Hamburg . Seit 25 Jahren hilft der Verein Dunkelziffer Opfern von sexueller Gewalt. Benefizkonzert am Dienstag in Hamburg.
Statistisch gesehen ist in jeder Schulklasse ein Kind betroffen, völlig egal, in welchem Bundesland, in welcher Stadt oder in welchem Stadtteil. Pro Klasse ein Kind, das in seinem Leben schon einmal Opfer von sexueller Gewalt geworden ist.
Die Zahlen stammen aus Broschüren, die in Bahrenfeld im Wartebereich des Vereins Dunkelziffer ausliegen. Wer hier Platz nimmt, der vermutet Schreckliches, weiß es vielleicht sogar sicher oder ist selber Opfer geworden. Es ist ein Ort, an dem das vermeintlich Unsagbare Gehör findet und an dem es Hilfe gibt.
Benefizkonzert der Bundesärztephilharmonie
Gegründet wurde der Verein im Jahr 1993 von dem „Stern“-Reporter Klaus Meyer-Andersen. Dieser hatte 1989 für einen Artikel über Kinderpornografie recherchiert und war der Annahme, dass er dafür auf die Philippinen reisen müsse. Ein Irrglaube. Denn bei seiner Recherche stellte er fest, dass es Kinderpornografie auch überall in Deutschland gibt. Von den Ergebnissen seiner Recherche war er so entsetzt, dass er den Verein Dunkelziffer gründete, der in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Ein Benefizkonzert der Bundesärztephilharmonie in der Laeiszhalle am Dienstag soll der krönende Abschluss des Jubiläums sein.
Was sich seit der Gründung getan hat, kann wohl niemand besser erzählen als die Geschäftsführerin Vera Falck, die seit 20 Jahren bei Dunkelziffer tätig ist. „Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist auch heute noch ein Tabuthema“, so Falck. „Im Schnitt werden noch immer rund 14.000 Fälle pro Jahr angezeigt. Und die Dunkelziffer ist zehn- bis 15-mal so hoch.“ Allerdings seien die Menschen heute aufmerksamer geworden, was vor allen Dingen an den Enthüllungen über den systematischen sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule, dem Canisius-Kolleg und kirchlichen Einrichtungen liege. „Da ging ein richtiger Ruck durch Deutschland.“
800 bis 1000 Erstanfragen pro Jahr
Zwischen 800 bis 1000 Erstanfragen verzeichnet Dunkelziffer pro Jahr. Das können Erzieher sein, die Auffälligkeiten bei einem Kind bemerkt haben, eine Mutter, die glaubt, dass ihrem Kind etwas angetan wurde oder ein Vertrauenslehrer, dem ein Verdacht zugetragen wurde. „Die Opfer selbst melden sich von alleine so gut wie nie, weil die Scham meist zu groß ist“, sagt Falck. Insbesondere auch, weil 75 Prozent der Täter aus dem Umfeld des Opfers kämen. „Das verunsichert die Betroffenen enorm, weil Nähe und Vertrauen hier ausgenutzt werden und die Betroffenen das Verhalten nicht einordnen können.“
Im Gegensatz zu anderen Straftaten gibt es bei sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen keinen Zusammenhang zwischen dem sozialen Status und der Häufigkeit. „Den sicheren Stadtteil gibt es nicht“, betont Falck. „Begehrte Kinderpornofilme können bis zu 10.000 Euro kosten. Da wird klar, dass die Täter auch aus vermeintlich besseren Kreisen kommen.“
Durch das Internet hätten es die Täter heute besonders leicht, in Kontakt zu ihren Opfern zu treten. In Chatrooms, in denen Kinder und Jugendliche unterwegs seien, würden Täter gezielt nach ihren Opfern suchen. „Sie erschleichen sich Vertrauen und manipulieren die Kinder und Jugendlichen so, dass sie Fotos von sich preisgeben oder sich sogar auf ein Treffen einlassen“, so Falck.
Präventionsarbeit ist wichtig
Umso wichtiger sei die Präventionsarbeit: Der Verein geht an Schulen und Kitas, bietet Seminare und Weiterbildungen für Lehrer und Erzieher an und arbeitet in begleitender Funktion auch mit Ermittlungsbehörden zusammen. „Wir würden uns, was die Schulen und Kitas angeht, aber ganz klar über noch mehr Nachfrage freuen“, so Falck. Die Vorbehalte von deren Seiten seien leider oft groß. Die Annahme, dass die Präventionsarbeit allein auf das Thema Missbrauch fokussiert sein könnte, schrecke viele ab. „Aber tatsächlich geht es uns viel mehr darum, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken, ihnen zu vermitteln, dass der Körper ihnen gehört und dass es wichtig ist, Nein sagen zu lernen.“
Neben Schulen und Kitas ist Dunkelziffer auch in Flüchtlingsunterkünften fortbildend und präventiv aktiv. „Dort erleben wir häufig, dass nicht oder kaum bekannt ist, dass es sich bei sexueller Gewalt um eine Straftat handelt und dass es Hilfsangebote gibt“, so Falck. „Wir verteilen dort unter anderem Informationsflyer in unterschiedlichen Sprachen mit allen wichtigen Adressen und Ansprechpartnern.“
30 kostenlose Therapieplätze
Neben der Präventionsarbeit und der Beratung ist ein großer Bereich auch die Therapie. Rund 30 kostenlose Therapieplätze werden in Hamburg angeboten. Das jüngste Kind, das derzeit bei Dunkelziffer in Behandlung ist, ist gerade einmal vier Jahre alt. „Es ist eine gemeinschaftliche Aufgabe der gesamten Gesellschaft, den Mut aufzubringen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, es anzusprechen und sich gegebenenfalls an eine Beratungsstelle zu wenden“, sagt Falck. Denn sicher sei nur eins: „Die Opfer machen es so gut wie nie.“
Benefizkonzert
Am 27. November gibt es in der Laeiszhalle ein Benefizkonzert zugunsten von Dunkelziffer. Das Konzert der Bundesärztephilharmonie beginnt um 19.30 Uhr. Karten ab 18,60 Euro über
eventim.de.
Dunkelziffer wird ausschließlich über Spenden finanziert. Spenden werden erbeten: Haspa: IBAN: DE15 2005 0550 1280 3339 96; Deutsche Bank: IBAN: DE34 2007 0024 0868 0001 00