Hamburg. Die Stadt braucht dringend Mitarbeiter für die Sozialämter. Dafür geht sie ungewöhnliche Wege – jedenfalls für eine Behörde.
„Es war eine Offenbarung!“ Mit einem solchen Satz beschreibt man etwas, das einen nicht nur positiv überrascht, sondern geradezu vor Begeisterung umgeworfen hat. Es ist ein Satz, den wohl kaum jemand mit der Arbeit im Sozialamt in Verbindung bringen würde. Es sei denn, man unterhält sich mit Tina Peters. Die 38-Jährige ist Amtsinspektorin – sprich Sachbearbeiterin – im Fachamt für Grundsicherung und Soziales im Bezirksamt Nord in Langenhorn. Da fällt den meisten Menschen schnell die Vokabel „staubtrocken“ ein. Im Gegenteil, sagt Tina Peters: „Die Aufgabe ist so vielfältig, kein Tag ist wie der andere, und selbst sehr erfahrene Kollegen stellen immer wieder fest, dass sie sich in Neues einarbeiten.“ Nun sucht die Stadt Hamburg dringend 55 neue Mitarbeiter für die Fachämter Grundsicherung und Soziales der sieben Hamburger Bezirksämter.
„In den kommenden sechs Jahren gehen 25 Prozent der Mitarbeiter in den Ämtern in Ruhestand“, erklärt Jana Priewe die Suche nach neuen Kollegen. Sie ist Personalleiterin des Bezirksamtes Hamburg-Nord, das federführend ist für Personal der Hamburger Bezirksämter. Also wird ein Viertel der Mitarbeiter, die erfahren und mit viel Fachwissen für die Bürger da sind, nicht mehr dabei sein. „Die Mitarbeiter, die derzeit ausgebildet werden, werden die Lücke nicht füllen können“, sagt Priewe. Schon seit einiger Zeit ist die Behörde auf der Suche nach Fachkräften.
Auch Juristen sind willkommen
Die sind jedoch nicht so leicht zu finden. Gesucht werden vor allem ausgebildete Verwaltungsfachangestellte. In der Beamtenlaufbahn ist das vergleichbar mit der Ausbildung zu Regierungssekretären, wie sie zum Beispiel auch Tina Peters absolviert hat, die mittlerweile Beamtin im mittleren Dienst ist. Auch Juristen sind willkommen für die Aufgabe, ebenso wie Betriebswirte, die sich im Studium mit einigen Rechtsgebieten intensiver beschäftigt haben. Denn eins ist Voraussetzung für die Aufgabe: Bewerber müssen Gesetzestexte lesen, verstehen, mit ihnen arbeiten können. Vor allem mit dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch sowie mit dem Asylbewerberleistungsgesetz haben es die Mitarbeiter wie Tina Peters zu tun.
Die Sachbearbeiter sind Ansprechpartner für Bürger, die Unterstützung für den Lebensunterhalt beantragen möchten. Das sind zum Beispiel Menschen über 65, die wenig oder keine Rente bekommen, oder diejenigen, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sowie Geflüchtete, die eine Duldung haben. Die Sachbearbeiter nehmen die Anträge auf, prüfen sie und entscheiden darüber, sie fordern fehlende Unterlagen an, leiten Anträge an andere Stellen weiter. Und sie beraten die Bürger, wenn diese Unterstützung bei anderen Behörden beantragen können wie zum Beispiel Wohngeld.
Anträge aufnehmen und bearbeiten
Die Sachbearbeiter haben viel mit anderen Bereichen zu tun wie Kinder- oder Wohngeld, Krankenversicherungsschutz oder Rente. Doch es geht nicht nur um Fachwissen. „Es braucht Einfühlungsvermögen“, findet Tina Peters. Und man hat auch immer wieder mit traurigen Schicksalen zu tun. Da muss man eine innere Grenze ziehen, um dies nicht mit nach Hause zu nehmen.
„Viele Menschen haben eine Hemmschwelle, im Sozialamt zu arbeiten“, sagt Peters. „Ich kenne das – ich gehörte zu ihnen.“ Peters war stellvertretende Abteilungsleiterin im Kundenzentrum Fuhlsbüttel und wünschte sich vor zwei Jahren frischen Wind in ihrer beruflichen Laufbahn, eine neue Herausforderung. Ausgerechnet das Sozialamt wurde ihr dafür ans Herz gelegt. Da kommen merkwürdige Gestalten, es gibt den ganzen Tag nur Ärger – so sieht das Klischee dieser Arbeit aus. Peters war dennoch neugierig und hospitierte vier Wochen im Sozialamt. Und dann kam sie, die Offenbarung. Die Abwechslung hat es Peters angetan. Und: „Das Klischee stimmt nicht“, stellt sie fest. „Es kommen Menschen wie du und ich.“ Überwiegend jedenfalls.
Diese Freude am Job soll nun ansteckend sein. Da es nicht einfach ist, Fachkräfte zu finden, hat Personalleiterin Jana Priewe beschlossen, neue Wege bei der Personalsuche zu gehen. So wurde an 8000 Mitarbeiter der Stadt Hamburg eine E-Mail geschickt, in der auf die 55 offenen Stellen aufmerksam gemacht wird – und die Kollegen gebeten werden, die Ausschreibung an Freunde, Bekannte, Familie und ehemalige Kollegen zu schicken oder alle anzusprechen, die für den Job passen würden. „Wer bei der Stadt arbeitet, kennt ehemalige Kollegen und weiß, wie die Arbeit aussieht und wer infrage käme“, erklärt Priewe. Und sofern es vorkommt, dass ein Bürger zum Amt kommt und laut Lebenslauf entsprechende Voraussetzungen mitbringt, spricht der Sachbearbeiter ihn an, ob er Interesse hat, sich zu bewerben.
Multiplikatoren für das Recruiting
In einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, versierte Mitarbeiter zu finden, müssen Personaler erfinderisch werden. Unternehmen entdecken den Weg schon seit einiger Zeit, ihre Mitarbeiter als Multiplikatoren einzusetzen. Dass eine Behörde so vorgeht, ist bislang noch nicht üblich gewesen.
Nicht zuletzt wurde eine Seite im Internet gestaltet, auf der zur Stellenausschreibung Mitarbeiter von ihrer Arbeit erzählen – eine davon ist Tina Peters. „Ich habe die Mail auch im Freundeskreis herumgeschickt und einen Freund direkt angesprochen“, berichtet sie. Einige haben ihre Bewerbung eingereicht. Noch bis kommenden Freitag, 16. November, können Interessierte ihre Unterlagen schicken (siehe Info). Und vielleicht erleben dann einige von ihnen bald das, was Tina Peters vor zwei Jahren erfahren hat: eine Offenbarung.