Hamburg. Bei der „Merkel muss weg“-Demo auf dem Gänsemarkt stehen 178 Teilnehmer 10.000 Gegendemonstranten gegenüber.

Es wäre beinahe alles „wie immer“ gewesen am Mittwochabend: Auf der einen Seite eine kleine Schar Demonstranten, die sich zu gleichen Teilen aus bürgerlicher und Hooligan-Klientel speist. Der ältere Herr im Oberhemd neben dem tätowierten Schwergewicht im Thor-Steinar-Pulli. Auf der anderen Seite eine ungleich größere Menge Gegendemonstranten, die das Spektrum von der Mitte bis ganz nach links abdeckt – mit deutlichem Übergewicht der Mitte.

Das kannte man bereits von den zehn Terminen, an denen im Frühjahr ein undurchsichtiges Bündnis aus AfD-nahen und noch weiter rechts stehenden Menschen zu den „Merkel muss weg“-Demos aufgerufen hatten. Am Mittwoch, zum ersten Mal seit vier Monaten, waren es laut Polizei 178 auf der einen und 10.000 auf der anderen Seite. Auf dem Gänsemarkt viele deutsche Flaggen – und kühne Behauptungen: Die Gegendemonstranten würden nachweislich „Demogeld“ erhalten, die Islamisierung sei bereits in vollem Gange, Merkel führe Deutschland in den Abgrund.

Unerwarteter Redner

Dann aber steht auf einmal jemand auf der Bühne, den man nicht bei dieser angeblich fern aller Parteien stehenden Kundgebung erwartet hätte: Dennis Augustin, einer der beiden Landesvorsitzenden der AfD in Mecklenburg-Vorpommern. Der versichert, die AfD stehe „fest auf dem Boden des Grundgesetzes“, und wirft dem Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß, vor, er betreibe durch seine Warnung, die „Merkel muss weg“-Demo diene als Bindeglied zwischen AfD und der extremen Rechten, die „Kriminalisierung von Andersdenkenden“. Die Gegendemonstranten hingegen seien ein „gewalttätiger roter Mob, der durch allerlei staatliche Alimentierung aufgebaut wurde“. Tatsächlich greift am Ende der Kundgebung aber einer der Demonstranten einen ARD-Reporter an, der einen Schlag abbekommt.

Parteispitze geht auf Distanz zu Organisatoren

Außer Augustin spricht am Mittwoch auch Siegfried Däbritz. Der zweite Mann der Pegida hinter Lutz Bachmann beschwört die Bildung einer „Bewegung, die mithilft, Frau Merkel endgültig zu entsorgen“. Auch diese Forderung wird mit großem Applaus quittiert. Drei weitere Kundgebungen sind bereits angemeldet, jeweils am ersten Mittwoch im Monat. „Wir kommen wieder“, skandieren die Demonstranten, als sie, von der Polizei abgeschirmt, in die U-Bahn-Station Gänsemarkt gehen. „Wir sind mehr“, schallt es zurück. Im Einsatz waren 1000 Polizisten aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Berlin und Rheinland-Pfalz sowie Beamte der Bundespolizei.

Auf dem Jungfernstieg standen Tausende Gegendemonstranten
Auf dem Jungfernstieg standen Tausende Gegendemonstranten © Arning

Bereits am Mittag war die Demo schon das Thema einer mitunter turbulenten Debatte in der Bürgerschaft gewesen. Angemeldet von den Grünen, ging es in der Auseinandersetzung vor allem um die Rolle der AfD. Deren Fraktionsvorsitzender Alexander Wolf sagte: „Das ist keine AfD-Demo, sondern eine Demonstration freier Bürger – Bürgergesellschaft im besten Sinne.“ Damit sorgte Wolf für Empörung bei vielen Abgeordneten. Dann jedoch bekam er Zuspruch.

„Jeder, der dort mitmarschiert, weiß genau, dass er mit Extremisten gemeinsame Sache macht“, zitierte Wolf einen Tweet von Innensenator Andy Grote (SPD). „Genau!“, riefen viele Abgeordnete und applaudierten so laut, dass Wolfs folgende Worte untergingen. Gehör verschafft hatten sich Wolf und AfD-Landeschef Dirk Nockemann bereits am Vormittag in einer Pressekonferenz, in der sie Stellung nahmen zur Einschätzung des Hamburger Verfassungsschutzes, es gebe Verbindungen zwischen der AfD und Rechtsextremen.

Nähe zu rechtsextremistischen Strukturen

Darauf bezog sich Innensenator Andy Grote, als er in der Bürgerschaft das Wort ergriff. „Das Organisationskomitee der ,Merkel muss weg‘-Demo wird bereits seit einiger Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet“, sagte Grote. „Es kann also keine Zweifel daran geben, dass es Rechtsextremisten sind, die versuchen, auf Hamburgs Straßen Fuß zu fassen.“ Die AfD sei zwar „kein Beobachtungsobjekt“ des Hamburger Verfassungsschutzes, so Grote. „Aber wir nehmen eine Entwicklung wahr: Die Nähe und Vernetzung zu rechten und rechtsextremistischen Strukturen nimmt zu. Und da geht es auch um die Initiatoren der Merkel-muss-weg-Initiative.“

Er wundere sich, dass die AfD dem Verfassungsschutz politisches Agieren vorwerfe, sagte Grote. Er erwarte gerade von AfD-Chef Dirk Nockemann als ehemaligem Innensenator „mehr Vertrauen in die Sicherheitsbehörden unserer Stadt“. Der Verfassungsschutz könne nicht alle Belege offenlegen. Dafür sei der parlamentarische Kontrollausschuss da, in dem über die Demo berichtet worden sei – in Anwesenheit von AfD-Vertretern. „Sie können also schon lange wissen, um wen es sich da handelt“, sagte Grote. Wenn Alexander Wolf nun trotzdem sage, es handele sich um eine Bewegung im besten Bürgersinne, verharmlose er eine rechtsextremistische Bewegung und legitimiere möglicherweise „die eigene Annäherung“.

"Merkel-muss-weg"-Kundgebung und 10.000 Gegendemonstranten in Hamburg

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    Auch Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks wandte sich gegen Nockemanns Behauptung, der Verfassungsschutz werde politisch instrumentalisiert. „Das ist der Vorwurf, dass der Verfassungsschutz Fake News verbreiten würde. Das sollten Sie sich noch einmal überlegen“, sagte Tjarks. Die AfD sei nicht Opfer, sondern Täter, sagte Linken-Politikerin Christiane Schneider. „Sie versuchen mit diesen ,Merkel muss weg‘-Demos, das Ressentiment und den Hass, der sich in Teilen der Bevölkerung breitmacht, auf die Straße zu bringen.“

    Flocken sorgte für Eklat

    SPD-Politiker Sören Schumacher verwies auf die Ereignisse in Chemnitz, wo „eine rechtsextremistische Ideologie ihr abscheuliches Gesicht“ gezeigt habe. „Fremdenhass, Rassismus, Antisemitismus, Nazismus sind keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, sagte er. Wie in Chemnitz gingen auch bei der „Merkel muss weg“-Demo“ in Hamburg „eher wenige besorgte Bürger auf die Straße“, sagte Antje Möller von den Grünen. Die Anmeldung sei dem rechten Spektrum zuzuordnen. „Die besorgt-bürgerliche Tarnung scheint nicht mehr nötig“, sagte Möller.

    Wer gegen Menschen hetze, „ist wahrlich kein Patriot“, sagte CDU-Politiker Dennis Gladiator. „Wir werden nicht zusehen, wie Rechtsextremisten unsere Freiheitsrechte missbrauchen.“ Auch Carl Jarchow von der FDP sieht „Rechtsstaat und Zivilgesellschaft gefordert“. Es müsse zudem gelingen, Menschen, die zu solchen Demonstrationen gingen und die AfD wählten, „in einer großen Anzahl zurückzuholen zu den demokratischen Parteien“.

    Für einen Eklat sorgte der aus der AfD-Fraktion ausgeschlossene Abgeordnete Ludwig Flocken, dem nach Entgleisungen von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) das Wort entzogen wurde. Zuvor hatten viele Abgeordnete aus Protest den Saal verlassen.