Hamburg. Internationale Delegation inspiziert Hamburgs sportliche Infrastruktur – bekommt die Stadt jetzt das weltweit begehrte Gütesiegel?
„In Hamburg trifft man ja kaum einen Menschen, der sich nicht regelmäßig bewegt, Sport im Verein oder im Fitnessstudio treibt. Angeblich sind hier laut einer Studie 80 Prozent der Leute aktiv. Selbst der Bürgermeister geht zu Fuß zum Rathaus, hat uns Peter Tschentscher gerade bei unserer Begrüßung erzählt.“ Michaël Gross ist schon ein wenig erstaunt, von all diesen Tätigkeiten zu hören. Sie passen aber ins Bild, das er sich mit seinen drei Mitstreitern bereits am ersten Tag seines Hamburg-Besuchs machen konnte.
Zwei Tage lang inspizieren der Schweizer Gross, der Tunesier Ziad Ka- dhi, der Ire Alister Dalrymple und der Argentinier Francisco Irarrazaval die sportliche Infrastruktur der Stadt, besuchen unter anderem den Eimsbütteler Turnverband (Thema: moderner Sportverein im Stadtteil) und den FC St. Pauli (Sportverein als sozialer Faktor), aber auch den Wilhelmsburger Inselpark, die Inselparkhalle und die Bewegungsinsel Baakenhafen. Begleitet werden sie von Sportstaatsrat Christoph Holstein, einem Kitesurfer.
Dalrymple ist Chef der Delegation der unabhängigen Schweizer Active Well-being Initiative mit Sitz in Lausanne, die dokumentieren und bewerten soll, wie nachhaltig das Senatsprogramm ActiveCity ist und, wichtiger noch, wie es von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird. Das Quartett evaluiert die Stadt im Auftrag der Tafisa (Trim and Fitness International Sport for All Association), einem 1991 gegründeten Weltverband des Breitensports mit 152 Mitgliedsorganisationen in mehr als 100 Ländern. Die Tafisa pflegt Partnerschaften mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), der Unesco und der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Sechs Städte sollen das Gütesiegel erhalten
In diesem Jahr will sie Anfang Oktober in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires während der Olympischen Jugendspiele (6. bis 18. Oktober) zum ersten Mal sechs Städten das Gütesiegel Global ActiveCity verleihen. Neben Hamburg bewerben sich Liverpool (England), Lillehammer (Norwegen), Richmond (USA), Ljubljana (Slowenien) und Buenos Aires um die Zertifizierung. Der Bericht der Active Well-being Initiative ist die Grundlage der Tafisa-Entscheidung.
Ingo Weiss, der Präsident des Deutschen Basketball Bunds, hat die Funktionäre der Tafisa kürzlich als „Poeten des Sports“ beschrieben. Ihnen ginge es weniger um „tolle Veranstaltungen und großartige Meisterschaften“, vielmehr um die Sportkultur, die eine Stadt oder Region präge. Beim einstündigen Gespräch mit Innen- und Sportsenator Andy Grote (SPD) im Rathaus standen deshalb auch Themen wie die Hamburger Dekadenstrategie Sport auf der Agenda, der Antrieb der Menschen, Sport zu treiben, die Geschichte des Hamburger Sports, das Verhältnis der Stadt zu anderen Metropolen, zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) – und welche Beiträge Sport und Bewegung für die Lebensqualität einer Stadt leisten können, die wächst.
„Es geht uns nicht um spektakuläre Events, die Ausrichtung von Welt- und Europameisterschaften oder um erfolgreichen Spitzensport. Eines der wichtigsten Kriterien für unsere Beurteilung ist: Was tut die Stadt, um Menschen vom Sofa zu holen, was, damit möglichst alle Einwohner jedes Alters, jeder Herkunft, jeder sozialen Schicht, jedes Stadtteils die Chance erhalten, sich regelmäßig körperlich zu betätigen“, sagt Delegationsleiter Dalrymple. Dazu gehörten Fahrrad- und Fußwege, Sportmöglichkeiten in Parks und auf Grünflächen – und wie nachhaltig der Sport in die Politik eingebunden ist.
Örtliches Sportnetzwerk ist ein Kriterium
Sein erster Eindruck: „Hamburg macht in dieser Beziehung vieles richtig.“ Der großteils umgesetzte Plan, im Rahmen des Programms ActiveCity in jedem der sieben Bezirke Bewegungsinseln für die Allgemeinheit zu bauen, sie von den Quartiersvereinen betreuen zu lassen und vor Ort kostenlose Sportprogramme wie „ActiveCity Summer“ anzubieten, beeindruckte die vier Prüfer.
Ein weiteres Kriterium für die neue Benchmark Global ActiveCity sei das örtliche Netzwerk des Sports, sagt der Argentinier Irarrazaval: „Wie ist er in das gesellschaftliche Leben eingebunden, welche Organisationen unterstützen ihn, welche Allianzen bestehen, wird er aktiv gelebt? Oder ist der Sport ein aufgesetztes, künstliches Produkt?“ Ein Treffen mit Vertretern der Handelskammer räumte auch in diesem Punkt Zweifel aus. „Im Vergleich zu anderen Städten muss sich Hamburgs Sport nicht verstecken; im Gegenteil, hier gibt es viel Nachahmenswertes“, lautet ein erstes Fazit Dalrymples.
Und wenn auch die Bewertung von Sportveranstaltungen nicht zum Kriterienkatalog gehört: Das „Hamburger Format“ – bei Events wie Marathon, Triathlon und Cyclassics Spitzen- und Breitensport miteinander zu verbinden – scheint die Grundlage für die Sportbegeisterung der Hamburger zu liefern.
Um die Zertifizierung als Global Active City muss sich die Stadt wohl keine Sorgen machen. Senator Grote kann den Flug nach Buenos Aires buchen lassen.