Der Trend scheint mehr als ein Sommerhit zu sein – doch wie schädlich ist der ständige Körperkontakt mit dem Mobiltelefon?

Es klingelt. Das Handy. Gefühlt wird das Gedudel immer lauter, doch tief in der Tasche vergraben lässt es sich nicht so einfach herausfischen. Da, gefunden, endlich – und das Klingeln hat aufgehört. Aus diesem Grund legen viele Hamburger ihr Smartphone an die Leine und hängen es um: Handyketten sind der Trend seit vergangenem Sommer. Mit einem Handgriff ist das Gespräch angenommen, kein Suchen und Graben mehr nötig, kein Herunterfallen. Ob als Kordeln, mit Quastenverzierungen oder aus Leder, alle Varianten sichern das Mobiltelefon in einer durchsichtigen Silikonhülle und werden dann quer über dem Körper getragen, oder das Handy baumelt frontal vor dem Bauch. Ein smarter Brustbeutel.

„Ich habe sicher 750-mal am Tag mein Handy irgendwo gesucht“, sagt Constanze Klotz, die ihr Handy „crossbody“ an einem Band trägt, das einmal eine Jeans war. Denn alles, was sie herstellt, besteht aus gebrauchtem Denim, dem strapazierfähigen Jeansstoff.

Handtasche adé – hallo, Handytasche!

2015 hat sie gemeinsam mit ihrer Freundin Hanna Charlotte Erhorn das soziale Label bridge&tunnel (deutsch: Brücke und Tunnel) in Wilhelmsburg gegründet und kümmert sich auch um den Internet-, Facebook- und Insta­gram-Auftritt der Firma. Deshalb: „Mein Handy ist mein Arbeitsgerät. Ich fotografiere für unseren Blog in der Werkstatt und da wir lange nur einen Onlineshop hatten, eben auch alle Produkte, die wir verkaufen“, sagt Klotz. Dass die Handykette ins Portfolio neben Jeans-Rucksäcken, Jeans-Taschen, Jeans-Fliegen und Denim-Sweater wanderte, war eigentlich gar nicht geplant. „Im Sommer waren Lotte und ich auf einer Veranstaltung in Berlin, und wirklich jeder trug dort eine solche Handykette – Handtasche adé, dachten wir da, und zurück in Hamburg hat Lotte zwei Prototypen entworfen, die wir dann getragen haben“, sagt Klotz.

Im Nu verflogen alle Zweifel bei der 37-Jährigen Mutter zweier Kinder, die „krasse Funktionalität“ der Handykette überzeugte sie, und sechs Wochen später wurden die ersten Jeans-Handyketten für je 39 Euro verkauft. Mittlerweile sind es an die 300 Stück – was für das Sozialunternehmen eine unerwartet große Menge ist. Es gehört zu einer gemeinnützigen GmbH und beschäftigt vier zuvor langzeitarbeitlose Näher und Näherinnen, die gebürtig aus Indien, der Türkei, Russland und Afghanistan kommen.

Handyketten liegen im Trend
Handyketten liegen im Trend © bridge&tunnel

Als Schöpferin des Trends gilt die 32-jährige Berlinerin Yara Jentsch Dib, die seit 2015 ein kleines Unternehmen mit handgeknüpften Makramee-Produkten führte. Als sie Mutter wurde, merkte sie, dass sie wegen ihres kleinen Sohns keine Hand zum ständigen Handysuchen frei hatte. Eine geknüpfte Kordel um den Hals ,mit daran baumelndem Mobiltelefon in einer Silikonhülle erleichterte ihr Leben und begeistert heute so viele Menschen, dass sie sich mit der Marke xouxou auf die Herstellung der Ketten spezialisierte. „Manchmal sind die einfachen Ideen die besten, und wir haben wirklich einen Nerv getroffen. Das Interesse ist nachhaltig und international“, so Dib. „Aktuell übertreffen wir immer noch unsere eigenen Rekorde, nach einem tollen Sommer folgte das gute Weihnachtsgeschäft.“

Zielgruppe „Mütter“ bedient auch Sandra Trillhaas in ihrem Geschäft „Djou Djou“ im Lehmweg 34: Eigentlich bietet sie hier personalisierte Baby- und Yoga-Artikel an, seit diesem Sommer jedoch auch Leder-Handyketten der Hamburger Designerin Sylvia Nedelmann (ab 32 Euro). „Die Handykette ist ein totales Frauen-Accessoire, wir verkaufen davon etwa 15 Stück pro Woche, eigentlich ausschließlich an Mütter“, sagt Trillhaas. „Hände frei auf dem Spielplatz und am Kinderwagen.“ Erst wollte sie keine weiteren Ketten bestellen, doch die stete Nachfrage überraschte sie: „Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Kunden davon mehrere zulegen, aber mittlerweile werden das zweite und das dritte Handyband bei uns gekauft.“ Passend zum Winteroutfit nun in gedeckteren Tönen, statt des knalligen Neon in der hellen Jahreszeit.

Experten empfehlen fünf Meter Abstand zum Handy

Doch dieser Trend ist nicht unumstritten: Wilfried Kühling, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), tagte gerade auch mit Hamburger Kollegen und warnt eindringlich vor den Nachteilen der Mode-welle. „Durch die Handykette wird das Telefon direkt am Körper getragen, manchmal sogar direkt vor der Brust“, sagt Kühling. „Das sollte man unbedingt vermeiden, denn die Mobilfunkstrahlung bringt die Körperfunktionen durcheinander.“ Gehirnströme werden belastet, nachgewiesen sei ein Zusammenhang zwischen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz, aber auch Schlaflosigkeit, Kopfschmerz oder – vor allem bei Jugendlichen wichtig – eine Beeinflussung der Wachstumshormone.

Das Credo des BUND-Strahlenexperten lautet deshalb: „Abstand ist dein Freund, so oft wie möglich. Fünf Meter sollten es mindestens sein“, so Kühling. Er beschäftige sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema der Schäden durch Strahlung und empfiehlt, grundsätzlich kurz zu telefonieren und dafür Headsets und Freisprechanlagen zu nutzen. Nachts gehöre das Handy sowieso in den Flugmodus und weit weg vom Kopf.

"In meinem Handy stecken viele Lebensinformationen"

Doch wie praktikabel ist es, das Handy vor allem tagsüber nur temporär zu nutzen? „Mein Gefühl dazu ist ambivalent“, meint Constanze Klotz, „ich weiß um die Nachteile, nachts wird das Telefon verbannt, aber tagsüber setze ich mich den negativen Aspekten definitiv aus. In meinem Handy stecken zu viele Lebensinformationen – von der WhatsApp-Kita-Gruppe über den Schnappschuss bis hin zum Skype-Gespräch mit der Oma zwischendurch.“

Und wenn sie dem Handy schon diesen Stellenwert im Alltag einräume, dann möchte sie auf die Vorteile des Telefons an der Leine eben nicht verzichten. Sie führt es aber an der langen Leine – und fühlt sich dadurch nicht angekettet.