Hamburg. Lesekompetenz wird immer wichtiger - Wir haben mit Prof. Dr. Dagmar Bergs-Winkels darüber gesprochen.

Das Lese-Paten Projekt des Hamburger Abendblattes wurde im Mai 2016 ins Leben gerufen. Mithilfe der Lese-­Paten wollen wir die Lesekompetenz von Schülern fördern. Was Lese-Kompetenz ist, wie sie sich auswirkt und wann man Kinder an das Lesen heranführen sollte, darüber haben wir mit Professorin Dagmar Bergs-Winkels gesprochen.

Was ist Lesekompetenz und wie erwirbt man sie?

Dagmar Bergs-Winkels: Der Begriff Lesekompetenz umfasst Lesefähigkeit und -verstehen. Es beschreibt die Fähigkeit, einzelne Wörter, Sätze und ganze Texte fließend zu lesen und zu verstehen. Es beschreibt auch die Fähigkeit über Texte zu reflektieren, eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Die Lesekompetenz ist abhängig von Lesegeschwindigkeit, Wortschatz, Lesestrategien, Arbeitsgedächtnis sowie Kognition und Motivation.

Ab wann sollte ein Kind an das Lesen herangeführt werden?

Bergs-Winkels: Am besten von Geburt an, zunächst über das Lesen von Bildern in Bilderbüchern, dann das Lesen von Geschichten und allem was in der Lebenswelt von Kindern zu lesen ist.

Inwiefern fördert das Vorlesen die Lesekompetenz des Kindes?

Bergs-Winkels: Über das Vorlesen erlernen Kinder zunächst wie Texte funktionieren, wo ist vorne, wo hinten, Umblättern, Leserichtung, Betonung, Kontext von Worten und vieles mehr. Vor allem aber hören sie wunderbare Geschichten, die die Fantasie und Vorstellungskraft fördern.

Wie können Eltern ihre Kinder an das
Lesen heranführen?

Bergs-Winkels: Vor allem indem Sie selber lesen und dem Lesen eine Bedeutung in ihrem Umfeld geben. Ein Angebot an Büchern unterschiedlichster Genres sowie eigene Kinderbücher, die jederzeit erreichbar sind, gehört auch dazu. Der Besuch von Bibliotheken, Buchläden begeistern in der Regel Kinder und Eltern.

Man liest, dass es immer mehr Kinder an den weiterführenden Schulen gibt, die nicht genügend Lesevermögen in den Grundschulen erworben haben. Wie kann das verhindert werden?

Bergs-Winkels: Ich finde, dass die Schule als Startpunkt für Leseförderung viel zu spät ist. Das Interesse an Sprache, Schrift und gesprochenen Wort wird früher geweckt und sollte gefördert werden.

Die Vielzahl an Kinderbuchverlagen macht Hamburg zu der Kinderbuchstadt schlechthin. Wenn Familien, Kitas und Schulen diese Angebote nutzen, erfahren Kinder schon früh vielfältige Anregungen. Und dann ist Lesenlernen natürlich auch eine Übungssache. Dabei ist nicht so wichtig, was Kinder lesen, sondern dass sie lesen! Viele Eltern sind besorgt wenn Kinder Comics lesen oder „nur“ am Computer spielen - dabei wird bei beidem in der Regel auch Lesekompetenz gefördert. Zunächst befähigt Lesen uns zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Kriterien dazu, was ein gutes Buch ist, erschließen sich über Erfahrung mit unterschiedlichen Formen der Schrift. Also auch hier möglichst viele unterschiedliche Angebote machen und die Kinder diese entdecken lassen.

Wie wichtig ist die Förderung von Lesekompetenz an Hochschulen?

Bergs-Winkels: Auch hier geht es um Übung, schließlich ist ein wissenschaftlicher Text anders strukturiert als ein Roman oder ein Gedicht. Im Rahmen von Propädeutik-Veranstaltungen wird die wissenschaftliche Lesekompetenz geübt.

Wie vermittelt die Hochschule angehenden Pädagogen die Wichtigkeit dieses Themas?

Bergs-Winkels: Bei uns an der HAW im Studiengang Bildung und Erziehung in der Kindheit widmen wir uns der Förderung von Lesekompetenz von Kindern auf unterschiedlichsten Wegen. Theoretisch in der Vermittlung von Sprachtheorien und Sprachentwicklung. Praktisch durch Hospitationen in Bibliotheken, im Kinderbuchhaus oder in Verlagen. Wir kooperieren mit den Illustratoren unserer Hochschule, damit Studierende einen Eindruck von der Produktion von Kinderbüchern bekommen. Wir schauen in Kitas und Schulen, welchen Stellenwert Bücher und generell Medien dort haben. Im internationalen Seminar „childrens books“ befassen wir uns auch mit Schrift und Bild in anderen Kulturen.