Vor der Begegnung verlieren einige Fans jedes Maß – wäre die Polizei nicht eingeschritten, hätte es wohl schon am Sonnabend gekracht.
Die Situation spitzt sich zu, eine Provokation jagt die nächste. Gut dreieinhalb Wochen vor dem Lokalderby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV rumort es mächtig in der Fan-Szene. Am Wochenende hätte es fast geknallt. Eine handfeste Auseinandersetzung zwischen rund 150 St.-Pauli-Ultras und 50 HSV-Ultras auf dem Kiez konnte die Polizei durch eine massive Präsenz gerade noch abwenden.
In der Nacht zum Sonntag hatten sich die 150 St.-Pauli-Fans zunächst auf dem Paulinenplatz versammelt, Parolen wie „Tod und Hass dem HSV“ und „Scheiß HSV“ skandiert und sich dann in Richtung Kiez in Bewegung gesetzt. Die HSV-Ultras marschierten unterdessen grölend von ihrer Stammkneipe „Tankstelle“ an der Gerhardstraße los – Treffpunkt sollte wohl der Beatles-Platz sein. Beide schwarz gekleideten Fangruppen sollen sich dort für eine „dritte Halbzeit“ verabredet haben.
Polizisten bilden Kette
Doch aus der Klopperei der zornigen jungen Männer wurde nichts: An der Ecke Beatles-Platz/Große Freiheit bildeten Polizisten eine Kette. Als die Anhänger beider Lager die Beamten sahen, lösten sich die Gruppen auf. Kurz darauf erwischten Polizisten in der Davidstraße acht HSV-Ultras – drei wurden wegen ihres aggressiven Verhaltens in Gewahrsam genommen, fünf erhielten Aufenthaltsverbote. Zudem entdeckten die Beamten bei ihnen Sturmhauben und Zahnschutz.
Die Beinahe-Eskalation auf dem Kiez ist aber nicht der erste Vorfall, der belegt, wie aufgeladen und explosiv die Stimmung vor dem Stadtderby schon jetzt ist. Der HSV hat mit dem Stadtrivalen ohnehin noch eine Rechnung offen – beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Clubs am 16. Februar 2011 siegten die Kiezkicker mit 1:0. Im Volksparkstadion.
HSV-Ultras lauern FC St.-Pauli-Fans auf
Als am 24. August die eng mit der St.-Pauli-Ultra-Szene verbandelten Bands Fast Sluts und LAK im Lokal Menschenzoo an der Hopfenstraße auftreten sollten, lauerten den Besuchern im Eingangsbereich und rund um den Club mehr als 50 HSV-Ultras auf. Das Ende vom Lied: Das Konzert wurde abgesagt, gegen 25 HSV-Fans sprach die alarmierte Polizei Aufenthaltsverbote aus.
Wie es auf der Internet-Seite "Faszination Fankurve" heißt, könnte das Konzert der beiden St.-Pauli-nahen Bands von den HSV-Fans als Provokation aufgefasst worden sein. Grund: Der Menschenzoo befindet sich auf der von HSV-Fans als Rückzugsort betrachteten „HSV-Seite“ der Reeperbahn mit dem Hans-Albers-Platz, und dort liegt auch die HSV-Stammkneipe Tankstelle. Traditionell beanspruchen die St.-Pauli-Fans die gegenüberliegende Seite für sich – beide Lager gehen einander gewöhnlich aus dem Weg.
Provokatives Banner und Fahnen-Diebstahl
Nur drei Tage nach der Belagerung des Konzertes folgte schon die nächste Provokation. Am 27. August, beim Spiel HSV gegen Arminia Bielefeld, wurde in der Nordkurve ein rotes Transparent mit der Aufschrift „Stellt euch endlich unsrer Gier/100 ihr: 100 wir“ hochgehalten – eine eindeutige Aufforderung zum Schlagabtausch. Am vergangenen Freitag keilten dann die anderen zurück. Nach Medienberichten sollen St.-Pauli-Anhänger beim Spiel des FC Türkiye gegen HSV III eine HSV-Fahne gestohlen haben. „Dieses Hin und Her an gegenseitigen Provokationen wird noch bis zum Spiel so weitergehen“, sagt ein Insider. „Die Situation wird sich immer mehr hochschaukeln.“
Die Polizei jedenfalls ist wachsam. „Wir haben die Szene genau im Blick“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. „Und bei sich androhenden Auseinandersetzungen schreiten wir konsequent ein.“
Von denen gab es in der Vergangenheit reichlich. Mehrfach wurden St.-Pauli-Fans von HSV-Schlägern überfallen: in einem Parkhaus, an den Landungsbrücken; ein junger Mann wurde mit einem Messerstich lebensgefährlich verletzt. Gerade erst verurteilte das Amtsgericht Wandsbek einen 23 Jahre alten Angehörigen der HSV-Ultra-Gruppe „Clique du Nord“ zu 16 Monaten Haft auf Bewährung, weil er in Wandsbek einen 38 Jahre alten St.-Pauli-Anhänger zusammengeschlagen und schwer verletzt hatte.
Andersherum gab es auch schon etliche Übergriffe: Mehrfach wurde die „Tankstelle“, ein HSV-Fantreff in der Nähe des Hans-Albers-Platzes, überfallen. Und als der HFC Falke (eine Vereinsgründung von HSV-Fans, die wegen der Gründung der Fußball-AG den Club verließen) in der 7. Liga gegen St. Pauli III spielte, kam es zu einer brutalen Attacke von St.-Pauli-Fans.
Vereinschefs: Wir lehnen Gewalt ab!
Auf Vereins- und Funktionärsebene wollen beide Hamburger Teams nun eng zusammenarbeiten, damit die Gewalt bis zum Derby am 30. September nicht noch weiter eskaliert. „Wir nehmen die Vorfälle sehr ernst und werden nun noch intensiver in den internen Austausch mit der Polizei und mit dem FC St. Pauli treten, was die Derby-Vorbereitung betrifft“, sagt HSV-Chef Bernd Hoffmann. „Wir wollen Derby-Rivalität, aber ausschließlich in sportlicher Hinsicht und in Form von Stimmung auf den Rängen. Wir verurteilen Gewalt und werden dagegen gemeinsam vorgehen.“
Ähnlich äußerte sich auch FC-St.-Pauli-Geschäftsführer Andreas Rettig gegenüber dem Abendblatt. „Wir lehnen Gewalt in jeder Form ab. Wir sind in enger Abstimmung mit den Kollegen vom HSV und der Polizei und werden alles dafür, dass wir ein sicheres und friedliches Derby erleben können.“ Um dieses Ziel zu erreichen, trafen sich am Montag die Sicherheitsbeauftragten beider Vereine.