Hamburg. Liberale Grundhaltung der Bürger, kluge Politik der Regierenden und interne Querelen halten die Rechten klein.

Ist die AfD nun rechtskonservativ, rechtspopulistisch oder rechtsextrem? In den östlichen Bundesländern spielen derartige Unterscheidungen offenbar keine Rolle. Dort scheuen die AfD-Landesverbände und -Fraktion weder den Kontakt zu Pegida noch zu anderen Gruppierungen, die sich am rechten Rand bewegen und ihn manchmal sogar überschreiten. In Umfragen kommt die Partei regelmäßig auf mehr als 20 Prozent. 25 Prozent sind derzeit es in Sachsen. Wenn am kommenden Sonntag gewählt werden würde, wäre die AfD dort zweitstärkste Kraft. Werte, von denen sie in Norddeutschland meilenweit entfernt ist.

Die Entwicklung im Osten freut die Partei natürlich. Doris von Sayn-Wittgenstein, AfD-Vorsitzende in Schleswig-Holstein, zieht aus diesen Zahlen einen ganz besonderen Schluss. Der Ruf nach einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz gehe „vollkommen an der Sache vorbei“, schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite. „Wenn man die aktuellen Umfragewerte in den mitteldeutschen Ländern anschaut (die AfD liegt mit 27 Prozent vor der CDU!), ist diese Forderung sowohl unverschämt als auch lächerlich. Man kann nicht knapp 30 Prozent des Volkes vom Verfassungsschutz beobachten lassen.“

Kein Vergleich zu den Werten im Osten

Da hat Frau von Sayn-Wittgenstein, die früher Doris Ulrich hieß und auf nicht ganz geklärte Weise zu ihrem Adel vortäuschenden Nachnamen gekommen ist, wohl etwas falsch verstanden. Der Verfassungsschutz beobachtet nicht Wähler, sondern politische Gruppierungen und ihre Frontmänner.

Tobias Koch (CDU)
Tobias Koch (CDU) © picture alliance/dpa

Folgt man Sayn-Wittgensteins Argumentation, dann dürfte es weder unverschämt noch lächerlich sein, die AfD in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Hamburg zu beobachten. Denn nach letzten Umfragen liegt sie dort nur im Bereich zwischen sechs und sieben Prozent. Kein Vergleich zu den Werten im Osten, kein Vergleich auch zu dem Aufschwung, den die Partei dort zuletzt genommen hat. Im Norden kommt die Rechts-Partei auf keinen grünen Zweig. Warum eigentlich?

Allseitiges Lob für Daniel Günthers Politik

Die Politikwissenschaft tut sich schwer mit einem klaren Urteil. Es gebe dazu in der politischen Forschung bisher „keine tragfähige und befriedigende Antwort“, sagt Prof. Kai-Uwe Schnapp von der Universität Hamburg. „Für Bremen und Hamburg kann man die AfD-Schwäche wohl daran festmachen, dass in großen Städten in der Regel ein liberalerer Geist herrscht. Auch haben hier viele Menschen viele gute Erfahrungen mit Zuwanderern gemacht – es ist ja mittlerweile vielfach belegt, dass die Feindseligkeit gegen Migranten dort besonders hoch ist, wo es kaum Kontakte gibt, weil dort wenig Migranten leben.“

Für die Flächenländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein lasse sich die Situation der AfD aber nicht befriedigend erklären. „Das kann in beiden Fällen sehr singuläre Gründe gehabt haben“, so Schnapp. „In Niedersachsen etwa war die AfD vor der Wahl ja sehr zerstritten.“ In Schleswig-Holstein könne der Aufstieg des CDU-Hoffnungsträgers Daniel Günther dazu beigetragen haben, dass die AfD vergleichsweise schwach abgeschnitten habe. „Vielleicht hat auch Robert Habeck als grüner Landwirtschaftsminister mit sehr viel Einfühlungsvermögen gegenüber einer klassisch sehr konservativen Klientel, den Landwirten, seinen Beitrag geleistet. Aber das sind letztlich Vermutungen.“

Keine gesellschaftliche Spiegelung der AfD

Etwas anders erklärt Schnapps Kollege Wilhelm Knelangen von der Universität Kiel die AfD-Schwäche in Schleswig-Holstein. „Mit der Ausnahme Boostedt haben wir in Schleswig-Holstein nirgendwo eine ausgeprägte Einwandererproblematik“, sagt der Politikprofessor. Interessant sei zudem, dass die Landes-CDU unter Daniel Günther in die Mitte gerückt sei, ohne dass die AfD davon habe profitieren können. „Möglicherweise liegt das daran, dass weder die Parteivorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein noch der Fraktionsvorsitzende Jörg Nobis in der Lage sind, als Volkstribun aufzutreten.“

Denkbar sei auch, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte Aufnahme von Flüchtlingen in Schleswig-Holstein eine Rolle spiele – mit dem anfangs schwierigen, am Ende aber erfolgreichen Zusammenwachsen. „Wir haben hier jedenfalls keine gesellschaftliche Spiegelung der AfD, keine Demonstrationen mit 3000 oder 4000 Teilnehmern, nichts, was auch nur in Ansätzen mit Pegida vergleichbar wäre“, sagt Knelangen – weist aber darauf hin, dass man sich solchen Erklärungsversuchen im Bereich der Hypothesen bewege.

In Hamburg ist der Fraktionschef ausgetreten

Burkhard Peters, Landtagsabgeordneter der Grünen und seit Jahren Beobachter der politischen Lage in Schleswig-Holstein, deutet den Misserfolg der AfD als einen Erfolg der CDU und des Kurses des Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Daniel Günther. „Er widersteht der Verlockung, AfD-Parolen zu wiederholen“, sagt Peters. Er versuche gerade nicht, sich bei AfD-Wählern anzubiedern. „Er betone immer wieder, dass er das für eine falsche Strategie hält.“ Wohin die führe, könne man in Bayern beobachten, wo die CSU massiv an Zustimmung verliere. „Dieser andere Kurs ist das große Verdienst von Günther, und er hat damit zumindest in Schleswig-Holstein Erfolg“, sagt Peters, dessen Grüne Teil der Regierungskoalition sind.

Tobias von Pein, SPD-Landtagsabgeordneter, glaubt, dass die AfD mit ihrem Versuch, einzig auf die Skandalisierung des Themas Flüchtlinge zu setzen, in Schleswig-Holstein nicht verfange. „Hier gibt es mittlerweile vor Ort zu viele und zu starke gesellschaftliche Bündnisse, die die In­tegration vorantreiben“, sagt er. „Die Leute wissen einfach, dass diese Skandalisierung nur wenig mit der Realität zu tun hat.“

Mitarbeit fast vollständig eingestellt

Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden Tobias Koch liegt das Geheimnis des AfD-Misserfolgs in der richtigen Gegenstrategie. „Wir haben die Partei nicht aufgewertet, indem wir uns ständig mit deren Themen beschäftigen“, sagte er. „Und wo es nötig war, haben wir klare Kante gezeigt.“

Vielleicht hat auch die AfD selbst einiges dazu beigetragen, dass die Wähler im Norden weitgehend die Finger von der Partei lassen. In Schleswig-Holstein gab es innerparteilichen Streit, in Hamburg und Niedersachsen ebenso. In Kiel hatten sich die machtbewusste Landesvorsitzende und die Landtagsfraktion, deren Mitglied sie ist, so weit zerstritten, dass Sayn-Wittgenstein zwischenzeitlich die Mitarbeit in der Fraktion fast vollständig einstellte. Im Landtag blieb die Abgeordnete weitgehend stumm – nur die Diäten flossen.

Fast überall gibt es internen Streit in der AfD

Im vergangenen Monat unterzog sich die fünfköpfige Fraktion dann einer zweitägigen Mediation. Offenbar mit Erfolg. „Frau von Sayn-Wittgenstein wird in Zukunft im Sozialausschuss mitarbeiten“, sagt der Fraktionschef Jörg Nobis. Die Landesvorsitzende zählt eher zum rechtsextremen Höcke-Flügel der AfD, Nobis gilt als gemäßigt. Zweifel an dieser Zuordnung sind aber berechtigt. Nobis warf den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern jüngst im Landtag vor, Fehlinformationen „wie die ,Aktuelle Kamera‘ in der DDR“ zu liefern. Einige Beobachter vermuteten daraufhin, dass die AfD-Mediation einen Rechtsruck herbeigeführt haben könnte.

Auch in Hamburg hat sich die AfD seit dem Einzug in die Bürgerschaft im Jahr 2015 als relativ zerstritten präsentiert. Zunächst wurde der AfD-Abgeordnete Ludwig Flocken wegen aus AfD-Sicht extremistischer Aussagen zunächst aus der Fraktion und später auch aus der Partei ausgeschlossen. Dann gab es immer wieder Streit innerhalb der Fraktion. Der als gemäßigt geltende Fraktionschef Jörn Kruse kritisierte immer wieder öffentlich Beschlüsse der Bundespartei und Äußerungen der Bundesspitze – etwa die Bezeichnung des Dritten Reichs und des Holocaust als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte durch den AfD-Bundesvorsitzenden Alexander Gauland.

Ordnungsverfahren gegen Vorsitzenden

Deswegen wurde Kruse zunächst mit Alexander Wolf ein zweiter Fraktionschef zur Seite gestellt. Schließlich leitete die Parteiführung auch noch ein Ordnungsverfahren gegen den eigenen Fraktionsvorsitzenden ein. Am Donnerstag vergangener Woche erklärte Kruse seinen Austritt aus der AfD – und warf seiner Partei vor, mit Rechten und Rechtsradikalen zusammenzuarbeiten.

Auch in Niedersachsen sorgte das Führungspersonal immer wieder für Ärger. Armin-Paul Hampel, ehedem Landesvorsitzender, hatte im vergangenen Jahr einen Parteitag, den seine innerparteilichen Kritiker durchgesetzt hatten, kurzerhand abgesagt. Anfang 2018 setzte der AfD-Bundesvorstand den gesamten Landesvorstand ab. Es ging um nicht ordnungsgemäß verbuchte Hotelkosten und Ähnliches. Im April wurde Dana Guth, Chefin der AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag, zur neuen Landesvorsitzenden gewählt. Im Juni kündigte Hampel an, die Wahl anfechten zu wollen. Ausgang offen.