Hamburg. Frank S. soll im Jahr 1980 eine 16-Jährige angegriffen und fast getötet haben. Die Akten zu dem Überfall wurden vernichtet.
Flankiert von seinem Anwalt und einem Begleiter setzt er schnelle Schritte auf dem Gerichtsflur, schwarzes Basecap, graues Hemd, kurz geschorenes graues Haar. Ignoriert die Kameras. „Sitzung der Jugendkammer“, steht an der Tür. Der Ort seiner Anklage wegen versuchten Mordes.
Frank S. ist ein reifer erwachsener Mann, 54 Lebensjahre haben sich in sein Gesicht gegraben. Er wohnt in einer ruhigen Seitenstraße in Wandsbek. Doch als junger Mann soll Frank S. wie eine Bestie gewesen sein, ein 16-jähriges Mädchen in Steilshoop überfallen und fast getötet haben, wie die Abteilung „Cold Cases“ der Polizei für ungelöste Kriminalfälle ermittelt hat. 37 Jahre nach der Tat am 1. November 1980.
Angeklagter bestreitet die Vorwürfe
Wegen seines damaligen Alters steht er nach Jugendrecht vor Gericht. Theoretisch hätte sogar ein Sozialpädagoge als Betreuer für Frank S. während des Prozesses geladen werden können. Und es ist abzusehen, dass es nicht nur ein außergewöhnlicher, sondern auch ein schwieriger Indizienprozess für die Anklage werden könnte. „Mein Mandant bestreitet die Vorwürfe“, sagt der Verteidiger Jan Jacob vor Gericht.
Frank S. sitzt etwas gebeugt da, schaut nur zur Richterin Anne Meier-Göring. Als die Anklage verlesen wird, streicht er sich mit einem Daumen über die Augenbraue, reibt immer wieder die lederne Haut hinter seinem Ohr. Das damalige Opfer Nicole M. (Name geändert) ist Nebenklägerin in dem Prozess, erscheint aber nicht selbst im Gericht.
Täter sticht zwölfmal auf 16-Jährige ein
Nach den Erkenntnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft ereignete sich die Tat wie folgt: Ab 19 Uhr an jenem 1. November 1980 besucht die 16-jährige Nicole M. eine Freundin. Sie will sich eine Platte der Rockband Toto abholen. Gegen 22 Uhr macht sie sich auf den Heimweg, steigt in einen Bus und fährt eine Station; den Rest der Strecke zu ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder nach Hause will sie zu Fuß gehen. Sie passiert einen Verbindungsweg zwischen der Steilshooper Allee und der Straße Appelhoff, vorbei an einem Kleingartenverein, es ist dunkel, sie sieht den Angreifer nicht kommen.
Der etwa gleichaltrige Teenager nähert sich von hinten und wirft das Mädchen sofort zu Boden. Dann sticht er mindestens zwölfmal auf sie ein, mit einem 15 Zentimeter langen Jagdmesser. Acht Stiche treffen die Herzgegend. Er zerrt Nicole M. in ein Gebüsch und will sie vergewaltigen. Trotz der extremen Schmerzen stellt sich das Mädchen instinktiv tot, in der Hoffnung, der Täter werde von ihm ablassen. Wenig später kommen andere Jugendliche den Weg entlang. Der Angreifer flüchtet, lässt die halb verblutete Jugendliche zurück – Ärzte können ihr Leben mit einer Notoperation retten.
Nicole M. beschreibt den Täter kurz darauf als etwa 1,80 Meter groß und blond. Er habe eine schwarze Nappalederhose getragen. „Kein Rocker-, eher ein Poppertyp“, soll sie in der ersten Vernehmung gesagt haben. 37 Jahre wird sie mit jener Nacht leben müssen, die Tat habe sie geprägt, heißt es. Selbst Menschen in ihrem engsten Umfeld aber erzählt Nicole M. offenbar bis heute nichts von der Tat – vor dem Prozess bat sie ausdrücklich darum, dass ihre Identität geschützt wird.
Litt noch ein zweites Opfer unter Frank S.?
Gegenüber den Ermittlern der Abteilung „Cold Cases“ identifizierte Nicole M. den Angeklagten auf Fotos als Täter. Vor Gericht könnte die Verteidigung jedoch anzweifeln, dass die Erinnerung des Opfers nach 37 Jahren korrekt ist. Der Erfolg der Anklage hängt zudem an zwei weiteren Zeugenaussagen, die Frank S. als Täter überführen sollen.
Bereits vier Monate vor dem Überfall auf Nicole M. kam es zu einer Vergewaltigung in Steilshoop nach ähnlichem Tatmuster. Obwohl sie im Gegensatz zu dem versuchten Mord verjährt ist, wird das Opfer Lisa B. (Name geändert) im Prozess gegen Frank S. aussagen. Sie hatte mit ihrem Hinweis auch den Verdacht der Abteilung „Cold Cases“ im Fall von Nicole M. erst auf den Angeklagten gelenkt.
Akten zu Überfällen wurden vernichtet
Bereits kürzere Zeit nach ihrem eigenen Martyrium im Jahr 1980 soll Lisa B. gemeinsam mit einer Freundin Frank S. gesehen und als Täter erkannt haben – ob sie dies auch der Polizei sagte und die Beamten alle Spuren damals sorgfältig verfolgten, ist unklar. Die Akten des Falls sind verschwunden.
Der Zeuge Martin T., ein alter Bekannter des Angeklagten, soll vor Gericht aussagen, dass die Tatwaffe eindeutig dem Angeklagten gehörte. Das Jagdmesser mit Ahorngriff wurde bereits kurz nach der Tat gefunden. Zwar ist es nach damaligen Untersuchungen eindeutig die Tatwaffe; eindeutige DNA-Spuren liegen aber – anders, als zwischenzeitlich kolportiert wurde – nicht vor. Zudem wurde das Messer vor den Ermittlungen der Abteilung „Cold Cases“ von der Polizei vernichtet.
Frank S. drohen maximal zehn Jahre Haft
Sein Mandant werde sich „schweigend verteidigen“, sagte der Rechtsanwalt Jan Jacob. Bei der Verhandlung nach Jugendrecht steht eigentlich die Entwicklungsperspektive der Angeklagten im Vordergrund – dies ist bei dem 54-Jährigen hinfällig. Im Falle einer Verurteilung wegen versuchten Mordes drohen ihm maximal zehn Jahre Haft, wenn eine entsprechende „Schwere der Schuld“ nachgewiesen werden kann.
Das Gericht verlässt Frank S. am Montag ohne Handschellen, er sitzt nicht mehr in Untersuchungshaft. Der Prozess wird am 13. August fortgesetzt. Es folgen weitere Termine bis in den Dezember hinein.