Hamburg/Rostock. Fertigstellung des Kreuzfahrtschiffs verzögert sich immer weiter. Hamburg steuert das neue Flaggschiff wohl überhaupt nicht mehr an.
Nun also doch: Nachdem die Reederei AIDA Cruises bisher trotz kleinerer Verzögerungen immer versichert hatte, dass die Jungfernfahrt ihres neuen Flaggschiffs „AIDAnova“ ab Hamburg nicht gefährdet sei, musste sie am Freitag einräumen, dass daraus nichts wird: Die für den 2. Dezember vorgesehene Fahrt von Hamburg aus ist abgesagt; ebenso fünf weitere Kurzreisen. Die erste Tour soll nun am 19. Dezember auf den Kanaren starten. Der Grund: die Meyer Werft kann das Schiff nicht rechtzeitig fertigbauen.
Offenbar sind aber noch mehr Projekte betroffen. So zitierte die „Neue Osnabrücker Zeitung“ in dieser Woche aus einer internen Mitarbeiterzeitschrift der Werft, in der ein Mitglied der Geschäftsführung schreibt: „Bei allen Schiffprojekten und Bereichen der Werft haben wir erhebliche Verzögerungen.“ Der Werftsprecher wollte den Bericht nicht kommentieren. Er stellte nur klar, dass es bislang über die „AIDAnova“ hinaus zu keinem Verzug bei Aufträgen komme. Dennoch fragen jetzt viele: Was ist los bei Meyer?
Bisher galt die familiengeführte Werft in Papenburg als ein Vorzeigeunternehmen. Die größten und schönsten Kreuzfahrtschiffe wurden an der Ems gebaut – und immer pünktlich abgeliefert. Stolz lud Werftchef Bernard Meyer im Februar 2017 zum Baustart der „AIDAnova“ ein. „Wir bauen das weltweit erste Kreuzfahrtschiff, das komplett mit umweltfreundlichem Flüssigerdgas betrieben werden kann“, verkündete er damals. Es war der Start einer ganzen Reihe von Aufträgen von AIDA und der Konzernmutter Carnival Corporation aus den USA.
Auf der AIDAnova gerieten zwei Kabinen in Brand
Ein Triumph für Papenburg. Denn reumütig war Deutschlands größte Kreuzfahrtreederei zu der Werft an der Ems zurückgekehrt, nachdem ein Neubauauftrag bei japanischen Werften schiefgegangen war: Mit Niedrigpreisen hatte Mitsubishi die Reederei gelockt und mit dem Versprechen, Kreuzfahrtschiffe genauso gut bauen zu können wie Meyer. Doch das Schiff, die „AIDAprima“, wurde mit einem Jahr Verspätung abgeliefert – und Mitsubishi zahlte eine horrende Vertragsstrafe.
Bei Meyer geht es offensichtlich nun lediglich um eine Verzögerung von Wochen. Aber bei der deutschen Traditionswerft, so der Eindruck, will es in diesem Jahr einfach nicht rund laufen. Erst geriet das Unternehmen in die Schlagzeilen, weil es ein Subunternehmen beschäftigte, dem vorgeworfen worden war, seine Mitarbeiter auszubeuten. Dann meldeten sich Umweltschützer zu Wort, die beklagten, die vielen Überführungsfahrten der Kreuzfahrtschiffe würden Flora und Fauna entlang der Ems schaden. Außerdem gerieten auf der „AIDAnova“ zwei Kabinen in Brand. Mittlerweile steht fest, dass es sich um Brandstiftung handelte und kein technischer Defekt dahintersteckte. Zu allem Überfluss wurde bekannt, dass TUI Cruises – zuletzt Stammkunde bei Meyer – nun im finnischen Turku beim Papenburger Konkurrenten Fincantieri seine Neubauten ordert.
Die Werft hat volle Auftragsbücher bis 2024
Letzteres ist für Meyer aktuell kein Problem, da die Werft noch volle Auftragsbücher bis ins Jahr 2024 hinein hat. Außer der „AIDAnova“ stehen zwölf weitere Kreuzfahrtschiffe auf der Liste. Doch möglicherweise ist dieser Fakt genau das Problem: Der Termindruck bei der Meyer Werft ist extrem hoch. So hatte Werftchef Bernard Meyer jüngst mögliche Verzögerungen in der Mitarbeiterzeitschrift „Kiek.ut“ selbst thematisiert und seine Belegschaft zu freiwilliger Mehrarbeit aufgerufen. Der Betriebsrat steht zwar hinter den Aussagen des Chefs, macht aber klar, dass diese Mehrarbeit nur zeitlich begrenzt möglich sei. Und er fordert, weitere Mitarbeiter einzustellen.
Die Meyer Werft teilte nun am Freitag mit, die „AIDAnova“ sei ein besonders komplexer und innovativer Prototyp. „Es braucht einfach noch etwas Zeit, um das Schiff für die ersten Gäste vorzubereiten.“ Es werde aber nun mit Hochdruck daran gearbeitet, alle Tests bis zum 30. November erfolgreich abzuschließen. Doch ist die Komplexität des Neubaus offenbar nicht der alleinige Grund für die Misere. So hört man bei der Meyer Werft auch von strategischen Veränderungen in der Organisation. Aufgabenbereiche wurden offenbar komplett neu zugeschnitten.
Nach Angaben von AIDA-Sprecher Hansjörg Kunze werden die Verzögerungen bei der „AIDAnova“ damit begründet, dass die öffentlichen Bereiche nicht rechtzeitig fertig werden. Technisch funktioniere alles, die erste Testfahrt sei erfolgreich verlaufen. Auch die Kabinenbrände im Oktober sollen nicht der Grund dafür gewesen sein, dass Meyer nicht im Zeitplan liegt.
Noch keine Anläufe der AIDAnova in Hamburg geplant
Die Gewerkschaft sieht bei der Meyer Werft ein strukturelles Problem, nämlich den hohen Anteil an Fremdarbeitern. „Die Meyer Werft hat knapp 3500 eigene Mitarbeiter. Hinzu kommen 500 Leiharbeiter und 2000 bis 3000 Beschäftigte, die über Fremdfirmen auf Werkvertragbasis eingesetzt werden. Es würde uns nicht wundern, wenn da nicht alles ineinander greift“, sagte der Sprecher der IG Metall Küste, Heiko Messerschmidt, dem Abendblatt. Auch der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Papenburg, Thomas Gelder, beklagt den hohen Anteil an Werkvertragarbeitern: „Das Verhältnis zwischen eigenem und fremden Personal stimmt bei Meyer nicht.“
Den Hamburgern hilft das allerdings nicht. Nach der Absage der Jungfernreise werden sie die „AIDAnova“ zunächst einmal nicht zu Gesicht bekommen. „Geplant sind derzeit keine Anläufe in der Hansestadt“, sagt AIDA-Sprecher Kunze. Die „AIDAnova“ ist mit 2500 Kabinen das größte Schiff der Reederei. Tausend Passagiere, die von den Ausfällen betroffen sind, sollen nun ihr Geld zurückerhalten. Sie könnten sich darüber hinaus eine neue Reise aussuchen und erhielten darauf 50 Prozent Rabatt, so Kunze. Betroffen sind neben den Gästen der Jungfernfahrt auch Kunden, die Touren rund um die Kanaren vom 12. bis 19. sowie vom 15. bis zum 22. Dezember gebucht haben.