Hamburg. Gemeinden verhindern Abschiebungen in 73 Fällen. AfD kritisiert, damit werde Rechtsstaat unterlaufen. Nordkirche weist dies zurück.

Das sogenannte Kirchenasyl, bei dem Kirchengemeinden ausreisepflichtige Menschen aufnehmen, um ihre Abschiebung zu verhindern, sorgt in Hamburg weiter für Diskussionen. Zuletzt stieg die Zahl der Fälle von Kirchenasyl im Bereich der Hamburger Ausländerbehörde an. Das geht aus Senatsantworten auf Kleine Anfragen der AfD-Bürgerschaftsfraktion hervor. Wurden im April noch 58 ausreisepflichtige Ausländer in Hamburg von Kirchen vor der Abschiebung geschützt, so waren es Anfang August bereits 73. Allerdings sind in den August-Angaben auch Fälle von Kirchenasyl außerhalb Hamburgs enthalten, wenn es um Menschen geht, für die Hamburgs Ausländerbehörde zuständig ist.

Neben Flüchtlingen aus dem Irak, aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea haben die Kirchen ausweislich der vom Senat veröffentlichten Liste auch Menschen vor dem Zugriff des Staates geschützt, die aus europäischen Ländern wie Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien oder dem Kosovo stammen.

"Recht und Ordnung unterlaufen"

AfD-Innenpolitiker Dirk Nockemann wirft den Kirchen in diesem Zusammenhang vor, den Rechtsstaat zu schwächen. „Kirchenasyl ist ein Relikt aus der Zeit, in der noch kein Staat die Einhaltung einer Verfassung garantiert hat, in der Menschen schutzlos staatlicher Willkür ausgesetzt waren. Heute wird Kirchenasyl dazu missbraucht, staatliche Regelungen, also Recht und Ordnung zu unterlaufen“, so Nockemann. „Der Kirche steht es aber nicht zu, das Recht in die eigene Hand zu nehmen. Das ist nicht nur anmaßend, sondern untergräbt den Rechtsstaat.“

Der Sprecher der Nordkirche, Stefan Döbler, weist diese Kritik zurück – und sieht auch eine andere Entwicklung bei den aktuellen Zahlen. „Die vom Senat veröffentlichten Zahlen nennen nicht die Zahl der Menschen im Kirchenasyl in Hamburg, sondern die Zahl der Menschen in Zuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde, die sich im Kirchenasyl befinden, zum Teil also auch in anderen Bundesländern“, so Döbler. „In Hamburg befinden sich derzeit 59 Menschen in einem Kirchenasyl, davon 42 in Kirchenasylen im Bereich der evangelisch-lutherischen Kirche. Die Zahl der Menschen in evangelisch-lutherischen Kirchenasylen ist damit in diesem Jahr von 73 (März) auf den aktuellen Stand von 42 gesunken. Von einem Anstieg kann keine Rede sein.“

Das Kirchenasyl werde überdies „nicht benutzt, um Recht und Ordnung zu unterlaufen“, so der Sprecher der Nordkirche. „Mit dem Kirchenasyl wird Menschen Schutz gewährt, die sonst von einer außergewöhnlichen Härte durch Abschiebung betroffen wären, und zugleich Raum für eine erneute gründliche Prüfung eröffnet, die in vielen Fällen tatsächlich zu einer positiven Entscheidung führt.“

Sache von Fristen

Der Streit zwischen Politik und Kirchen über das Kirchenasyl hat sich verschärft. „Diejenigen, die sich in den Kirchen engagieren, können nicht für sich beanspruchen, dass sie außerhalb des nationalen Rechts stehen“, sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Sonnabend im Abendblatt-Interview. Kirchengemeinden bringen Asylbewerber derzeit oft für etwas mehr als ein halbes Jahr unter. Hintergrund ist eine EU-Frist: Deutschland hat gemäß den Dublin-Regelungen sechs Monate Zeit, Menschen, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, dorthin zurückzuführen. Ist diese Frist abgelaufen, muss das Verfahren in Deutschland durchgeführt werden.

Im Streit mit den Kirchen hat die Bundesregierung nun die Gangart verschärft. Seit 1. August gilt ein Flüchtling im Kirchenasyl als „flüchtig“, wenn die Kirchen die Unterbringung nicht in umfassenden Dossiers gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) begründen. Dadurch verlängert sich die Überstellungsfrist in das EU-Land, in dem bereits ein Asylantrag gestellt wurde, auf 18 Monate.

Die Kirchen hatten sich 2015 verpflichtet, in jedem Fall schriftlich zu dokumentieren, warum sie einen Menschen aufnehmen. Zuletzt aber hatten sie laut BAMF nur in etwa der Hälfte der Fälle solche Dossiers vorgelegt.