Hamburg. Die gestiegene Nachfrage führt zu bedrohlichen Engpässen in Hamburg. Grund ist offenbar auch ein neues Bestellsystem.

Viele Hamburger Hausärzte und Apotheken haben nicht mehr genügend Grippe-Impfstoff. Der Apothekenverband der Hansestadt führt das auf eine stark gestiegene Nachfrage zurück. Klaus Schäfer, Hausarzt aus Langenhorn und Vizepräsident der Ärztekammer Hamburg, glaubt: Wer jetzt noch nicht geimpft sei, habe schlechte Karten.

„Wir haben nur noch sieben Impf­dosen in der Praxis, aber noch mindestens fünf Wochen, in denen wir impfen sollen“, klagt der Mediziner. Auch seine Apotheke habe keinen Impfstoff mehr. „Und beim Großhandel kann sie auch keinen mehr nachbestellen, weil der keinen mehr hat“, so Schäfer. Aus seiner Sicht „stockt der Impfmotor, bis er dann steht“. Die Hausarztpraxis von Klaus Schäfer ist kein Einzelfall. Bundesweit berichten Ärzte und Apotheken von Versorgungsmängeln mit dem Impfstoff.

"Nachfrage in Hamburg 20 Prozent höher"

Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Hamburger Apothekenverbands, sagt: „Wir schätzen, dass die Nachfrage in Hamburg dieses Jahr um 20 Prozent höher ist.“ Manche Ärzte hätten sogar 50 Prozent mehr Patienten geimpft als im Vorjahr. Neben der Grippewelle der Vorsaison habe auch die Ankündigung der Krankenkassen, den besseren Vierfach-Impfstoff grundsätzlich für Risikogruppen zu übernehmen, die Nachfrage erhöht. „Außerdem stand der Impfstoff sehr früh zur Verfügung“, sagt Friedrich. Ungewöhnlich viele Hamburger hätten sich vor den Herbstferien impfen lassen.

Die Pharmakonzerne könnten nicht schnell genug reagieren, indem sie Impfstoff nachproduzieren, weiß Klaus Schäfer. Die Produktion dauere etwa ein halbes Jahr. „Da kann man nicht einfach den Kochtopf anwerfen und ein paar Zutaten zusammenwerfen“, sagt der Hausarzt und Ärztekammer-Vize. Stefanie Kreiss vom Verband der Ersatzkassen (Vdek) Hamburg sagte dem Abendblatt, dass bisher etwa 200.000 Impfdosen in Hamburg ausgeliefert wurden, rund fünf Prozent mehr als in der vergangenen Saison.

Das Paul-Ehrlich-Institut, das mit der Prüfung und Zulassung der Impfstoffe betreut ist, geht zwar nicht von einem generellen Engpass aus. „Regional gibt es jedoch eine Ungleichverteilung der Influenza-Impfstoffe“, so das Institut. Die Hamburger Gesundheitsbehörde ist alarmiert – und hat eine sogenannte Allgemeinverfügung erlassen, mit der das Problem gelöst werden soll.

Gesundheitsministerium ruft "Versorgungsmangel" aus

Das Bundesgesundheitsministerium hat in der vergangenen Woche offiziell einen „Versorgungsmangel“ ausgerufen. Dadurch können die Bundesländer im Zuge einer sogenannten Allgemeinverfügung allen Apotheken und Arztpraxen erlauben, sich gegenseitig mit Impfstoff zu versorgen und selbst Impfstoffe aus dem Ausland zu importieren. „Jetzt liegt es an den Bundesländern, den Versorgungsengpass für das eigene Land zu bestätigen“, sagt Thomas Friedrich vom Apothekenverband.

Das hat Hamburg nun getan und ist damit dem Beispiel Schleswig-Holsteins gefolgt: Nach anfänglicher Zurückhaltung erließ die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz am Freitag eine Allgemeinverfügung für die Hansestadt. Das bedeutet: Auch alle Hamburger Ärzte und Apotheker dürfen sich jetzt gegenseitig mit Impfstoffen aushelfen. Ob für alle Hamburger, die sich jetzt noch impfen lassen möchten, ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, kann die Gesundheitsbehörde nicht einschätzen. „Apotheker- oder Ärzteverbände sind grundsätzlich nicht verpflichtet, der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz gegenüber Engpässe bei Grippeimpfstoffen zu melden“, teilte Sprecherin Mareike Horstmann dem Abendblatt mit.

Was kann man tun, um Lieferengpässe von vornherein zu vermeiden? Ärztekammer-Vize Klaus Schäfer sieht die Krankenkassen in der Pflicht. Der aktuelle Engpass sei „Folge eines planwirtschaftlichen Herangehens an Gesundheitsprobleme“. Die Kassen hätten in diesem Jahr nur eine begrenzte Anzahl von Herstellern akzeptiert. Schäfer: „Früher hatten wir mehrere Hersteller. Wenn einer nichts hatte, konnte man immer auf den anderen zugreifen.“

Das sieht der Apothekerverband anders. Gerade der verschärfte Wettbewerb führe dazu, dass nur noch so viel produziert werde, wie Ärzte und Apotheker vorbestellten, sagt Geschäftsführer Thomas Friedrich. „Viele Ärzte tun sich schwer mit den Vorbestellungen.“ Früher habe es ausgereicht, den Grippeimpfstoff kurzfristig in der Apotheke zu bestellen. „Damals wurde auf Überfluss produziert.“ Wer zu viel bestellte, konnte es an den Hersteller zurückgeben und bekam oft noch 40 Prozent des Einkaufspreises zurück. Das neue Vorbestellungssystem sei zwar „nachhaltiger, aber nicht mehr flexibel“.