Hamburg. Auch Politikwissenschaftler sieht „Spektrum bis in den extremistischen Rand“. Kritische Reaktionen auf Austritt von Fraktionschef Kruse.

Die AfD in der Hamburger Bürgerschaft hat ihren Fraktionsvorsitzenden verloren – den Status als Fraktion aber nicht. Nach der Ankündigung von Jörn Kruse, aus der Partei auszutreten, sein Bürgerschaftsmandat aber zu behalten, hat sich ihm bislang kein weiterer AfD-Abgeordneter angeschlossen – auch nicht Detlef Ehlebracht, der Vertraute von Kruse.

Ehlebracht selbst war zwar für eine Stellungnahme nicht erreichbar, aus der Fraktion aber hieß es, er werde bleiben. Das bestätigte auch Ex-Chef Kruse dem Abendblatt. Er habe mit Ehlebracht besprochen, dass dieser nicht austrete. Denn es gehe auch um die Verantwortung für Mitarbeiter und ihre Arbeitsplätze und darum, dass es in der AfD-Fraktion weiterhin liberale Kräfte gebe, so Kruse. Nur mit sechs Abgeordneten besteht die Fraktion fort. Bei fünf Abgeordneten wäre sie zur Gruppe herabgestuft worden und hätte parlamentarische Rechte und Gelder verloren.

Austritt „fast schon zu spät“

Sein Austritt sei möglicherweise „fast schon zu spät“, aber wohl „gerade noch rechtzeitig“ gekommen, sagte Kruse dem Abendblatt am Freitag. Nach den Ereignissen von Chemnitz und der aus seiner Sicht viel zu zurückhaltenden Reaktion der Parteiführung darauf sei ein Verbleib definitiv nicht mehr möglich gewesen. Er rechne damit, dass die Partei durch die Wahlkämpfe in Ostdeutschland noch weiter nach rechts rücken werde. „Ich hoffe für die AfD, dass sich die moderateren Landesverbände im Westen so zusammenschließen, dass ein Gegengewicht gegen diese Entwicklung entsteht.“

Darüber, dass sich die AfD nach rechts bewegt, herrscht auch bei Politikwissenschaftlern kaum Zweifel. „Am Anfang habe ich die AfD als rechtskonservativ eingeordnet“, sagte der Politikwissenschaftler Professor Kai-Uwe Schnapp von der Hamburger Uni. „Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass diese Einordnung zu schwach ist. Das Spek­trum der Partei geht mittlerweile in den rechtsextremistischen Rand, aber reicht auch ins nationalkonservative Lager.“

Er will keine Parteimarionette sein

Als rechtspopulistisch könne man die AfD auf jeden Fall einordnen, denn da erfülle sie die beiden wesentlichen Kriterien für Populismus, so Schnapp: „Erstens führt sie die klassische populistische Rede gegen die etablierten Eliten und stellt sich als Kämpferin gegen ein korruptes Establishment dar. Und zweitens arbeitet sie mit dem Begriff eines angeblich einheitlichen Volkes, dessen wahren Willen nur sie, die AfD, zu kennen und zu vertreten vorgibt.“

Letzter Auslöser für Kruses Austritt aus der AfD war die Aufforderung seitens seiner Fraktion, sich nur noch nach interner Abstimmung öffentlich zu äußern. „Ich habe in meinem ganzen Leben immer meine ,wahre Meinung‘ gesagt und sagen können“, so Kruse. „Das werde ich auch in meinem 70. Lebensjahr nicht mehr ändern. Parteimarionetten sind andere. War die AfD nicht einst auch angetreten, um die Strukturen und Zwänge der ,Alt-Parteien‘ aufzubrechen?“

Unterschiedliche Reaktionen

Kruses Schritt hat in der Bürgerschaft unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. André Trepoll, Vorsitzender der CDU-Fraktion, sagte: „Die Auflösungserscheinungen bei der Hamburger AfD gehen weiter. Professor Kruse hat sich zu lange als vermeintlich bürgerliches Feigenblatt hergegeben und hat damit die AfD für manche erst wählbar gemacht. Damit ist es jetzt vorbei, die Maske ist gefallen. Sein Bruch mit der AfD kommt jedoch viel zu spät, er war schon lange inhaltlich isoliert. “

Dirk Kienscherf, Fraktionsvorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion, zeigte sich überrascht, dass Kruse erst jetzt einen Rechtsruck der AfD bemerkt haben will. „Die AfD hat ihre Maske fallen gelassen und ist klar auf dem Weg hin zu einer rechtsextremen Partei“, sagte er. „Das zeigen auch ihre Beiträge in der Bürgerschaft.“

„Jahrelang Vorurteile und Hass geschürt“

Anjes Tjarks (Grüne) kritisierte Kruse. „Er hat über lange Zeit die Kontakte seiner Partei zu extrem rechten Kreisen hingenommen und entsprechend mitgetragen. Er hat die Hamburger AfD aufgebaut und sich sehenden Auges auf diesen rechtspopulistischen Haufen eingelassen.“ Dass er erst jetzt Konsequenzen ziehe, sage viel über die Grenzen seines politischen Schmerzempfindens aus. „Seine Entscheidung macht die Erosionskräfte innerhalb dieser Partei deutlich, die durch den immer stärkeren Rechtsruck zerrieben wird.“

Cansu Özdemir (Linke) findet es gut, dass Kruse jetzt die Reißleine zieht. „Die immer weiter gehende Entwicklung der AfD nach ganz rechts außen, die er als Grund dafür benennt, gibt es aber nicht nur in Ostdeutschland und auf Bundesebene“, sagte sie. „Die gibt es auch in Hamburg, und daran hat Jörn Kruse seinen Anteil. Jahrelang hat auch er mit seinen Reden und Anfragen Vorurteile und Hass geschürt und damit die Entwicklungen unterstützt, von denen er sich jetzt selbstgerecht distanziert.“

Die FDP-Fraktionsvorsitzende Anna von Treuenfels-Frowein will über die rechtliche Stellung von fraktionslosen Abgeordneten diskutieren. „Es kann nicht sein, dass fraktionslose Abgeordnete sich überproportional häufig beteiligen können und der Zerfall der AfD-Fraktion damit zu einer unangemessen häufigen Darstellung rechter Sichtweisen im Parlament führt.“