Hamburg. Geschäftsführer Alexander Schulz über das Reeperbahn Festival, zu dem 420 Bands erwartet werden. Was Besucher wissen müssen.
Am 19. September ändert sich wieder der Ton auf dem Kiez, wenn das 13. Reeperbahn Festival für vier Tage der Nabel der europäischen Popwelt wird. Besonders hinter den Bühnen und Kulissen hat sich der Konzertmarathon mittlerweile weltweit vernetzt. Ändert das die Philosophie und das Erlebnis des Festivals? Wir haben bei Veranstalter und Geschäftsführer Alexander Schulz nachgehakt.
Aus einem Festival mit Bands für Fans ist ein global vernetzter Pop-Marktplatz geworden. Sind die Besucher wie im Fußballstadion nur noch Kulisse für große Deals hinter der Bühne ?
Alexander Schulz: Das Reeperbahn Festival ist im Wesentlichen unverändert eine Veranstaltung mit Künstlern, die für Musikbegeisterte spielen. In diesem Jahr erwarten wir an vier Tagen bis zu 35.000 Fans, dazu etwa 5000 Fachbesucher. Und ich habe seit der Existenz unserer Veranstaltung leider noch von keinem „großen Deal hinter der Bühne“ Kenntnis erhalten. Obwohl ich vielen Künstlern und Künstlerinnen und kleinen Unternehmern, die das Reeperbahn Festival ja besuchen, genau dies wünschte!
Die digitale Revolution hat der weltweiten direkten Vernetzung und Interaktion zwischen Künstlern und Fans zu einer neuen Bedeutung verholfen. Es gibt wenige Veranstaltungen international, die das so passgenau für einen kurzen Zeitraum emotional und atmosphärisch aufgeladen abbilden wie das Reeperbahn Festival.
Besteht für das Reeperbahn Festival die Gefahr, irgendwann wie die Popkomm als seelenlose Branchenmesse zu (ver)enden?
Das Reeperbahn Festival ist ja gerade keine Messe. Aus gutem Grund.
420 Bands und 900 Programmpunkte von Film bis Kunst sorgen quantitativ für ein großes Angebot. Wo kann sich das Reeperbahn Festival qualitativ noch verbessern?
Der Umfang entspricht jenem aus dem Vorjahr. Wir verbessern die Qualität in den Programmsparten für die Fans und für die Fachbesucher von Jahr zu Jahr. Der Umstand, dass das Festival auch in seiner Bedeutung als Marktplatz für die internationale Musikwirtschaft wächst, eröffnet uns unter anderem jährlich neue Möglichkeiten, was den Zugriff auf qualitativ hochwertige Auftritte und Inhalte betrifft. Folgerichtig haben wir in diesem Jahr das beste Programmangebot, das es jemals bei einem Reeperbahn Festival gab. Erwartete Zuwächse in beiden Besuchergruppen attestieren uns diese gute Arbeit.
Vom Bund soll es für die nächsten fünf Jahre 28 Millionen Euro zusätzlich zur bisherigen jährlichen Förderung von zwei Millionen Euro geben. Wofür?
Das Reeperbahn Festival erhielt seit 2016 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien jährlich zwei Millionen Euro Unterstützung und soll verbindlich für die Jahre 2018 und 2019 6,5 Millionen Euro erhalten, also insgesamt zunächst 2,5 Millionen zusätzlich. Darüber und vor allem über den Umstand, dass wir in 2019 erstmalig mit einem eigenen Fördertitel im Bundeshaushalt zu finden sind, freuen wir uns sehr. Wir verstehen das auch als Auftrag, in Deutschland eine Veranstaltung mit internationaler Bedeutung für die Musik weiter aufzubauen, wie wir sie für die Literatur in Frankfurt oder für den Film in Berlin kennen. Andere kursierende Fördersummen ergeben sich wohl aus Planzahlen ab 2020. Diese sind aber zurzeit weder budgetär hinterlegt noch können sie im Haushaltsentwurf 2019 beschlossen sein.
Wo geht das Geld hin, und was hat der zahlende Besucher davon?
Wir erhalten die Bundesmittel für konkrete zusätzliche programmatische Maßnahmen, die im Sinne der Philosophie unserer Veranstaltung einen Mehrwert für Fans, Fachbesucher und Künstler darstellen; dazu zählen unter anderem unser Programm „Wunderkinder“ für die Newcomer aus Deutschland, das Gender-Balance-Projekt „Keychange“, Auftragsproduktionen wie in diesem Jahr die von Konstantin Gropper im Michel und für unseren internationalen Talentwettbewerb Anchor.
Stichwort „Keychange“: Bis 2022 soll das Geschlechterverhältnis der Künstler und Künstlerinnen ausgeglichen sein. Wie ist das Gleichgewicht 2018?
„Keychange“ ist eine internationale Kampagne, die das Reeperbahn Festival mitinitiiert hat. Bisher haben sich über 100 Veranstaltungen weltweit diesem Ziel angeschlossen. 2018 zeigen wir jeweils etwa 40 Prozent Sprecherinnen und Musikerinnen.
Wie viel Reeperbahn steckt noch im Reeperbahn Festival? Elbphilharmonie oder Abaton liegen nicht gerade auf dem Kiez.
Das ist korrekt. Richtig ist aber auch, dass sich über 90 Prozent aller Spielorte auf St. Pauli befinden. Zu unseren Leitmotiven gehört, ästhetisch besonderes, überraschendes Programm und Genrevielfalt anzubieten. Es gibt musikalische Gattungen und Produktionsformen, für die sich das neue Konzerthaus besonders gut eignet. Ähnlich verhält es sich mit dem Abaton: Die vielen guten internationalen Musikfilme, die wir in deutscher oder europäischer Erstaufführung zeigen, haben nun einmal das beste Programmkino Deutschlands verdient. Und unsere Besucher ebenfalls.
Der Begriff „Clubsterben“ hat die Musikszene dieses Jahr sehr bewegt. Wird das Reeperbahn Festival irgendwann nur in Kiosken und Discountern stattfinden?
Ohne Musikclubs auf dem Kiez und an der Feldstraße gäbe es auch kein Reeperbahn Festival mehr.