Hamburg. Polizeireporter Zand-Vakili fuhr hinter dem Kaufhauserpresser her, begleitete die Reemtsma-Entführung – dann kam der September 2001.
Über den Mangel an spannenden, außergewöhnlichen Ereignissen kann ich mich als Polizeireporter nicht beklagen. Um ehrlich zu sein: Ich habe einen der aufregendsten Berufe der Welt. Ich war mit dem Hubschrauber in Eschede, als dort der ICE verunglückte. Ich bin Tausende von Kilometern hinter dem Kaufhauserpresser Dagobert hergefahren. Und vom ersten Tag an habe ich 1996 die Reemtsma-Entführung begleitet.
Dann kam der 12. September 2001, der Tag nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Für Hamburg war es sofort ein Thema. Es ging zunächst um Sicherungsmaßnahmen an Konsulaten, um betroffene Menschen, die dort Blumen ablegten. Am Nachmittag stand ich mit einem Kollegen, einem gelernten Theologen, vor der Wand, an dem die Zeitungsseiten hingen. Dabei äußerte ich, dass ich mir vorstellen kann, dass die Täter aus Hamburg kommen. Seine Antwort: „Woher hast du deine kranke Fantasie?“
Spur nach Hamburg
Eine halbe Stunde später war ich auf dem Weg nach Harburg. Über den damaligen Springer-Auslandsdienst war die Mitteilung gekommen, dass die Spur nach Hamburg führt. Darin war noch von einem Verwandten die Rede gewesen, bei dem mindestens einer der Täter gewohnt haben soll. Als Ort war die Martinistraße 54 genannt, verbunden mit einer Postleitzahl in Harburg. Der Nachrichtendienst hatte daraus den Martin-Leuschel-Ring gemacht.
Das Problem ergab sich vor Ort. Es gab keine Hausnummer 54. Auch sonst war es in der Straße ruhig. Keine Polizei, kein Hinweis auf irgendeine Verbindung zu den Attentätern vom 11. September. Ich bin aus Harburg. Dort gibt es zwei weitere Straßen, die einen ähnlichen Namen haben. Die Maretstraße und die Marienstraße. Ich fuhr zur Marienstraße.
Dort war es genauso ruhig wie am Martin-Leuschel-Ring. Eigentlich wollte ich schon wieder weg. Aber aus einem Haus schaute eine Frau, die Arme auf der Fensterbank verschränkt. Zwar war, bis auf einen Peterwagen, der wohl zufällig durch die Straße gefahren war, ihr keine Polizei aufgefallen. Aber dann erzählte sie von Männern, die im Haus mit der Nummer 54 gewohnt hatten, die lange Bärte und orientalische Kleidung getragen und die immer laut gebetet hatten.
Die Nacht bleibt für mich unvergesslich
Mein Interesse war geweckt. Ich befragte Nachbarn, die mir erzählten, dass die Männer schon vor Monaten ausgezogen waren, dass sie die Wohnung, vor der eine Fußmatte mit Comicfigur als Motiv lag, renoviert hatten. Der Briefkasten gab nichts her außer Werbung, die daraus hervorquoll. Um kurz nach 19 Uhr rief ich die Pressestelle der Polizei an. Dran war der ehemalige Mitarbeiter Jörg Lauenroth. Den Wortwechsel werde ich nie vergessen:
Ich: „Was ist mit der Terroristenwohnung?“
Lauenroth: „Welche Terroristenwohnung?“
Ich: „Na die Wohnung, in der die Terroristen gewohnt haben, die in das World Trade Center geflogen sind.“
Lauenroth: „Wo?“
Ich: „In der Marienstraße 54.“
Lauenroth: „Ich klär das.“
Der Rest, wie man so sagen könnte, Geschichte. Im internen Zeitplan der Polizei, ist für 19.10 Uhr vermerkt, dass Lauenroth die Adresse weiter gibt. Fünf Minuten später waren zivile Polizisten der nahen Wache Harburg da. Sie registrieren, dass Presse vor Ort ist (na klar, ich hatte ja angerufen). Um 19.39 Uhr wurde das Haus abgesperrt. Um 19.50 informierte die Polizei Hamburg das Bundesinnenministerium über den Sachverhalt. Ab 20.09 Uhr behandelte die Polizei die Wohnung an der Marienstraße 54 wie eine Terroristenwohnung. Um 23.31 Uhr informierte die Polizei die Generalkonsulin der USA über den Sachverhalt.
Es war eine wilde Nacht. Mit Durchsuchungen, Festnahmen. Einmal den Faden gefunden, zog die Polizei das ganze Geflecht des Terrornetzwerks der Anschläge vom 11. September 2001 hervor. Es war ein aufregendes Erlebnis. Unvergesslich.