert“, sagte Kruse. Um Regierungsverantwortung zu übernehmen, wie es Kruse und Treuenfels-Frowein anstreben, müsste die FDP aber weiter zulegen. „Unser Ziel ist es, zweistellig zu werden“, sagte Kruse. „Die Umfrage zeigt, dass Hamburg liberal tickt“, sagte von Treuenfels-Frowein.
Zweifel an der Aussagekraft der Umfrage meldete AfD-Fraktionschef Alexander Wolf an: „Forsa hat die AfD schon immer schlechter bewertet als andere Institute. Unsere Wahlergebnisse waren oft erheblich besser.“ Grundsätzlich gelte aber: „Hamburg ist kein einfaches Pflaster für die AfD, wie die anderen Großstädte auch.“
Nach Ansicht von Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) ist das Umfrageergebnis für die Hamburger SPD ermutigend. „Wir sind die stärkste Kraft in Hamburg und liegen damit deutlich über dem Bundestrend“, sagte sie. „Gleichwohl liegt noch viel Arbeit vor uns.“ Die Sozialdemokraten wollten zum Beispiel mehr bezahlbare Wohnungen schaffen.
Bundestagswahl-Prognose: SPD sackt bei Hamburgern ab
Von einem erfreulichen Ergebnis für die Hamburger SPD sprach auch Ralf Stegner, Landesvorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein. „Peter Tschentscher macht eine gute Figur als Hamburger Bürgermeister“, sagte Stegner. Bedenklich sei allerdings, dass nur 17 Prozent der Hamburger bei einer Bundestagswahl für die SPD stimmen würden. „Dass wir selbst in einer Stadt wie Hamburg so abschneiden, zeigt, was für die SPD noch zu tun ist“, sagte Stegner. Die Partei müsse sich insbesondere bei den Themen Arbeit, Umwelt und digitale Gesellschaft stärker profilieren.
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) sagte, die Hamburger SPD könne sich selbst mit einem Barack Obama als Zugpferd nicht von den schlechten Umfragewerten für die Bundespartei lösen. „Dass die bundesweite Entwicklung auch auf Hamburg abfärbt, ist bedauerlich, aber nicht vermeidbar“, sagte Dressel. „Dass ist jetzt die Ausgangsbasis, von der wir uns wieder nach vorne arbeiten werden.“
Verhaltene Euphorie bei den Grünen
Sehr gut gelaunt zeigten sich naturgemäß die Grünen. „Diese Zahlen hauen mich um“, sagte Landeschefin Anna Gallina. „Wir bohren seit Jahren dicke Bretter in Sachen Ökologie, Weltoffenheit und Chancengleichheit – dass das so positiv aufgenommen wird, freut uns und ist eine Verpflichtung, weiter konsequent für unsere Werte einzustehen.“
Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank, die nach der Geburt ihrer Zwillinge noch nicht am Empfang teilnehmen konnte, teilte mit: „Die hohe Zustimmung zeigt, dass die grünen Kernthemen die Schwarzbrot-Themen der Stadt sind. Wir werden unseren betont eigenständigen Kurs als Grüne fortsetzen. Und ansonsten gilt: Cool bleiben, weiterarbeiten.“
Der grüne Justizsenator Till Steffen sprach von einem „Super-Wert“, den er sowohl auf den guten Bundestrend als auch auf die gute Arbeit in Hamburg zurückführe. Nach dem schwierigen Start in die Koalition, als der damalige Bürgermeister Olaf Scholz die Grünen zum kleinen „Anbau“ am SPD-Haus degradiert hatte, sei die Partei nun eigenständiger und „klarer in der Durchsetzung unserer Themen“ geworden.
CDU-Mann de Vries versucht sich mit Ironie
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries versuchte es mit Ironie. „Bei 14 Prozent fällt man vor Begeisterung nicht gerade vom Hocker. Aber wir haben noch keinen Spitzenkandidaten benannt, und der Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Das Motto lautet: Locker bleiben! Wir sind motiviert.“
CDU-Urgestein Dirk Fischer hält eigentlich überhaupt nichts von Umfragen, sagt aber dann doch: „2019 muss ein deutlich besseres Jahr als 2018 werden. Die Hamburger CDU-Spitze und die Mitglieder der Partei müssen in die Arbeit reinhauen.“
BUND von CDU-Ergebnis überrascht
Bestens gelaunt präsentierte sich die Hamburger FDP-Chefin und Bundestagsabgeordnete Katja Suding, bis Ende 2017 Fraktionsvorsitzende der FDP in der Bürgerschaft. Das Umfrageergebnis kommentierte sie mit einem „Super“. „Neun Prozent für die FDP ein Jahr vor Bürgerschaftswahlen – das gab es in Hamburg noch nie“, sagte Suding.
Dass die Hamburger SPD an Zustimmung verloren habe, entspreche dem Bundestrend, sagte Universitäts-Präsident Dieter Lenzen. Trotzdem würde ein solches Ergebnis bei der Bürgerschaftswahl für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition reichen. „Mit Blick auf die Wissenschaft würde damit der aktuelle Erfolgskurs in Hamburg wohl beibehalten werden“, sagte Lenzen.
BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch hat am meisten das schlechte CDU-Ergebnis überrascht. „Die 14 Prozent sind für mich die krasseste Zahl. Es ist erstaunlich, dass eine ehemalige Volkspartei darüber nicht hinauskommt. Insgesamt sehe ich eine Bestärkung der rot-grünen Regierungspolitik. Im Bereich Verkehr tut sich ja einiges, und Bürgermeister Tschentscher hat die Bedeutung der Klimapolitik erkannt.“