St. Pauli. Die große Freiheit der Nagetiere auf St. Pauli und ihr größter Feind: Kammerjäger Dennis Kalff über sein Lieblingsrevier.
In seinen 20 Dienstjahren hat Dennis Kalff auf dem Kiez schon so einiges erlebt. Eine Sexarbeiterin rief die Schädlingsbekämpfung, weil ein paar Mäuse ihren Schrank für ein geeignetes Zuhause hielten. Nur, dass das Möbelstück eine ganze Kollektion Sexspielzeuge beherbergte. Da musste der Kammerjäger zunächst fein säuberlich den Schrank ausräumen. „Der, der verlegen ist, bin dann eher ich“, sagt er.
Der 40-Jährige kennt den Kiez besser als die meisten. Er hat schon in jedem dritten Haus gearbeitet, sagt er, und erzählt die Geschichte, als er vor einigen Jahren zum Einsatz in einen Sadomaso-Keller gerufen wurde. Ein ans Andreaskreuz geketteter Kunde hatte sich über Mausbefall beschwert. „Das war natürlich einfach nur Weltklasse. Ich hab meine Falle aufgestellt und bin wieder los.“ Doch gerade aufgrund solch unterschiedlicher Begebenheiten sei die Arbeit auf dem Kiez besonders und die Menschen dazu immer freundlich. Manchmal gibt es nach getaner Arbeit noch ein Käffchen im Hinterzimmer eines Bordells. „Ich bin einer der wenigen Männer, für den die eigene Frau einen Termin im Bordell macht“, erzählt er und lacht.
Man könnte meinen, lästige Mitesser wie Ratten und Mäuse oder aufdringliche Bettgenossen wie Bettwanzen gehörten einfach dazu in einem bunten Vergnügungsviertel. Der Rattenfänger ist regelmäßig in ganz Hamburg unterwegs und weiß: „Ratten gab es schon immer.“ Nur hätten es die Nager leichter, wenn man ihnen den roten Teppich ausrollt. Zwischen gut gelaunten Partygängern und Streifenpolizisten ziehen immer wieder Kleingruppen feierwütiger Rattenclans über den Kiez. Ihr Ziel sind die halboffenen rosa Mülltüten vor der Tür, ihr bestes Schnittchen ist eine zarte Faser Dönerfleisch oder das Burgerbrötchen, das wie eine verlassene Insel am Straßenrand liegt. „Wir können zurzeit schon von einer Rattenplage sprechen“, berichtet der Chef einer Firma aus Barsbüttel, die mit ihren zwölf Mitarbeitern auf Jagd nach Ratten, Bettwanzen, Schaben oder auch Tauben geht. „Das Nahrungsangebot ist einfach zu groß, Essensreste werden achtlos weggeschmissen. Das ist wie ein Paradies für Ratten. Die verziehen sich dann in ihre Kuschelgebüsche und leben wie Gott in Frankreich“. Statt mit einer Flöte, wie der Rattenfänger aus Hameln, spürt Kalff dem Ungeziefer mit Giftködern, Schlag- oder Lebendfallen nach.
Bereits Kalffs GroßvaterKurt jagte Ratten
Doch so einfach ist das mit der Schädlingsbekämpfung nicht. Besonders schlimm sei es seit vergangenem Jahr eben vor allem auf St. Pauli. Auch wenn die Stadtreinigung die Überreste der Nacht schnell entfernt. Die Hamburger Gesundheitsbehörde meldete, wie berichtet, einen Rekord von Hinweisen auf Rattenbefall: Waren es 2015 noch 1281 Meldungen in der Hansestadt, so stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 1640. Spitzenreiter war dabei der Bezirk Wandsbek mit 450 Meldungen, gefolgt von Mitte mit 247 und Nord mit 245. Kalff erklärt sich diese Tendenz mit einem gestiegenen Bewusstsein. „Heute sind die Leute besser aufgeklärt, reagieren teilweise auch sensibler und melden Fälle häufiger“. Das Problem: Eine Ratte bringt es pro Jahr auf 600 Nachkommen. Die übertragen jede Menge Krankheiten.
Wie viele Handwerksbetriebe hat auch der Betrieb in Barsbüttel Nachwuchsprobleme. Zurzeit beschäftigt er einen Auszubildenden. „Wer kommt schon aus der Schule und denkt, hey, ich werde jetzt Kammerjäger?“, sagt Dennis Kalff. Dabei sei der Beruf „echt cool“, werde lediglich zu wenig beworben. „Es geht nicht nur um Dreck und tote Tiere. Wir arbeiten auch in sauberen Bereichen, kontrollieren Küchen, Containerschiffe und Lagerbetriebe“, betont Kalff. Wer einen Kammerjäger ruft, öffnet ihm die Türe nicht nur zum Wohn- oder Badezimmer: „Man erfährt Dinge, die man in der kleinen Glitzerwelt am Wochenende nicht mitbekommt“. Einmal musste er auf dem Kiez Kakerlaken bekämpfen, die es sich in einer Videokabine in einem Sexkino gemütlich gemacht hatten. „Die schleppen die Leute in ihren Rucksäcken hinein.“
Beim Girls’ Day will er seine Tochter mitnehmen
Gebucht wird Dennis Kalff sowohl von Privatleuten und Unternehmen als auch von Städten und Kommunen. Ein weiteres berufliches Standbein für den Kammerjäger ist die Reinigung und Desinfektion von Krankenwagen oder Einsatzfahrzeugen der Polizei. Hauptgeschäft ist und bleibt die Schädlingsbekämpfung auf den Straßen Hamburgs.
Bereits Kalffs Großvater Kurt jagte Ratten, als er 1920 den Betrieb gründete. Ob das auch weiter Familientradition bleibt, hängt von den Berufswünschen Kalffs neunjähriger Tochter ab. Die Schülerin hat zwei Kaninchen und spielt mit dem Gedanken, Tierärztin zu werden. „Vielleicht nehme ich sie ja mal beim Girls’ Day mit“, sagt der Kammerjäger. Damit sie später die Ratten das Fürchten lehrt.