Hamburg. Seit 18 Jahren ist er Chef des Planetariums. Seine Leidenschaft für den Weltraum geht schon auf die erste Mondlandung zurück.
Manchmal ist es schade, dass man einen Zeitungstext nicht hören kann. Ginge das, würde jetzt hier die Stimme von Thomas W. Kraupe erklingen, eine der markantesten der Stadt. Wenn der 62-Jährige an seinem Arbeitsplatz zu sprechen beginnt, lehnen sich die Menschen entspannt in weichen Sesseln zurück, kippen den Kopf nach hinten und blicken in unendliche Weiten. Und dann holt Kraupe ihnen die Sterne vom Himmel.
Viele kennen seine Stimme, lesen regelmäßig seine Texte im Abendblatt - doch die wenigsten wissen etwas über den Menschen dahinter. Seit 18 Jahren ist Kraupe jetzt Chef des Planetariums. Dabei hatte er eigentlich ganz andere Pläne. Forschen wollte er, entdecken. Aber Laien die Sternenwelten nahebringen, darauf wäre er als junger ehrgeiziger Mann nie im Leben gekommen. Und doch steuerte sein beruflicher Werdegang unaufhaltsam genau in diese Richtung.
„Wir waren in jeder freien Minute draußen“
Aufgewachsen ist Kraupe in München. Den leichten warmen Akzent aus dem Süden hat er auch nach so vielen Jahren in der Hansestadt nicht verloren. In München ging er auch zur Schule, entdeckte schon früh seine Liebe zur Natur und besonders zu den Sternen. „Wir waren in jeder freien Minute draußen. Im Garten oder Wald, am liebsten auf den Bäumen oder am Teich“, sagt er. „Und dann die vielen Tiere dort. Das war alles so spannend.“ Drinnen las der Junge Wissensbücher über die Natur. Besonders liebte er den Tierfilmer Eugen Schuhmacher. Dazu die Entdecker und Kinderhelden wie Thor Heyerdahl oder Bücher von Karl May. „Mich faszinierten alle Entdeckungen, egal ob zu Land, zu Wasser oder in der Luft.“
In genau diese kindliche Phase platzte die erste Mondlandung. „Es war unglaublich“, sagt er. „Das waren die modernen Entdecker, unsere Helden.“ Live im Fernsehen wurde das Ereignis übertragen. „Wir selbst hatten die Programme nicht, aber wir durften bei den Nachbarn alle zusammen diese Momente miterleben.“ Nie werde er vergessen, wie er dort nachts gesessen habe, um zu verfolgen, wie Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat. Jahrelang sammelte Artikel, jede Meldung, die er über Flüge zum Mond und in den Weltraum finden konnte, in einem Karton.
Sterne, Musik und Literatur verbinden
Die Mondlandung sollte einer der entscheidenden Wendepunkte in Kraupes Leben werden. Denn er begann, über das All und die Sterne zu recherchieren, und stellte erstaunt fest: „Unsere Schule hatte eine Sternwarte.“ Der erste Blick durch das Fernrohr zum Mond muss für ihn wie eine Offenbarung gewesen sein. „So nah konnte man alles sehen, so genau. Ich war überwältigt.“ Die kleine Warte wurde ein zweites Zuhause für den Gymnasiasten. Immer wieder führte er auch andere Jungen und Mädchen durch den Himmel.
Kurz darauf stieß er auf die Volkssternwarte München. „Die wurde damals von Menschen ehrenamtlich in ihrer Freizeit betrieben“, sagt Kraupe. Ein spannendes Projekt, fand er, und stieg mit ein. „Ich wurde in das Thema und die Technik eingearbeitet und konnte schon bald selbst Führungen anbieten.“ Ein tolles Team sei das damals gewesen. „Wir waren viele junge Leute mit den unterschiedlichsten Interessen, die einfach Spaß am Experimentieren hatten. Und haben viele verrückte Sachen gemacht.“ Sterne, Musik und Literatur miteinander zu verbinden – ein Thema, das ihn bis heute bewegt, stammt aus dieser Zeit. „Hier habe ich vieles entdeckt und ausprobiert.“ Nach dem Abitur studierte Kraupe Mathematik und Physik, wollte Lehrer werden.
Interesse für die Astrophysik
Der Astronomie blieb er dabei eng verbunden. So, als er beispielsweise erfuhr, dass es den Astronomiekursus an seiner alten Schule aus Lehrermangel nicht mehr geben sollte. „Da bin ich zu unserem Direktor gegangen und habe angeboten, den Kursus zu übernehmen.“ Er wolle ja eh Lehrer werden, habe er gesagt – und den Schulleiter überzeugt. Für 35 Mark die Stunde unterrichtete der Student nun schon lange, bevor er sein Studium abgeschlossen hatte.
Zur gleichen Zeit zog ihn auch die Astrophysik mehr und mehr in ihren Bann. Die Geburt und das Leben von Sternen, ihre Entwicklung, der Urknall, das interessierte den jungen Mann. „Aber wohin meine berufliche Reise gehen sollte, wusste ich immer noch nicht.“ Richtig unglücklich sei er gewesen. Klar, erzählt er heute, das Studium sei aufregend gewesen. So viele namhafte Professoren und Forscher habe er kennenlernen dürfen, darunter Nobelpreisträger. „Ich hatte bei den vielen Möglichkeiten einfach Schwierigkeiten, mich für ein Gebiet zu entscheiden.“
Eher durch einen Zufall gelangte Kraupe an eine Stellenausschreibung. Das Carl-Zeiss-Planetarium in Stuttgart suchte Anfang der 80er-Jahre einen stellvertretenden Direktor. „Bewirb dich da mal“, hätten ihm Freunde gesagt. Bewerben für ein Planetarium, das erschien Kraupe im ersten Moment komplett verrückt. Eher aus Spaß habe er seine Unterlagen eingereicht. Man ahnt das Ergebnis: Kraupe ging für immerhin knapp neun Jahre nach Stuttgart.
1996 kam spannende Anfrage aus New York
Parallel dazu begann er, für andere Planetarien Programme zu schreiben und zu entwickeln. Er beriet das Deutsche Museum München bei der Planung eines neuen Planetariums. Dieses 1993 eröffnete Haus sollte das modernste der Welt werden – und Kraupe sein erster Direktor.
Drei Jahre hatte er die Leitung in München inne, als ihn eine spannende Anfrage aus New York erreichte. Die Amerikaner wollten München übertrumpfen. „Kannst du uns dabei helfen, haben sie mich gefragt“, so Kraupe. Konnte er. Gern sogar. Er kündigte seinen Job in München und machte sich selbstständig. Jahrelang pendelte er immer wieder zwischen New York und bayerischer Hauptstadt, begleitete die gesamte Entstehung eines neuen Planetariums mit. Parallel dazu beriet er andere Institute und wurde Präsident des Weltverbands aller Planetarien.
„Diese Freiheit war toll“, sagt Kraupe. „Ich war an vielen spannenden Projekten gleichzeitig beteiligt und habe dazu noch richtig viel Geld verdient.“ Doch mit der Eröffnung des Planetariums in New York am 1. Januar 2000 war es damit vorbei. Und Kraupe kam wieder ins Grübeln. Wie soll es weitergehen? Was wollte er in den kommenden Jahren beruflich erreichen?
Sternenwarte brauchte neue Leitung
Genau in diesem Moment kam die Anfrage aus Hamburg. Die Sternenwarte brauchte eine neue Leitung. Und Kraupe wurde bewusst: „Ich wollte wieder direkt mit dem Publikum in Kontakt treten, die Menschen mit meinen Ideen erfreuen. Ich wollte endlich wieder Theater machen!“ Also sagte er zu, obwohl das Planetarium damals einen eher verstaubten Ruf hatte. Wenn das so bleiben soll, habe er den Entscheidern gleich deutlich gemacht, dann sei er der falsche Mann für den Job. Sollte es nicht. Und so sagte Kraupe zu, verließ seine Heimat und begann das Haus Stück für Stück zu entstauben. Dazu gehören auch verschiedene Umbaumaßnahmen, die über die Jahre realisiert wurden.
Mehr als zehn Millionen Euro wurden bereits von der Stadt und dem Bund investiert. Und noch lange ist nicht alles wieder für die Besucher zugänglich und in Stand gesetzt, wie beispielsweise der historische Wasserkessel unter dem Dach. „Uns fehlen einfach Gelder und engagierte Bürger, die mithelfen“, so Kraupe. Gern würde er seine Arbeit in der gesamten Stadt noch mehr einbringen. „Man muss das Planetarium eigentlich größer denken. Etwas mit anderen Orten, Instituten und Initiativen auf die Beine stellen. Gemeinsam können wir richtig was bewegen.“
Beweglich ist er auch privat. Jeden Tag kommt er aus seiner Wohnung in Winterhude am liebsten mit dem Rad gefahren, gern auch zu Fuß. Nur wenn es gar nicht anders geht, nimmt er den Bus. Auch zur Wohnung seiner Lebensgefährtin. Denn die wohnt in der anderen Ecke der Stadt, der HafenCity.
Neue Ideen und Programme
Bis heute fährt er den Weg in den Stadtpark jeden Tag gern. Entwirft mit viel Energie neue Ideen und Programme für die Besucher. Und versucht nicht selten auch etwas Experimentelles. „Als ich angefangen habe, mit Musik, Licht und Laser zu arbeiten, wurde mir vorgeworfen, ich mache eine Diskothek aus dem Haus“, sagt er und lacht. „Heute gehören diese Shows in vielen Planetarien zum Standardprogramm.“ Dabei, so Kraupe, gebe es nun mehr Veranstaltungen als zuvor, die sich der Wissensvermittlung widmen würden – und das mit einer viel ausgereifteren Technik. Und schließlich seien die Besucher eines Planetariums meist Laien. Wer sich ernsthaft für Astronomie interessiere, der wäre hier am falschen Ort.
„Es kommt darauf an, die Menschen nicht nur im Kopf zu erreichen, sondern mit dem Herz. Das ist wichtig, wenn man sie begeistern will.“ Und das möchte er immer wieder. „Wenn die Menschen hier aus diesem wunderschönen Gebäude gehen, und wir haben sie begeistert, dann ist unsere Aufgabe erfüllt“, so Kraupe. Wellness für die Sinne nennt er die Besuche im Planetarium auch. Und wenn man sich dann zurücklehnt und der Stimme und der Musik lauscht, dann weiß man, was er meint.
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