Hamburg. Die geplante S-Bahn-Linie nach Bad Oldesloe elektrisiert Anwohner. Verkehrsexperten empfehlen eine alternative Route.

Wenn es nach den Plänen der Deutschen Bahn AG geht, beginnt in absehbarer Zeit der viergleisige Ausbau der Bahnstrecke von Hamburg nach Bad Oldesloe. Derzeit sind es auf der Linie der RB81 zwei Gleise. Dahinter steckt die Idee, Hamburg und den Nordosten im S-Bahn-Takt zu verbinden.

Was Politiker meist verschweigen: Es geht gar nicht nur um den Neubau S-Bahn-Linie S 4 (Ost) Hamburg – Bad Oldesloe, sondern um ein Milliardenprojekt im Nah- und Fernverkehr: eine leistungsstarke Bahntrasse über den Fehmarnbelt bis nach Skandinavien. Ein Gutachten der Münchner Verkehrsberatung Vieregg - Rössler GmbH, das dem Abendblatt vorliegt, fasst erstmals die Folgen für die Anwohner zusammen. Und empfiehlt dringend eine alternative und kostengünstigere Route.

Wie es in dem Papier heißt, würden nach den bisherigen Bahn-Plänen auf der Gesamtstrecke von Hamburg bis nach Bad Oldesloe "einige Hundert" Hauseigentümer Teile ihrer Grundstücke verlieren, damit die Bahn die Strecke auf vier Gleise verbreitern kann. Allein auf einem 250 Meter langen Abschnitt nahe Hasselbrook wären 45 Eingriffe in Privatgrund sowie die Räumung von Kleingärten erforderlich, heißt es in dem Gutachten. "Der Bau der S 4 ist somit mit einem hohen Aderlass der vielen Betroffenen verbunden."

Die Auftraggeber

Das Gutachten der Münchner Verkehrsberatung wurde von der "Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg-Lübeck e.V." in Auftrag gegeben. Die Experten, die regelmäßig den Bundesverkehrsausschuss beraten, haben jetzt einen alternativen Vorschlag entwickelt. Statt Ausbau der bisherigen Bahnstrecke für den europäischen Gütertransport sollte eine neue Trasse entlang der Autobahn A1 von Hamburg-Moorfleet nach Lübeck-Reecke gebaut werden. Der Zwischenraum von Autobahn und Eisenbahn betrage im Durchschnitt zehn Meter. Lediglich im Bereich des Autobahnkreuzes Hamburg-Ost müsse die Bahnlinie gut 100 Meter abrücken, um hier die Höchstgeschwindigkeit von 200 Stundenkilometer zu ermöglichen.

Auf der A1-parallelen Neubaustecke könnten Intercity-Züge von Hamburg nach Lübeck im 30-Minuten-Takt, der Güterverkehr mit bis zu 835 Meter langen Güterzügen Richtung Fehmarnbelt und der Regionalverkehr Richtung Bad Oldesloe und Reinfeld rollen. Die Nutzung der Alt-Strecke für die künftige S 4 ist nach dem bisherigen Konzept möglich.

Nach Ansicht der Gutachter überwiegen die Vorteile. Die Neubaustrecke entlang der Autobahn sei "etwas kostengünstiger" und bringe für die Anwohner einen großen Vorteil: "Es wird fast kein Fremdgrund von Wohn- und Gewerbeflächen benötigt." Zudem sei kein einziger Gebäudeabriss notwendig. Ebenso positiv wiege, dass die europäischen Schutzgebiete in Natur- und Landschaftsschutz (FFH) nicht oder kaum berührt würden. Anfang nächsten Jahres wollen die Münchner Verkehrsgutachter ihre Pläne in Hamburg vorstellen.

Atomtransporte durch Hamburg

Die Befürchtungen der Hamburger "Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg-Lübeck e.V." gründen sich auf den geplanten Ausbau der Bahntrasse zwischen beiden Hansestädten. Zwar bringt sie mit der neuen S 4 vom Jahr 2024 an erhebliche Verbesserungen für Pendler. Zugleich soll aber auch der Güterverkehr drastisch zunehmen. Derzeit fahren auf der Eisenbahnstrecke zwischen Hamburg und Bad Oldesloe beziehungsweise Lübeck täglich nicht nur 90 Nahverkehrszüge in jede Richtung, sondern auch Dutzende Güterzüge. Nach dem Ausbau der Trasse könnte die Zahl den Prognosen des Bundes zufolge auf 120 Güterzüge am Tag ansteigen. Auch die Länge der Transporte wird wachsen – von 740 aus 835 Meter.

Eine weitere Sorge: Nuklearmüll aus ganz Europa wird demnächst auf der finnischen Insel Olkiluoto endgelagert werden – und der Transport könnte auf der Schiene mitten durch Hamburgs Osten rollen. Betroffen wären rund 250.000 Anwohner in der Nähe der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Lübeck (Wandsbek, Tonndorf, Rahlstedt, Ahrensburg, Bargteheide). "Es sind Gefahrguttransporte in größerem Umfang zum geplanten Atommüllendlager in Finnland und dem Atommüllzwischenlager in Rødbyhavn in Zukunft zu erwarten", warnt der Wandsbeker Rechtsanwalt Jürgen Mattulat, der sich für die Bürgerinitiative engagiert.