Hamburg. Der Streit um den Digitalpakt Schule zwischen Bund und Ländern geht mitten durch die Hamburger Genossen und reißt alte Wunden auf.
Das Telefongespräch ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, wie es der Fall sein kann, wenn zwei Menschen Meinungsverschiedenheiten haben, die sich seit Langem kennen (und letztlich wohl auch schätzen). Wobei Meinungsverschiedenheit eher untertrieben ist: Als Schulsenator Ties Rabe (SPD) Anfang der Woche seinen Parteifreund, den Hamburger Bundestagsabgeordneten und Haushaltspolitiker Johannes Kahrs anrief, wollte Rabe seinem Ärger, ja, seiner Wut über Kahrs’ Vorgehen Luft machen.
Es war maßgeblich der umtriebige Kahrs, der zusammen mit dem CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg aus Mecklenburg-Vorpommern buchstäblich im letzten Augenblick für einen Passus in der geplanten Grundgesetzänderung zum Digitalpakt Schule sorgte, der nun zu einem heftigen und tief greifenden Konflikt zwischen dem Bund und den Ländern geführt hat. Die Folge: Der Digitalpakt, der Investitionen des Bundes in Höhe von fünf Milliarden Euro für die IT-Ausstattung der Schulen sowie die Aus- und Fortbildung von Lehrern vorsieht, steht mit einem Schlag wieder auf der Kippe. Das Vorhaben ist auch prinzipiell heikel, weil der Bund – in guter Absicht zwar – in die Bildungshoheit der Länder eingreift.
Rabe hatte als Koordinator der SPD-Kultusminister bereits dreimal den Durchbruch in den langwierigen und komplizierten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern verkündet und war noch vor Kurzem davon ausgegangen, dass es Anfang 2019 endlich losgehen würde. Stattdessen steht nun in den Sternen, wann die Segnungen des Digitalpakts auf die Länder niedergehen werden. Entsprechend war Rabes Laune, das bekam auch Kahrs zu spüren. Die beiden sind eigentlich politische Nachbarn und entstammen demselben eher konservativen SPD-Lager: Rabe ist Vorsitzender der SPD Bergedorf, Kahrs ist Chef der SPD Hamburg-Mitte.
Beispielloser Aufstand der Ministerpräsidenten
Kahrs reagierte vielleicht auch deswegen ausgesprochen gelassen auf die Vorwürfe des Genossen, wie es meistens seine Art ist. „Ties ist pragmatisch“, sagte Kahrs. Der Schulsenator sehe weniger für Hamburg Probleme als für andere finanzschwächere Länder. Warum also die Aufregung?
Es geht mithin ums Geld, wie meist, wenn es zwischen Bund und Ländern hakt. In dem Entwurf zur Grundgesetzänderung, den der Bundestag bereits beschlossen hat, steht nun, dass sich die Länder zu gleichen Teilen beteiligen müssen, wenn der Bund die Länder finanziell unterstützt. Die 50:50-Regelung gilt zwar nicht für den Digitalpakt selbst – da zahlt der Bund noch 90 Prozent –, soll aber für alle künftigen Co-Finanzierungen zwischen Bund und Ländern von 2020 an die Regel sein. Kahrs findet das nur fair. Rabe sagte dagegen: „Dieser Digitalpakt wäre in Zukunft nie wieder möglich, wenn die vom Bundestag beschlossene Grundgesetzänderung mit der 50:50-Finanzierung von Bund und Ländern am Ende auch käme.“
So sehen es auch die Ministerpräsidenten der Länder, und daher kam es am Mittwoch zu einem in der fast 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik wohl beispiellosen Aufstand: Alle 16 Regierungschefs – ob von SPD, CDU, CSU, Grünen oder Linken – lehnen den vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf ab und rufen den Vermittlungsausschuss an. Auf seiner letzten Sitzung in diesem Jahr, am 14. Dezember, wird der Bundesrat die Grundgesetzänderung nun nicht, wie vorgesehen, beschließen. Die Ratifizierung des Digitalpakts, die auch für Ende des Jahres vorgesehen war, ist in unbestimmte Ferne gerückt.
Kahrs: „Das ist Legendenbildung“
Auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge. Die Bund-Länder-Beziehungen würden durch die 50:50-Regelung ganz neu fixiert. „Das würde bedeuten, dass finanzschwache Länder, die gefördert werden sollen, nicht mehr mithalten könnten. Das wäre ein Rückschritt“, sagte Tschentscher in seiner gewohnt zurückhaltenden Art. Der Bürgermeister ist derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, also eine Art Sprecher der Länder-Regierungschefs.
Tschentschers Empörung und die der anderen Ministerpräsidenten richtet sich nicht nur gegen die Sache selbst, sondern auch dagegen, dass die Ergänzung in den Gesetzentwurf quasi über Nacht eingefügt worden sei. „Mit uns hat niemand vorher gesprochen. Wir waren nicht eingebunden“, sagten die Regierungschefs.
„Das ist Legendenbildung“, sagte Kahrs ungerührt dem Abendblatt. Während der ersten Lesungen des Gesetzentwurfs im Bundestag sei in Reden auf die 50:50-Absicht hingewiesen worden. Auch in den Sitzungen der Regierungsfraktionen seien die Pläne Thema gewesen. „Da waren auch die Landesvertretungen anwesend“, sagte der Bundestagsabgeordnete – auch ein kleiner Seitenhieb auf die Hamburger Parteifreunde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ein anderer Hamburger, dessen politischer Arbeitsschwerpunkt mittlerweile in Berlin liegt, verblüffend selbstkritisch reagiert hat.
„Verursacher“ sitzt nicht mehr im Rathaus
Nach Abendblatt-Informationen soll Bundesfinanzminister Olaf Scholz in einer Vorbesprechung zur Ministerpräsidentenkonferenz eingeräumt haben, dass es „ein professioneller Fehler“ auf der Bundesebene gewesen sei, die Länder nicht einzubinden. Man sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass alle Bescheid wüssten. Zwar war die 50:50-Regelung eine Initiative der Haushaltspolitiker der Regierungsfraktionen, aber der fachlich verantwortliche Finanzminister unterstützt den Plan. Damit stellt sich der frühere Erste Bürgermeister einmal mehr gegen seinen Amtsnachfolger im Rathaus.
„Wir haben einen Vorschlag des Bundesrechnungshofs aufgegriffen“, sagte Kahrs. Der Rechnungshof hatte moniert, dass die Länder aufgrund der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen von 2020 an deutlich besser abschneiden werden als der Bund. Daher sei eine 50-prozentige Beteiligung der Länder bei Bundeszuschüssen angemessen. „Das fanden wir im Haushaltsausschuss überzeugend“, so Kahrs, der auch die Grünen-Haushaltspolitikerin und frühere Hamburger Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk überzeugte mitzumachen.
Kahrs weist darauf hin, dass alle Länder – auch die notorisch klammen Berlin und Bremen – schon jetzt Überschüsse erwirtschaften, insgesamt rund 20 Milliarden Euro. Es war der damalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, der die weitere finanzielle Besserstellung der Länder 2017 in Verhandlungen mit dem Bund durchsetzte. Nun hat Scholz als Bundesfinanzminister gewissermaßen die Seiten gewechselt.
Scholz zeigte sich wie üblich ungerührt
Kahrs weist auch darauf hin, dass für ihn bei Bundesförderungen von Einzelprojekten in den Ländern, die der Bundestag auf seine Initiative hin beschließe, (fast) immer die 50:50-Regel gelte. In Hamburg sei das bei der Sanierung und Modernisierung des Altonaer Museums, des Museums für Hamburgische Geschichte oder des Fernsehturms der Fall. Trotzdem haben manche Akteure im Rathaus den Eindruck, „der Johannes“ begehe eine Art Revanchefoul, weil es ihn nerve, dass der Bund beim Geld am kürzeren Hebel sitze. Allerdings trifft Kahrs mit dem 50:50-Vorstoß nicht den „Verursacher“ Scholz, denn der sitzt ja nicht mehr im Rathaus.
Im Vermittlungsausschuss des Bundes und der Länder wird es darum gehen, möglichst schnell eine Regelung zu finden, die den Digitalpakt Schule rettet, den alle aus inhaltlichen Gründen wollen. Für Kahrs ist die 50:50-Finanzierung langfristig gesetzt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir davon abweichen“, sagte er dem Abendblatt.
Scholz zeigte sich von allem Streit wie üblich ungerührt. „Am Ende wird es die Grundgesetzänderung geben. Und das Geld für die Schulen wird kommen. Das wird sich nicht lange hinziehen“, so der Finanzminister zur „Bild“-Zeitung. Optimismus als Politiker-Pflicht.