Hamburg. Der Abriss des Gebäudeensembles berührt nun auch den Welterbetitel des benachbarten Kontorhausviertels. Senat steht unter Druck.

Sie wollen es ihnen zeigen an diesem so wichtigen Tag. Symbolisch zeigen, was visuell vom Kontorhausviertel übrig bliebe, wenn der City-Hof mit seinen vier Gebäudeteilen abgerissen und sich an seiner Stelle der geplante, trutzige Neubau erheben würde. Dieser Neubau, der noch länger werden soll als das vierteilige Gebäude-Ensemble, könnte die Sichtbeziehungen aus Richtung Osten auf das Weltkulturerbe Kontorhausviertel nahezu komplett verstellen, lautet eine Position der Abrissgegner von der Initiative City-Hof e.V.

Am Donnerstagmorgen haben sie deshalb Schilder mitgebracht, die zusammengesetzt ein Backstein-Bollwerk bilden sollen. Für sie fühlt es sich an wie vor einem Endspiel – was die Icomos-Beratungsmission für die Zukunft des City-Hofes ja auch ist.

Wandelnde Backsteinwand unterwegs

Seit einer Stunde wartet die wandelnde Backsteinwand an der Burchardstraße gespannt auf die zwei Expertinnen von Icomos, dem beratenden Organ des Unesco-Welterbezentrums. Bei einer Ortsbegehung der Icomos-Vertreterinnen Susan Denyer (Großbritannien) und Natalia Dushkina (Russland) am Donnerstagmorgen und einer Anhörung am Nachmittag soll die Frage geklärt werden, welchen Einfluss der Abriss des denkmalgeschützten City-Hofs auf den außergewöhnlichen universellen Wert des Weltkulturerbes „Speicherstadt und Kontorhausviertel mit Chilehaus“ hätte.

Ob Hamburg der Titel Weltkulturerbe aberkannt wird, sollte der Neubau realisiert werden, hängt also entscheidend von ihrem Votum ab. An der Ortsbegehung selbst dürfen die Abrisskritiker nicht teilnehmen – angeblich weil Icomos es so will.

Um 10 Uhr schließlich biegen die zwei von der Unesco beauftragten Gutachterinnen mit einigen Vertretern der Stadt im Schlepptau am Johanniswall um die Ecke. „Jetzt geht’s los, bereit machen“, sagt Marco Alexander Hosemann von der City-Hof-Initiative. Schilder hoch, die Icomos-Expertinnen lächeln, nicken kurz – dann ist die Gruppe auch schon wieder verschwunden. Hosemann wirkt zufrieden. „Die kritische Begleitung durch unsere wandelnde Backsteinmauer war erfolgreich.“

Umstrittenes Bauvorhaben

Kein anderes Bauvorhaben spaltet die Stadt derzeit so sehr wie das am Klosterwall. Hier eine leidenschaftlich für den Erhalt des denkmalgeschützten City-Hofs streitende Allianz, der sich unter anderem der Denkmalverein, der Denkmalrat, die Initiative City-Hof und eine breite oppositionelle Phalanx aus CDU, FDP und Linke angeschlossen haben. Sie betrachten die Pufferzone mit dem City-Hof als unverzichtbaren Bestandteil der Weltkulturerbezone im Kontorhausviertel. Dort der rot-grüne Senat, der sich für den Neubau starkmacht, einen wuchtigen Wohnungs-, Gewerbe- und Bürokomplex. Da steht der City-Hof nur im Weg. Für Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist das Ensemble ohnehin nur eine „asbestverseuchte Schrottimmobilie“, wie er im Vorjahr in der Bürgerschaft kundtat.

Bauherr ist die Firma Aug.Prien

Eigentlich hätte der Abriss schon im Mai beginnen sollen, die denkmalrechtliche Abrissgenehmigung ist längst erteilt. Nur die baurechtliche Genehmigung ist noch nicht beschlossen, und dafür gibt es einen einfachen Grund: Der Senat will für den Abriss erst dann grünes Licht geben, wenn klar ist, dass der Abriss keine Auswirkungen auf den Titel Weltkulturerbe hat. Sollte sich auf Empfehlung der beiden Expertinnen das Weltkulturerbe-Komitee mit der Sache befassen müssen, wären erhebliche Verzögerungen programmiert. Schon allein deshalb, weil das Komitee nur einmal im Jahr tagt – das nächste Mal im Sommer 2019. In diesem Szenario bräuchte der Bauherr, in diesem Fall die Firma Aug.Prien, starke Nerven.

Die Stadt setzt darauf, dass es nicht so weit kommt. Gegen 13 Uhr treten Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und Kultursenator Carsten Brosda (SPD) vor die Kameras, im Chilehaus haben sie stundenlang mit den Icomos-Expertinnen gesprochen. „Wir haben sehr deutlich gemacht, dass uns das Weltkulturerbe am Herzen liegt“, sagt Brosda. Für die Stadt sei klar, dass der City-Hof kulturhistorisch eben nicht zum Kontorhausviertel und damit zum Weltkulturerbe gehöre. In etwa sechs Wochen soll die Expertise fertig sein, die Unesco könnte dann ihre abschließende Empfehlung an das Auswärtige Amt schicken. Brosda: „Im Laufe des Herbstes wird es Klarheit geben.“

"Ansehensverlust" durch Verzicht auf Baudenkmal

Dann schlägt die Stunde der Abrissgegner, die den City-Hof unbedingt erhalten und sanieren möchten. Gut zwei Stunden hören sich die Icomos-Beraterinnen ihre Argumente an: Dass die Stadt mit einem Abriss in der geschützten Pufferzone ein für das Verständnis der Nachkriegszeit bedeutendes, architektonisches Zeugnis vernichten würde; dass die Sichtachse südlich des City-Hofs, die den einzigen Fernblick auf das Chilehaus ermöglicht, unwiederbringlich zerstört wäre. Dass eine „Extrapolation des Kontorhausgedankens in der Nachkriegszeit“ verloren ginge. Zudem würde der Verzicht auf ein Baudenkmal innerhalb der Pufferzone einen „erheblichen Ansehensverlust“ für die Stadt bedeuten – und mangelnden Respekt gegenüber der Unesco dokumentieren.

Ein Neubau würde das Kontorhausviertel nach außen abblocken, anstatt es hervorzuheben, sagt der kulturpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dietrich Wersich. Ein möglicher Abriss sei ein „respektloser und störender Eingriff in die Pufferzone der Welterbestätte.“ Um kurz nach 16 Uhr haben die Expertinnen genug gehört. Sie müssen jetzt ihr Urteil fällen.

Das Endspiel hat begonnen.

Icomos:

Icomos steht für International Council on Monuments and Sites, zu Deutsch Internationaler Rat für Denkmalpflege. Die Nichtregierungsorganisation sitzt in Paris und berät die Unesco zu denkmalpflegerischen Fragen, insbesondere des Weltkulturerbes.

Die Speicherstadt und das Kontorhausviertel mit dem architektonisch bedeutsamen Chilehaus wurden 2015 in die UnescoWelterbeliste aufgenommen.