Hamburg. Die Auftragsbücher der Schädlingsbekämpfer sind voll. Vor allem Kitas, Schulen und Lebensmittelbetriebe bitten um Beistand.
Vor der Regenrinne herrscht ausgesprochen reger Flugverkehr. Mehrere Dutzend Wespen schwirren durch die Luft, verschwinden in einem kaum sichtbaren Spalt hinter dem Mauerwerk des Hummelsbüttler Einfamilienhauses. Alexander Lüders genügt ein Blick. „Das Nest sitzt im Hohlraum des Dachsimses“, sagt er. Und: Es ist groß, mit Platz für 500 bis 1000 Wespen schätzt der Schädlingsbekämpfer. Vor zwei Wochen hatten die Hausbesitzer die unliebsamen Mitbewohner entdeckt. In der vergangenen Woche haben sie versucht, einen Fachmann für die Beseitigung zu finden. Das war nicht einfach. „Zeitweilig haben bei uns 40 bis 50 Kunden am Tag angerufen, weil sie Probleme mit Wespen haben“, sagt Lüders, der für die Hamburger Firma Ökokil arbeitet. Seit Mitte Mai geht das so, jetzt wird es langsam ein bisschen weniger. Der Supersommer 2018 mit seiner Hitze und Trockenheit hat auch Wespen prächtige Bedingungen beschert. Und Kammerjägern volle Auftragsbücher.
Für Lüders, der eigentlich Koch ist und sich vor einigen Jahren zum geprüften Schädlingsbekämpfer hat umschulen lassen, ist es an diesem Spätsommertag einer von mehreren Wespeneinsätzen. In diesem Fall haben die schwarz-gelben Insekten mit dem giftigen Stich ihre Einflugschneise ausgerechnet vor das Wohnzimmerfenster des Hummelsbüttler Ehepaars und in unmittelbarer Nähe zum viel genutzten Terrassensitzplatz gelegt. Nach wochenlangem Geschwirr wollen sie die angriffslustigen Tiere einfach nur loswerden. Die Hausbesitzerin ist hochallergisch, ihr Ehemann wurde in früheren Jahren schon so zerstochen, dass der Notarzt kommen musste. Und dann sind da noch die Enkelkinder, die im großen Garten toben wollen.
Wespen dürfen nicht gestört werden
Jetzt ist es die Sache von Schädlingsexperte Lüders den Grad der Gefährdung einzuschätzen. Denn: Ohne triftigen Grund dürfen Wespen – wie alle wilden Tiere – laut Paragraf 39 Absatz 14 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht in ihrer Entwicklung gestört werden. Er schaut sich noch eine Weile die An- und Abflüge der Wespen an, dann steht für ihn fest: „Es besteht eine Gefährdung.“ Die Hausbesitzerin atmet erleichtert aus. Und der Kammerjäger klappt den Kofferraum seines unscheinbaren SUV auf. Im besten Fall kann ein Nest umgesetzt werden, erklärt der 27-Jährige, während er einen Schutzanzug aus dichter Baumwolle mit einem Netzvisier anzieht und sich lange Handschuhe überstreift. In diesem Fall ist eine Umsiedlung nicht möglich, weil die Wespenkönigin mit ihrem Staat in einem Hohlraum im Fenstersims residiert. „Da hilft nur Ausschäumen“, sagt Lüders und befestigt eine Sprühflasche mit einem sogenannten Kontaktinsektizid an einem Teleskopstab. Dann dichtet er den Eingang des Nestes mit dem Spezialschaum ab.
Gemeine Wespe bis Oktober unterwegs
Obwohl es in den vergangenen Tagen etwas kühler geworden ist, ist die Wespenzeit nach Einschätzung von Experten noch längst nicht vorbei. Vor allem die Gemeine Wespe, die neben der Deutschen Wespe zu den besonders angriffslustigen Arten gehört, kann noch bis Ende Oktober unterwegs sein. „Es ist ein gutes Wespenjahr“, sagt Ilka Bodmann vom Nabu Hamburg. Zwar gebe es kein wissenschaftliches Monitoring, das einen Vergleich der Population mit den Vorjahren möglich machen würde. Aber, sagt sie, „bei der Wärme konnten die Wespen anders als vergangenes Jahr jeden Tag unterwegs sein.“ Dabei fliegen die Insekten vor allem auf Kohlenhydrate, die sie etwa in Obst finden, und auf Fleisch, das wichtige Proteine enthält. Nicht überraschend ist die Umweltexpertin keine Befürworterin von Gifteinsätzen gegen Wespen. Schließlich seien die Tiere ein Teil der Nahrungskette, etwa für Vögel. Sie selbst fressen auch Ungeziefer. Bodmann räumt aber ein: „Grundsätzlich geht die Gesundheit vor.“
Firma konnte nur jeden dritten Auftrag annehmen
Bei der Schädlingsbekämpfungsfirma Ökokil arbeiten drei Mitarbeiter. „In den ersten Sommermonaten konnten wir nur jeden dritten Auftrag annehmen“, sagt Geschäftsführer Dirk Scharfenort. Darunter viele Kitas, Schulen, Bäckereien und andere Lebensmittelbetriebe. Jeder Kunde wird zunächst am Telefon beraten, um die Gefahrenlage einzuschätzen. Zeitweise dauerte es zwei Wochen, bis ein Wespennestauftrag abgearbeitet werden konnte, jetzt entspannt sich die Situation etwas. Im Schnitt hat das Unternehmen, das seit 20 Jahren am Markt ist, aber immer noch zehn Wespeneinsätze am Tag in Hamburg und im südlichen Schleswig-Holstein. Dazu kommt die Bekämpfung von Ratten und Mäusen, Kakerlaken, Vogelflöhen und zunehmend auch Bettwanzen. „Die Wespen machen in dieser Saison ein Viertel der Aufträge aus“, so Scharfenort. Die Entfernung eines Nestes kostet ab 100 Euro, je nach Anfahrtsweg und Aufwand kann es auch teurer werden. Dabei kommen anders als der Firmenname suggeriert, auch chemische Stoffe zum Einsatz. „Viele Kunden möchten, dass wir so ökologisch wie möglich vorgehen. Aber immer geht das nicht.“
Wespen als Umsatzbringer
Im Hamburger Einzugsbereich gibt es 40 bis 50 Schädlingsbekämpfungsfirmen. „Wespen sind in diesem Jahr ein Umsatzbringer“, sagt Hans-Ullrich Limberts, Landesvorsitzender für Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern des Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verbandes und Chef der Protectis Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung, Hygiene- und Umweltmanagement mit 50 Mitarbeitern. Auch in seinem Unternehmen gibt es Wartezeiten von zwei Wochen. Das hat auch mit dem Problem zu tun, Personal zu finden. Schädlingsbekämpfer haben nicht das beste Image. „Viele Betriebe suchen händeringend“, sagt Limberts. Dabei ist der Kampf gegen das Ungeziefer durchaus einträglich. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber 2017 wurden Schätzungen zufolge in Deutschland etwa 600 Millionen Euro Umsatz in der Branche erwirtschaftet. Trotz der Wartezeiten rät der Schädlingsexperte dazu, bei der Auftragsvergabe genau hinzuschauen. „Es gibt auch Betrüger, die im Internet ihre Dienste zu überhöhten Preisen anbieten.“ Auch davon selbst tätig zu werden, rät er dringend ab.
Der Einsatz von Kammerjäger Alexander Lüders in Hummelsbüttel ist nach einer knappen halben Stunde abgeschlossen. Eine dicke weiße Schaumschicht dichtet jetzt die Einflugschneise des Wespenstaats ab. Darin sitzt die Wespenkönigin mit ihrem Staat fest, davor schwirren Wespen in wilden Schleifen. „Aber in spätestens drei Tagen ist Ruhe“, verspricht Lüders. Für die menschlichen Bewohner ist das Gift ungefährlich. Den Schutzanzug hat der Schädlingsbekämpfer schon wieder ausgezogen. Er schreibt noch die Rechnung, Kurz darauf klingelt sein Telefon, ein Kunde hat ein Wespennest entdeckt und braucht Hilfe.