Hamburg. Wie soll man mit Mitgliedern umgehen, deren politische Meinungen einem nicht gefallen? Ein besonderer Fall für den HSV.
Dreieinhalb Wochen ist es her, dass Rechte aus ganz Deutschland zu einer Kundgebung in Hamburg aufgerufen hatten. Bei der fast schon traditionellen „Merkel-muss-weg“-Demonstration am Gänsemarkt sollte ein echtes Zeichen gesetzt werden. Nach Angaben des Verfassungsschutzes stammten die Initiatoren zum Teil aus der rechtsextremistischen Szene sowie aus dem Fußball-Hooliganmilieu. Die zentrale Frage an jenem 5. September war nun: Wie viele Demonstranten würden die bundesweit gut vernetzten Rechten nach den Vorkommnissen in Chemnitz in einer westdeutschen Stadt in so kurzer Zeit mobilisieren können?
Die Antwort: Rund 10.000. Und die beruhigende Nachricht: Tatsächlich kamen rund 10.000 Menschen, um allerdings unter dem Motto „Nazis und Rassisten entgegentreten!“ gegen die „Merkel muss weg“-Aktivisten Flagge zu zeigen. Bei der eigentlichen Versammlung, einem braunen Sammelsurium aus AfD-Mitgliedern aus Mecklenburg-Vorpommern, Pegida-Vertretern aus Sachsen und „besorgten Bürgern“ aus Hamburg, konnten nur 178 Rechte gezählt werden. „Wir haben nachgezählt“, bestätigte ein Polizeisprecher. Und unter diesen 178 mittendrin statt nur dabei: ein gewisser Sören S. aus Pinneberg, überzeugter HSV-Anhänger und dem Vernehmen nach auch überzeugter Rechtsaußen.
Interne Diskussion
Letzteres jedenfalls behauptet nicht nur die Antifa Pinneberg (ein antifaschistisches Bündnis aus Autonomen und Linken in Pinneberg), die Sören S. auf der „Merkel-muss-weg“-Demo mit schwarzer Jacke, schwarzem Käppi und schwarzer Sonnenbrille fotografiert hatte und dieses Foto ins Internet stellte. Der Hintergrund: Sören S., der seine Teilnahme an der Demonstration auch bestätigte, ist in Pinneberg so bekannt wie ein bunter Hund. Oder besser: so bekannt wie ein ziemlich brauner Hund. Und dieser braune Hund ist nun mal – auch das ist bekannt – HSV-Fan.
Und so dauerte es nur ein paar Tage, ehe Sören S. auch beim HSV mittendrin statt nur dabei war. Unfreiwillig mittendrin in einer internen Diskussion unter HSV-Fans, ob man einen Anhänger mit rechtem Gedankengut nicht einfach ausschließen könne. Aus dieser internen Diskussion wurde schnell eine vereinsübergreifende Debatte: Wie geht man in diesen AfD-Pegida-Chemnitz-Köthen-Zeiten mit Rechten um, die ja aber auch Rechte haben? Darf man jemanden aus dem Verein ausschließen, weil einem dessen politische Meinung nicht gefällt? Natürlich nicht. Aber darf man zulassen, dass es unter den Mitgliedern Fans gibt, die offenbar erhebliche Schwierigkeiten mit den Grundwerten der deutschen Verfassung haben? Natürlich auch nicht.
Früher schien es noch einfach
„Rechtes Gedankengut hat beim Hamburger Sport-Verein nichts, aber auch gar nichts zu suchen“, sagt Vorstandschef Bernd Hoffmann sehr deutlich. „Und innerhalb unserer rechtlichen Möglichkeiten werden wir rechte Tendenzen so gut und so stark wie möglich bekämpfen – bis hin zum Vereinsausschluss.“ Im Gespräch mit dem Abendblatt sagte der HSV-Chef aber auch: „Ich muss gestehen, dass es bisweilen auch frustrierend ist, dass man gegen offensichtlich rechte Fans nicht noch klarer und noch schneller vorgehen kann.“
Früher schien die Ausgangslage noch einfach: Der FC St. Pauli war links, der HSV rechts. Ein Anhänger wie Sören S. war Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre kein Aufreger im Volkspark, er gehörte dazu. „In den 80ern und 90ern bestand der dominante Teil der Fanszene vor allem aus Hool- und Skinheadgruppen“, bestätigte Joachim Ranau auf Abendblatt-Nachfrage. Der leitende Fanbeauftragte des HSV beschönigt nichts.
Auseinandersetzung mit dem Thema
„Einige von ihnen haben gelegentlich entweder aus Überzeugung oder aus Provokation rechte Symbolik, Sprechchöre oder Spruchbänder mit rechten Inhalten im Stadion verwendet.“ Doch, und das ist Ranau wichtig, seit dem Ende der 90er-Jahre seien die (eher linken) Ultras „zur neuen dominanten Fangruppierung“ im Volkspark aufgestiegen, die sich vor allem „in der Ablehnung von Rechtsextremismus und Rassismus einig“ waren.
Und so dauerte es kurz nach der „Merkel- muss-weg“-Demo nicht lange, ehe auch Ranau über Sören S. und dessen Teilnahme an der Rechten-Versammlung informiert wurde. „Wir sind von Fans darauf aufmerksam gemacht worden und haben uns dann selbstverständlich mit dem Thema auseinandergesetzt“, sagt Ranau, der sich nicht zum ersten Mal mit dem Pinneberger, dessen seit fünf Jahren offiziellen HSV-Fanclub „Schreihälse“ und deren Ansichten beschäftigen muss. Bereits 2016 wurden Sören S. und sein knapp 20-köpfiger Fanclub von dem Fanturnier Westkurvenmeisterschaft durch das HSV-Fanprojekt ausgeschlossen, weil sie sich trotz mehrfacher Aufforderung nicht von rechten Ansichten distanzieren wollten.
Fall bleibt kompliziert
Nun die Neuauflage. „Wir laden in solchen Fällen den betroffenen Fanclub beziehungsweise eine Delegation zu uns ein und geben die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen oder Vorfällen zu äußern. Bei diesen Gespräch machen wir unsere beziehungsweise die Haltung des HSV deutlich und verweisen auf die Bedingungen für den Erhalt des Status des offiziellen Fanclubs“, sagt Ranau, der am vergangenen Dienstag genau dies gemacht hat. Sören S. und ein paar Mitglieder der Schreihälse waren im Volkspark. Das Ergebnis: Kein Ergebnis. Wie das Abendblatt aber erfuhr, soll noch einmal abschließend nach dem Derby in dieser Causa gesprochen werden. Bis dahin sollen sich die Schreihälse deutlich und überzeugend vom rechten Gedankengut distanzieren. Oder eben nicht.
Der Fall bleibt also kompliziert. Denn so paradox es auch klingen mag: Rein rechtlich ist den Rechten ohnehin nur schwer beizukommen. In Paragraf 12 der aktuellen HSV-Satzung heißt es unter Absatz 4 recht allgemein: „Ein Mitglied, das gegen die Interessen des Vereins oder gegen diese Satzung gröblich verstoßen hat, das sich grob unsportlich verhält oder das durch sein Verhalten innerhalb oder außerhalb des Vereins dessen Ansehen schädigt, kann durch Beschluss des Präsidiums aus dem Verein ausgeschlossen werden. (…) Das Ausschlussverfahren wird in einer gemeinsam vom Präsidium und dem Ehrenrat festzulegenden Ordnung geregelt ...“
Handfester Widerstand
Ob und wann es im Fall von Sören S. zu diesem Ausschlussverfahren kommt, bleibt vorerst unklar. Eine klare Meinung hat aber HSV-Geschäftsführer Michael Papenfuß: „Nach meinem Verständnis hat rechtes Gedankengut in unserem Verein nichts zu suchen.“ Der HSV ist bei seinem Engagement gegen rechts nicht allein. St. Paulis jahrelanger Kampf gegen Faschismus ist hinlänglich bekannt. Doch auch bei anderen Fußballclubs ist die Thematik aktueller denn je. Erst vor wenigen Tagen hat Werder Bremens Präsident Hubertus Hess-Grunewald im „Weser-Kurier“ festgestellt: „Es ist ein Widerspruch, Werder und die AfD gut zu finden.“ Und Eintracht Frankfurts Präsident Peter Fischer hatte unlängst – allerdings erfolglos – angeregt, AfD-Mitglieder aus dem Verein sogar offiziell auszuschließen.
Als zumindest inoffiziell ausgeschlossen darf sich Sören S. beim HSV ohnehin längst fühlen. Vor den letzten Heimspielen gegen Regensburg und Heidenheim wurde dem Pinneberger nahegelegt, im Interesse seiner eigenen Sicherheit nicht zu kommen. Längst waren auch HSV-Ultras auf den Braunen unter den Blau-Weiß-Schwarzen aufmerksam geworden und hatten handfesten Widerstand angekündigt. Dabei gibt es auch innerhalb der Nordkurve, der Heimat der HSV-Fans, ganz unterschiedliche Strömungen. Hier mutmaßlich linke Ultras, dort angeblich noch immer rechte Alt-Hools. Auf Nachfrage des Abendblatts über einen Mittelsmann wollten sich die unterschiedlichen Ultra-Gruppierungen des HSV aber weder zu dem Fall im Speziellen noch zum Kampf gegen rechts im Allgemeinen äußern.
Schade. Doch äußern wollte sich auch Sören S. nicht. Das Abendblatt hatte ihm vor mehr als einer Woche um einen Termin, ein Statement oder die Möglichkeit, schriftliche Fragen in dieser brisanten Angelegenheit zu schicken, gebeten. Eine Antwort hat es bis heute nicht gegeben. Doch keine Antwort ist manchmal eben auch eine Antwort.