Hamburg. “Beschuss wie noch nie“: Vor allem junge Männer nutzen immer mehr Schreckschusspistolen und gefährden Menschen durch Knallkörper.
Die acht Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr wollen gerade zurück zur Wache in Tonndorf, als sie selbst zur Zielscheibe werden. Gegen 2.20 Uhr in der Silvesternacht haben sie schon mehrere Einsätze in den Knochen. Da sehen sie einen Mann am Barmbeker Markt auf dem Boden liegen. Er blutet stark. Sie stoppen, wollen helfen, natürlich. Doch für eine Gruppe von Menschen um den Verletzten sind sie der Feind.
Binnen Sekunden fliegen nach Feuerwehrangaben mehrere Gegenstände, möglicherweise Böller und Steine, auf die Retter. Die Männer auf dem Gehweg bepöbeln sie. Die Kameraden harren unter Beschuss in ihrem Wagen aus, rufen über Funk die Polizei, die zunächst mit Maschinenpistolen anrückt und später die nahe Shishabar "High Class" nach den Tätern des Messerangriffs durchsucht. Der Verletzte kommt mit einem Messerstich an der Schulter in ein Krankenhaus. Es ist ein trauriger Höhepunkt dessen, was die Behörden später eine weitgehend "normale Silvesternacht" in Hamburg nennen.
Polizei: Die Fahrlässigkeit nimmt zu
Insgesamt rückte die Feuerwehr zu 1150 Einsätzen aus, 200 mehr als im Vorjahr. "Die Kollegen sind auch verbale und körperliche Angriffe aus einigen Einsatzgebieten gewohnt", sagt der Feuerwehrsprecher Martin Schneider. "Wir versuchen immer, deeskalierend zu wirken." Wenn dies nicht möglich sei, träten die Feuerwehrleute den Rückzug an.
Die Polizei spricht von einem etwas geringeren Einsatzaufkommen als in den vergangenen Jahren – insgesamt wurden 118 Strafanzeigen gefertigt. Die Hintergründe der Messerstecherei in Barmbek sind noch unklar. Wie die Polizeisprecherin Eva Theodoridou sagt, gab es neben Bränden und anderen Einsatzlagen "auffällig viele Fälle", in denen Bürger und Beamte gezielt oder fahrlässig mit Feuerwerkskörpern in Gefahr gebracht wurden – meist durch junge Männer.
Sechsjährige von Böller im Gesicht verletzt
An der Alster kam es unter den 10.000 dort Feiernden zu mehreren schweren Zwischenfällen. Ein sechsjähriges Mädchen wurde von einem Böller im Gesicht getroffen. Gruppen von jungen Männern schossen zwei Raketen in Richtung der Polizisten – zwei Beamte wurden dabei leicht verletzt. Die Polizisten mussten zum Schutz ihre Helme aufsetzen. Auffällig viele junge Männer hantierten mit Schreckschusspistolen. "Einen solchen Beschuss habe ich noch nie erlebt", sagte ein erfahrener Beamter zu seinen Kollegen.
In Schnelsen schob eine Gruppe von bis zu vierzig Personen zwei Müllcontainer auf dem Graf-Johann-Weg zusammen und setzte sie in Brand. Bei den Löscharbeiten wurden Feuerwehr und Polizei mit Pyrotechnik beworfen. Außerdem wurde eine Schreckschusspistole in Richtung eines Streifenwagens abgefeuert. Verletzt wurde niemand.
335 große und kleine Feuer
Die Feuerwehr rückte zu 335 Bränden aus. 245 davon waren kleinere Feuer, zum Beispiel in Papiercontainern. Am Eppendorfer Weg in Eimsbüttel mussten 13 Menschen von der Feuerwehr über eine Drehleiter gerettet werden, nachdem der Rauch eines Brandes im Erdgeschoss das Treppenhaus unpassierbar gemacht hatte. Zwei Menschen wurden leicht verletzt.
Auch nach einem Brand in einem Wohnhaus am Wagrierweg in Niendorf wurden zwei Bewohner mit Verdacht auf eine Rauchgasvergiftung in ein Krankenhaus gebracht. Am frühen Morgen geriet ein Auto an der Bremer Reihe in Brand, die Flammen griffen auf ein nahes Wohnhaus über. Ein Bewohner wurde verletzt, 20 Feuerwehrleute konnten Brand vor Ort löschen.
17-Jähriger stürzt aus fünftem Stock
Bereits kurz vor dem Jahreswechsel verletzte sich ein Mann in Rahlstedt schwer, als ein Böller in seiner Hand explodierte. Er verlor laut Feuerwehr vermutlich einzelne Fingerglieder und wird in einem Krankenhaus behandelt.
An der Holstenstraße in Altona stürzte ein 17-Jähriger aus dem fünften Stock eines Hochhauses in die Tiefe. Der offenbar betrunkene getrunkene Jugendliche landete auf einem Vordach. "Er hatte wohl Glück im Unglück", sagte Feuerwehrsprecher Martin Schneider. Er wurde zur weiteren Behandlung in das UKE gebracht.
Neun mutmaßliche Sexualdelikte
Insgesamt neun mutmaßliche Sexualdelikte wurden von der Polizei bis zum Neujahrsmittag in den Bereichen Binnenalster, Landungsbrücken und St. Pauli registriert. Laut einer Polizeisprecherin gebe es keine Hinweise darauf, dass es dabei auch aus Gruppen heraus zu Übergriffen auf Frauen gekommen ist. Jedoch sei nicht auszuschließen, dass sich weitere mögliche Opfer erst noch bei der Polizei meldeten.
Es wird nach einem unbekannten mann gefahndet, der in der Silvesternacht gegen 0.45 Uhr einen "pyrotechnischen Gegenstand" auf der Reeperbahn gezündet und dabei vier Menschen verletzt hat. Eine 33-jährige Frau erlitt eine blutende Gesichtswunde und eine Wunde am Knie, wo ihre Hose durch die Detonation aufgerissen wurde. Sie wurde in ein Krankenhaus gebracht. Der Täter wird als höchstens 35 Jahre alt und etwa 1,80 Meter groß beschrieben, er trug eine beige Cappie. Hinweise an Telefon 040/ 42865 6789.