Jeden Sonnabend im Abendblatt geht es um wichtige Fragen: Kurz vor Weihnachten dreht sich alles um die richtigen Präsente.

Geben und geben lassen: Wie viel Euro muss ich auf den Tisch legen, um meine Zuneigung zu bekunden? Muss ich überhaupt Geld ausgeben, oder was stellt heutzutage ein gutes Geschenk dar? Prof. Dr. Silke Boenigk und Dr. Philipp Degens, beide an der Hamburger Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, erklären eine uralte Tradition.

Was verschenken Sie zu Weihnachten?

Prof. Dr. Silke Boenigk: Ich verschenke Zeit. Das ist unser höchstes Gut, insofern werde ich Kinokarten besorgen und dann mit meinen Liebsten eine schöne gemeinsame Zeit im Kino verbringen.

Dr. Philipp Degens: Weihnachten erleben viele als Fest des Überflusses, aber Zeit wird knapper und dadurch wertvoller. Ich will mein Geschenk nicht in der Zeitung verraten und damit die Überraschung kaputt machen, aber letztes Jahr habe ich Konzertkarten verschenkt.

Welche Präsente haben für die Menschen abseits ihres Preises den meisten Wert?

Boenigk: In vielen Kulturen ist Schenken eine Tradition. Das hat mit Beziehungspflege zu tun, Schenken ist eine Form von Kommunikation. Ein Geschenk, das achtsam ausgewählt wurde, ist viel schöner als etwas sehr Teures. Es muss also eine Überlegung dahinterstecken. Wenn es nur für den Schenkenden einfach zu besorgen war, dann hat das Geschenk keinen so großen Wert.

Degens: Gelungene Geschenke definieren sich nicht über den Preis. Wie teuer etwas ist, spielt kaum eine Rolle. Im Gegenteil: Ein zu teures Präsent stellt die Beziehung vor Herausforderungen: Kann ich das erwidern? Was will die Person mir damit sagen? Hat sie vielleicht ein schlechtes Gewissen? Unpassende Geschenke erzeugen Druck. Die soziale Beziehung kann von einer ausgeglichenen in eine hierarchische abrutschen. Die zu großzügige Schenkerin stellt sich bewusst oder unbewusst über die andere Person.

Verstehen Sie die Kritiker, die Weihnachten als Konsumorgie abtun?

Degens: Einerseits schon. Viele Leute haben das Gefühl, sie bekommen zu viel. Es gibt deshalb die Gegenbewegung in manchen Milieus, sich bewusst nichts zu schenken. Auf der anderen Seite hat auch das Beschweren über zu viele Geschenke zugenommen, es scheint schon ein Ritual zu sein, das zu Weihnachten dazugehört. Konsumkritisch könnte man überlegen: Wenn jemand sagt, er wolle keine Geschenke, weil er schon alles habe, dann darf die Frage erlaubt sein, ob derjenige nicht über das ganze Jahr schon zu viel konsumiert.

Warum schenken wir überhaupt?

Boenigk: Schenken hat verschiedene Motive, die ähneln denen vom Spenden. Zum einen handelt es sich häufig um Al­truismus, um Nächstenliebe. Doch es gibt noch andere Mechanismen, einer nennt sich Warm-Glow-Effekt. Wir fühlen uns gut, wenn wir etwas verschenken oder spenden. Da stellt sich ein Glücksgefühl ein. Ein anderes Motiv lautet Kontaktpflege. Wenn ich etwas für andere tue, ist das auch gut für mich selbst. Dies gilt vor allem beim Freiwilligen-Engagement. Und dann gibt es beim Spenden auch steuerliche Vorteile.

Degens: Wenn Schenken gelingt, äußert man sich gegenseitig Achtsamkeit und Wertschätzung. Ein bisschen größer gedacht sind Geschenke unter Fremden oder zwischen Gemeinschaften, die sich nicht garantiert wohlgesonnen sind, eine Möglichkeit, sich friedlicher Absichten zu versichern. Geschenke dienen der Schaffung verlässlicher sozialer Beziehungen. Was man intuitiv immer so trennt, also Altruismus vs. Egoismus, diese Motive kann man beide in Geschenken oder Gaben finden.

Bei dieser Form des Warenerwerbs findet eine interessante psychologische Interaktion statt, denn ein Geschenk hat immer emotionale Auswirkungen auf zwei Personen, den Geber und den Nehmer, oder?

Degens: Ganz klar. Es kommt nicht nur darauf an, was die Schenkende sich bei der Auswahl gedacht hat, sondern ob es von der Empfängerin auch so angenommen wird. Kann das Gefühl transportiert werden? Hat sich der Schenkende in mich hineinversetzt? Oder fand lediglich eine Projektion statt: Es wurde verschenkt, was dem Schenkenden selbst gut gefällt. Die Frage, ob etwas ein gutes Geschenk ist, die wird vom Empfänger beantwortet, nicht vom Verschenker.

Boenigk: Derjenige, der schenkt oder spendet, kann sehr unterschiedliche Erwartungen haben. Bei einer anonymen Spende verteilt jemand Geld und möchte unerkannt bleiben, er will also keine Reaktion. Bei der traditionellen Spende hingegen findet eine Rückkopplung statt, da erwartet man schon eher ein Danke. Das geht bis zum sog. „entrepreneurial“ (unternehmerischen) Spenden, der Spendende möchte dann bei bestimmten Projekten mitmachen und mitentscheiden. Die Wirkung und Effekte seiner Förderung möchte er direkt erfahren. Man sollte sich selbst manchmal beim Schenken oder Spenden vielleicht vorab die Frage stellen: Was erwarte ich?

Degens: Das zeigt, dass es beim Geben nicht nur um zwei Personen geht. Als Drittes ist das gesellschaftliche Umfeld im Spiel. Ein Beispiel: Spenden kann man steuerlich absetzen, institutionelle Rahmenbedingungen bestimmen also mit, ob und in welcher Form gespendet wird. Bei Blut- oder Organspenden haben wir gesellschaftliche Regelungen, die das Spendeverhalten beeinflussen.

Sind wir Deutschen großzügige Spender?

Boenigk: Die GfK-Studie „Bilanz des Helfens 2018“ zeigt: Die privaten Spenden sind von 2016 auf 2017 deutlich zurückgegangen. Wir haben viel weniger Spender als früher. Warum die Zahlen rückläufig sind, das könnte am sogenannten Intention-Behaviour Gap liegen, d. h. an sich möchte man spenden, aber schafft es doch irgendwie nicht. Die Frage ist, wie man das soziale Engagement fördern könnte, denn die Projekte und Nonprofit-Organisationen sind auf die Gelder angewiesen. Hamburg hat eine Engagement-Strategie 2020 ausgearbeitet, da sind viele gute Ideen drin, wie soziales Engagement gestärkt werden kann wie die öffentliche Anerkennung von Freiwilligen zu stärken oder Informationszentren aufzubauen: Auf der Aktivoli-Messe kann man sich beispielsweise immer sehr gut übers Thema Freiwilligenarbeit informieren. Derartige Themen kann man auch studieren. Im Fachbereich Sozialökonomie habe wir einen neuen Masterstudiengang mit 60 Masterplätzen eingeführt, der heißt interdisziplinäre Public- und Nonprofit-Studien und im Bachelor Sozialökonomie geht es u. a. auch um diese Themen.

Welche Wirkung haben Schenken und Spenden auf unsere Gesellschaft?

Degens: Gesellschaft funktioniert nicht ausschließlich durchs Geben, aber es ist doch ein wesentlicher Bestandteil. Dadurch wachsen soziale Beziehungen, sie entstehen oder verdichten sich, weil Menschen sich gegenseitig Aufmerksamkeit und Dankbarkeit widmen. Wir sind von dieser Wechselseitigkeit abhängig. Häufig merkt man noch nicht mal, dass es sich um eine Gabe handelt. Wenn man einen Fremden nach dem Weg fragt beispielsweise, und er gibt einem die gewünschte Information. Friedliche und funktionierende Gesellschaft wird so erst möglich. Gleichzeitig gibt es Stiftungen wie die Bill & Melinda-Gates-Stiftung, die sind so groß, dass sie einen Einfluss auf die Weltgesundheitsorganisation haben, sie finanzieren so viele Projekte der WHO. So produziert Geben Ungleichheit. Manche Menschen haben das Vermögen, so viel zu spenden, dass sie konkreten politischen Einfluss erhalten. Eine Problematik, die man nicht unter den Tisch fallen lassen darf.

Wie viel und an wen sollte man spenden?

Boenigk: Die durchschnittliche Spendensumme in Deutschland liegt bei 35 Euro im Jahr, ich denke, da ist für einige noch Luft nach oben. Wer kein Geld spenden kann, könnte Blut spenden. Und wer einen konkreten Tipp zu Weihnachten braucht: Der Sport leidet als Kategorie unter stark rückläufigen Spenden, minus 46 Prozent von 2016 auf 2017. Eine Mitgliedschaft in einem Sportverein, das wäre ein gutes Präsent.

Können Studien belegen, dass Schenken die eigene Stimmung beeinflusst?

Boenigk: Ja, der Good Mood Effekt ist vielfach nachgewiesen, insbesondere die Psychologie hat das gut erforscht. Man kann es aber auch leicht bei sich selbst beobachten. Ich bin Mitglied im Hamburger Spendenparlament, das sich gegen Obdachlosigkeit, Armut und Isolation einsetzt. Wenn ich morgens einen Obdachlosen sehe, dann kaufe ich ihm/ihr einen Kaffee. Ich starte meinen Tag im Büro dann irgendwie guter Dinge.

Degens: Aber wenn man nur schenkt oder spendet, um dieses gute Gefühl zu erreichen? Ich vermute, dass eine solche Instrumentalisierung des guten Gefühls nicht gelingt.

Heißt das, Schenken und Großzügigkeit helfen nicht gegen ein schlechtes Gewissen?

Degens: So stark würde ich das nicht formulieren. Wenn das schlechte Gewissen sehr groß ist, wird ein gutes Geschenk nicht ausreichen.

Macht es glücklicher, Geld für mich selbst oder für andere auszugeben?

Boenigk: Die Glücksforschung hat die Erkenntnis gewonnen, dass Glücklichsein abhängt von Gesundheit, von stabilen Beziehungen und sozialen Kontakten. Geld für andere auszugeben zahlt direkt auf die sozialen Kontakte und Beziehungen ein. Aber ich gehe auch mal gerne shoppen, sich selbst Freude zu bereiten funktioniert ebenfalls ganz gut.

Worin liegt der Unterschied zwischen Spenden und Schenken?

Boenigk: Denken Sie z. B. an Unternehmensspenden, da liegt ein Unterschied in der Reputation. Beim Spenden gibt es Mäzenen-Tafeln, oder man wird anderweitig öffentlich gelobt.

Degens: Nach Geschenken wird fast nie gefragt, um Spenden wird sehr wohl gebeten.

Aber wir schreiben doch Wunschzettel.

Degens: Stimmt. Den berüchtigten Amazon-Wunschzettel kennt wahrscheinlich inzwischen jeder. Es gibt noch ein anderes Tabu, das langsam bröckelt: Geld zu verschenken. Außer bei Hochzeiten ziemte sich das lange nicht. Ein Geldgeschenk lässt der beschenkten Person Freiheit im Konsum, es zeigt jedoch auch, dass die Schenkende sich keinerlei Gedanken gemacht hat. Es ist anonymer, weniger persönlich, wobei es auf die Geldform ankommt. Für das Foto habe ich den Brixton-Pound-Schein mitgebracht, damit können Sie ausschließlich in einem bestimmten Stadtviertel Londons zahlen, das wird sehr gerne dort als Geschenk verwendet, denn es ist etwas, was die gemeinsame Lokalität betont, also eine Gemeinsamkeit, die Basis für Freundschaften.

Können kleine Kinder Weihnachten besser genießen, weil sie nicht davon ausgehen, dass ein anderer Mensch das Präsent erworben hat, sondern das Christkind?

Degens: Wenn es eine Gabe ist, die vom Himmel fällt, dann fällt das Gefühl der Verpflichtung weg. Ein Kind glaubt nicht, es müsste das Geschenk erwidern. Doch Kinder haben ebenfalls Erwartungen. Wenn ein Geschenk nicht groß genug ist oder es nicht das ist, was man wollte, dann sind sie sehr enttäuscht. Ich frage mich, ob es nicht eigentlich schöner ist zu wissen, das Geschenk kommt von einem Mitmenschen, der sich um einen sorgt? Für unseren Hintergrund sollten wir noch wissen, warum Weihnachten zum Fest der Kinder wurde: Es handelt sich bei dieser Tradition um eine Alltagsumkehr. Festtage, an denen die herkömmliche Anordnung auf dem Kopf steht, ein Ausbruch aus dem Üblichen. An Weihnachten stehen Kinder im Mittelpunkt, denn die haben sonst eigentlich wenig zu sagen.

Wird die uralte Tradition des Schenkens jemals zu Ende gehen?

Degens: Nein, eine Gesellschaft ohne Gaben ist nicht möglich.

Boenigk: Solange es Bedürftigkeit gibt, werden wir weiter schenken.