Hamburg. Mehr als 20.000 Taten in sechs Monaten, 818 Fälle zurückgestellt. CDU-Abgeordneter Dennis Gladiator: „Mitarbeiter brechen zusammen“.
Die Kriminalität in der Hansestadt geht insgesamt deutlich zurück – bei der Bearbeitung von Betrugsdelikten jedoch ist die Polizei weiterhin extrem belastet. Die Zahl der Fälle stieg zuletzt im ersten Halbjahr 2018 erneut stark um 13,8 Prozent auf mehr als 20.000 Fälle in sechs Monaten an, auch getrieben von Identitätsklau und Abzocke im Internet. Nun bereitet die Polizeiführung eine Gegenoffensive vor; auf die Beamten warten aber noch viele Fälle, die aus Ressourcenmangel zunächst nicht bearbeitet werden konnten.
Beamte schlagen Alarm
In der für Betrug zuständigen Abteilung 5 im Landeskriminalamt gab es Anfang Oktober noch 818 Fälle „zurückgestellte“ Fälle, wie eine Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Dennis Gladiator an den Senat ergab. Vor exakt einem Jahr hatte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) deutlich Alarm geschlagen: Wegen des G-20-Gipfels türmten sich damals insgesamt sogar bis zu 8000 unbearbeitete Fälle bei der Polizei, nahezu zwei Drittel davon im Betrugsdezernat – die Gewerkschaft sprach von „Aktenhalden“ und heilloser Überforderung der Beamten.
Insgesamt konnte die Zahl der zurückgestellten Verfahren im LKA auf aktuell 4000 Fälle reduziert werden, schreibt der Senat. „Vom 2. Quartal 2018 ist die Anzahl zurückgestellter Vorgänge allerdings wieder angestiegen“, heißt es weiter. Grund seien neben Urlaub und Krankheiten vor allem die Offensive gegen Drogendealer an den Brennpunkten der Stadt; diese hätten auch viele Kriminalbeamte gebunden.
Explodierende Zahlen sind Herausforderung
LKA-Chef Frank-Martin Heise bezeichnete die explodierenden Zahlen beim Betrug im Gespräch mit dem Abendblatt als wichtige Herausforderung. „Wir beobachten sehr genau, dass die Fallzahlen in diesem Bereich seit einiger Zeit ansteigen. Darauf werden wir angemessen reagieren.“
Ende des vergangenen Jahres wurde dazu eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die bereits Vorschläge entwickelte. Diese werden nun weiter ausgearbeitet und sollen möglichst im kommenden Jahr greifen. „Hier befinden wir uns zurzeit in einem noch nicht abgeschlossenen strukturellen und konzeptionellen Überarbeitungsprozess“, sagt Heise. Dazu gehöre auch die Frage, „mit welchem Personalansatz wir diesem Phänomen wirkungsvoll begegnen wollen, um Rückstellungen zukünftig zu vermeiden“, sagt Heise.
Aufklärungsquote sinkt
Nach Abendblatt-Informationen gibt es Überlegungen, die Bearbeitung der Betrugsfälle wieder stärker aus dem Landeskriminalamt in die örtlichen Polizeikommissariate zu verlagern. Einige Entlastung gibt es auch dadurch, dass die Soko „Schwarzer Block“ zur Aufklärung der G-20-Krawalle inzwischen aufgelöst wurde und viele Beamte wieder in ihren regulären Dienststellen arbeiten.
Wie aus der aktuellen Senatsantwort hervorgeht, sank jedoch die Aufklärungsquote beim Betrug zuletzt weiter von 58,6 auf 55 Prozent. Der CDU-Politiker Dennis Gladiator spricht von besorgniserregenden Zahlen. „Die Mitarbeiter brechen unter der Last zusammen. Seit Jahren wird Besserung versprochen, aber es wird schlimmer. “
Kommentar: Albtraum Betrug
Beim Internetbetrug schlagen die Täter häufig mehrfach zu. Das Abendblatt berichtete etwa über den Fall der Kinderbuchautorin Ursel Scheffler („Kommissar Kugelblitz“): Der 80-Jährigen war der Personalausweis gestohlen worden, danach erhielt sie Dutzende Rechnungen von Internethändlern für Waren, die sie nie bestellt hatte.
Internethändler machen es Betrügern leicht
Obwohl sie selbst die Täterin bald ausfindig gemacht hatte, setzte sich der Betrug noch über Monate fort. „Wir haben zwar Gesetze, aber wenn sie einfach ungestraft nicht eingehalten werden können, ist unser Rechtsstaat in Gefahr“, sagte Scheffler dazu im März. Auch mehrere Bürgerschaftsabgeordnete waren teils wiederholt Opfer einer ähnlichen Betrugsmasche geworden.
Von Polizisten heißt es, dass viele Internethändler es wegen fehlender Sicherheitsvorkehrungen den Betrügern sehr einfach machten. „Die preisen das ein und geben ihre Forderung dann einfach an eine Inkassofirma weiter“, sagt ein Beamter. Dennis Gladiator fordert, die Beamten im Landeskriminalamt technisch besser auszustatten. Ein Indiz für die Überlastung sei auch der hohe Krankenstand: Fehlten die Beamten 2016 durchschnittlich an 9,2 Prozent ihrer Arbeitszeit, waren es in diesem Jahr bereits 16 Prozent. Der Senat verweist darauf, dass Beamte aus anderen Abteilungen abgezogen wurden, um die Betrugsermittler zu unterstützen.