Hamburg. Am Freitag wurde Schriftstellerin Ulla Hahn ausgezeichnet. Sie wünscht sich vom Bürgermeister “Poesie im Rathaus“.
Zum achten Mal wurde der Hannelore-Greve-Preis der Hamburger Autorenvereinigung vergeben, zum dritten Mal erhielt ihn ein Schriftsteller aus Hamburg. Oder in diesem Fall, um genau zu sein, nach Siegfried Lenz und Arno Surminski eine Hamburger Schriftstellerin: Ulla Hahn. Wobei es für die 73-Jährige wohl auch nach mehr als vier Jahrzehnten in der Hansestadt keine Frage ist, dass ihre erste Heimat, ihre eigentliche, das Rheinland bleibt.
Sie habe einst, sagte Hahn bei der feierlichen Preisverleihung im Rathaus, in der zweiten Heimat Hamburg die Freiheit gefunden, den Blick zurück in die erste zu werfen. „Den Ballast der Vergangenheit in Proviant umzuwandeln, darauf kommt es an“, erklärte sie in ihrer Rede. Literarisch gelang ihr das in einer vierbändigen, autobiografischen Tetralogie vorzüglich. Einer Saga, die die Jury des mit 25.000 Euro dotierten Preises schon vor der Veranstaltung gelobt hatte: In Hahns Romanen spiegele sich „unter anderem die Entwicklungsgeschichte der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit, einschließlich des ,deutschen Herbstes’ und der 68er-Bewegung“. Und weiter: „Ihre durch persönliche Erfahrung und Bezug auf diese von gesellschaftlichem Umbruch gezeichnete, 50 Jahre zurückliegende Geschichtsphase machen das Lebenswerk Ulla Hahns preiswürdig.“
Tschentscher lobt Hahn als eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen
Wobei man im Hinblick auf die 2500 Seiten Prosa, auf die 20 Jahre Schaffenskraft, die Hahn der dem eigenen Leben abgepausten Hilla-Palm-Story gewidmet hat, nie vergessen darf, dass Hahn (Bürgermeister Peter Tschentscher: „Eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen der Gegenwart“) von Hause aus Lyrikerin ist. Vergaß auch niemand. Weder die Jury noch Werner Thissen, der emeritierte Erzbischof Hamburgs. Thissen, aufgrund seiner nordrhein-westfälischen Herkunft und seiner Konfession eine naheliegende Wahl als Laudator für die katholische Arbeitertochter Hahn, unterzog das lyrische Werk Hahns einer liebevollen und genauen Lektüre.
Und somit erklangen beredte Lautproben jener Dichtkunst im Festsaal des Rathauses, dargeboten und interpretiert von einem langjährigen Kenner des Hahn’schen Werks. Dabei wies Thissen nachdrücklich auf die Gottes- und Glaubensbezüge in den Gedichten hin, und er arbeitete einen inhaltlichen Schwerpunkt der Dichterin heraus. Der bestehe in der Frage an sich und ihre Leser, ob das eigene Leben denn lebendig genug sei. Manches Gedicht, so Thissen, „kommt mir vor wie eine Partitur, da will etwas zum Klingen gebracht werden“. Für die musikalische Untermalung sorgte die japanische Pianistin Mari Kodama. Deren Ehemann Kent Nagano, Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, wohnte der Feierstunde ebenso bei wie der Schriftsteller Arno Surminski und die Preisstifterin Hannelore Greve.
Hahn wünscht sich von Bürgermeister Tschentscher "Poesie im Rathaus"
Hahn selbst berichtete in ihrer Dankesrede vom ersten Aufeinandertreffen mit ihrem heutigen Ehemann Klaus von Dohnanyi, der („Ich habe alle Ihre Gedichte gelesen.“) Hahn einst im Rathaus begegnete. Und zwar, das war die über das Private weit hinausgehende Motivation für das Erzählen der 30 Jahre zurückliegenden Begebenheit, anlässlich einer Veranstaltung namens „Poesie im Rathaus“.
Von der Vergangenheit schlug Hahn einen Bogen in die Gegenwart und richtete sich dabei an den heutigen Bürgermeister Hamburgs: „Der Poesie, der Sprache habe ich zu danken, dass ich heute hier stehe. ‚Poesie allein ist Weltversöhnung‘, so Friedrich Rückert. Wie wäre es, wenn Sie, verehrter Herr Bürgermeister, unter diesem Motto ein-, zweimal im Jahr zur ‚Poesie im Rathaus‘ in diesen schönen Saal einladen würden. Menschen aus unterschiedlichen Sprachen und Kulturen könnten sich ihre Gedichte und Lieder nahebringen, miteinander ins Gespräch kommen und ein Fest der Weltversöhnung feiern.“
Die Fragen nach Heimat und Heimat durch Sprache seien angesichts von vielen Menschen aus anderen Kulturkreisen, die nach Deutschland kämen, hochaktuell, so Hahn. Sie zitierte Heidegger („Sprache ist das Haus des Seins“) und blieb in ihren Worten insgesamt doch so lebensnah wie in ihren Texten.