Hamburg. Die Geschichte eines Mannes, der vor seinem Haus für Ordnung sorgen wollte. Sie beginnt mit Schrotträdern und endet beim Staatsanwalt.

Stefan Schulz hatte es nur gut gemeint. Zusammen mit ein paar Nachbarn hatte er im Rahmen der Aktion „Hamburg räumt auf“ den Grünstreifen vor seinem Haus von Dreck und Müll befreit und ihn neu bepflanzt. „Die Fläche war auf einmal richtig schön, und wir waren alle stolz auf uns“, sagt er. Wenn nicht die beiden alten Fahrräder gewesen wären, die vor dem Grün an einem Metallbügel angeschlossen waren.

Das eine hatte weder Reifen noch Sattel, war total verrostet. Das andere sah etwas besser aus, war aber auch lange nicht bewegt worden. Das Gras wucherte über die Fahrradruinen, die die Nachbarn schon seit rund drei Jahren ärgerten. Und die so gar nicht zu der schönen neuen Grünfläche passten. Kein Wunder, dass am Ende der Aufräumaktion die eine Frage im Raum stand: „Warum beseitigen wir den Schrott nicht gleich mit?“

Hätte er die Flex bloß nie aus der Garage geholt

Schulz ist ein Mann der Tat. Man könnte das kaputte Rad doch selbst zum Recyclinghof transportieren, schlug er vor. Und das andere zumindest an eine Stelle versetzen, wo es nicht so stört. Gesagt, getan: Wenige Tage später brachte der Hamburger einen Winkelschleifer (Flex) mit, um damit vorsichtig die Schlösser an den alten Rädern zu durchtrennen. Hätte er gewusst, was er damit auslöst – der zweifache Familienvater hätte die Flex niemals aus der Garage geholt.

Aber der Reihe nach: Als Schulz nach getaner Arbeit zurück in seine Wohnung ging, beobachtete er aus den Augenwinkeln eine junge Frau, die neben den Rädern stand und dabei telefonierte. „Ich habe mir erst nichts weiter dabei gedacht“, sagte er.

Auf einmal ermittelt die Polizei gegen Stefan Schulz

Doch später oben in der Wohnung kamen ihm plötzlich Zweifel. Sollte da etwa jemand seine Aktion falsch verstanden haben? Eigentlich nicht möglich. Erstens konnte ja jeder sehen, dass die Räder nicht mehr funktionsfähig waren. Und zweitens hatte er nur die Schlösser aufgeschnitten, die Räder aber stehen lassen. Wegbringen wollte er das eine erst einige Tage später. Komisch nur, am nächsten Morgen waren auf einmal beide verschwunden …

Einige Wochen später. Die Aktion war in der Familie Schulz in Vergessenheit geraten, als plötzlich ein Brief von der Polizei im Briefkasten steckte. Genauer gesagt: eine Zeugenvorladung. „Sehr geehrter Herr Schulz“, hieß es, „die Polizei Hamburg ermittelt im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Fahrraddiebstahls, in dem Sie als Zeuge zu hören sind. Da es zur Klärung des Sachverhaltes und für die weitere Bearbeitung des Verfahrens erforderlich ist, die Umstände der Tat so genau wie möglich festzustellen, bitte ich Sie, am 22. Mai zur Vernehmung zur Dienststelle zu kommen.“

Plötzlich war von „schwerem“ Diebstahl die Rede

Was für ein Schreck. Natürlich ging es um die Aktion mit der Flex. Aber Diebstahl? Wieso Diebstahl? Schulz war klar: Das muss ich aufklären. „Ich hatte aber wirklich Sorge, dass ich mit einem falschen Wort bei der Polizei alles noch schlimmer mache“, sagt er. Er ging mit seiner Frau alle möglichen Fragen durch, die man ihm dort stellen könnte, googelte, welche Strafe auf Fahrraddiebstahl steht. Das hörte sich nicht gut an. Dabei hatte Stefan Schulz es doch nur gut gemeint. Aber ob das jetzt noch jemand interessierte? „Ich hatte ja keine Ahnung, was da auf mich zukommen könnte.“

Mit einem Kloß im Hals und einem grummelnden Bauch meldete sich der Eppendorfer dann in der Polizeidienststelle. Ein freundlicher Beamter klärte Schulz auf, dass der Vorwurf des schweren Diebstahls im Raum stünde, weil der 48-Jährige mit Gewalt die Schlösser durchtrennt habe. Ein Rad habe die Polizei mitgenommen. Für das andere habe sich noch während des Einsatzes die Besitzerin gemeldet und es abgeholt. „Ich habe darauf hingewiesen, dass kein Halter erkennbar gewesen sei“, sagt Schulz über die Befragung. „Und dann habe ich dem Polizisten erzählt, dass ich der Stadt eigentlich nur Arbeit abnehmen wollte, statt ihr welche zu bereiten.“

Glücklicherweise reagierte der Beamte gelassen: „Das habe ich mir gedacht“, sagte er in der Vernehmung. Trotzdem müsse alles weitere die Staatsanwaltschaft klären. Schulz verließ die Polizeiwache mit dem Gefühl, alles für die Aufklärung und nichts Unrechtes getan zu haben. Aber auch mit dem Gefühl, darauf hoffen zu müssen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ihm glauben. Nicht auszudenken, wenn nicht.

Oberstaatsanwalt schrieb verständnisvollen Brief

Der Blick in den Briefkasten wurde in den folgenden Wochen zur Qual. Erst Ende Juli, frisch aus dem Urlaub zurück, erreichte Stefan Schulz ein weiterer amtlicher Brief. Betreff: Ermittlungen gegen Sie. Vorwurf: Diebstahl. Diesmal schrieb der Oberstaatsanwalt: „Sehr geehrter Herr Schulz, das gegen Sie gerichtete Verfahren, in dem Ihnen ein versuchter Diebstahl an zwei ,Schrott-Fahrrädern‘ zur Last gelegt worden ist, habe ich gemäß Paragraf 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ihre – gute – Absicht, im Rahmen der Aktion ,Hamburg räumt auf‘ offenkundig herrenlose Fahrradru­inen zu beseitigen, war leider missverstanden worden. Als positive Erfahrung können Sie allerdings mitnehmen, dass in Ihrer Nachbarschaft darauf geachtet wird, ob jemand ein Fahrradschloss durchtrennt. Das ist leider in unserer Stadt nicht an allen Orten der Fall.“

Noch heute merkt man Schulz die Erleichterung an. „Mann o Mann, wenn das schiefgegangen wäre.“ Und weiter: „Sicher, ich habe das Motto ,Hamburg räumt auf‘ zu wörtlich genommen.“ Allerdings nur mit den besten Absichten. Die Geschichte zeige ihm vor allem, wie schnell man in die Fänge der Justiz geraten könne. „Auf eigene Faust mache ich bestimmt nie wieder etwas für Hamburgs Sauberkeit“, sagt er. „Künftig rufe ich bei der Stadtreinigung an.“ Interessanterweise sei das Ordnungsamt wenige Tage nach seiner Aktion in der Straße gewesen, um alte, offensichtlich herrenlose Fahrräder zu kennzeichnen. „Leider zu spät …“

Vorsicht, Diebstahl!

Warum man alte Gegenstände, die an Straßen liegen, nicht einfach entsorgen darf.

Warum ist das oben beschriebene Vorgehen ein schwerer Diebstahl?

Das Fahrrad war durch eine Schutzvorrichtung, in diesem Fall das Schloss, gesichert. „Wenn jemand das aufschneidet, setzt er sich über die Schutzmaßnahme hinweg“, sagt Florian Abbenseth, Sprecher der Polizei Hamburg. Zum Vergleich: Ein einfacher Diebstahl liegt vor, wenn ein nicht angeschlossenes Rad gestohlen wird.

Welche Strafe steht auf Diebstahl?

Einfacher Diebstahl wird mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet. Bei schwerem Diebstahl käme eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zehn Jahren in Betracht. Es kommt dabei aber auch immer auf den Wert der gestohlenen Sache an. Liegt dieser unter etwa 50 Euro, ist die zu erwartende Strafe geringer.

Warum ist die Polizei dem Fall nachgegangen, obwohl es sich offensichtlich um ein Schrottrad handelte?

„Wir wurden von einer Zeugin alarmiert, die von einem mutmaßlichen Fahrraddieb berichtete“, sagt Abbenseth. „Da sind natürlich sofort Kollegen ausgerückt.“ Als die Beamten vor Ort ankamen, war der vermeintliche Täter verschwunden. „Im ersten Moment sah es dann so aus, als sei er vor uns geflüchtet.“ Wegen versuchten Fahrraddiebstahls sei eine Anzeige aufgenommen worden. Eines der beiden alten Räder habe eine Nachbarin als ihres identifiziert und an sich genommen. Das andere offensichtlich herrenlose Rad habe die Polizei mitnehmen müssen. Eigentumssicherung nennt sie das. „Denn auch wenn das Rad offensichtlich alt und kaputt war, gehört es ja irgendjemandem.“

Wie wäre das richtige Verhalten gewesen?

Auch wenn das Rad offensichtlich lange nicht benutzt wurde und in einem kläglichen Zustand war: Es ist Eigentum einer Person und darf nicht einfach entfernt werden. Wenn man sich als Anwohner von herumliegenden Dingen gestört fühlt, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Stadtreinigung hat eine Hotline „Saubere Stadt“ eingerichtet: Telefon 25 76 11 11. Online kann man sich an den Melde-Michel wenden, oder der Hamburg Service ist unter Telefon 42 82 80 erreichbar. Und schließlich gibt es die Behördenhotline 115.

Melden kann man nicht nur Schrotträder, sondern auch Bäume, die auf die Straße ragen, kaputte oder verschmutzte Straßen oder eben herumliegende Gegenstände. Schrotträder werden gegebenenfalls mit roten Aufklebern versehen, mit denen dem Eigentümer in Aussicht gestellt wird, dass das Fahrrad nach Ablaufen einer Frist zwangsweise entfernt werden kann. Wenn die gesetzte Frist ohne eine Reaktion verstreicht, dürfen beispielsweise die Mitarbeiter der Stadtreinigung die Räder entfernen. Solche Aufräumaktionen gibt es in Hamburg immer wieder.

Macht es einen Unterschied, wenn ein Schrottrad nicht angeschlossen ist?

Auch ohne Schloss ist das Rad fremdes Eigentum und darf nicht entfernt werden. Das Entfernen eines solchen Rades ist ebenfalls ein Diebstahl, allerdings ein einfacher.