Hamburg. 75 Jahre nach Operation Gomorrha: Mindestens 2800 Weltkriegsbomben sollen noch in Hamburg liegen, aber es könnten auch viel mehr sein.
Die Gefahr lauert bis zu sieben Meter tief unter der Erde. Rund 2800 Blindgänger, also im Zweiten Weltkrieg abgeworfene und nicht explodierte Fliegerbomben, werden noch im Boden unter Hamburg vermutet. Sie sind auch 73 Jahre nach Kriegsende eine Gefahr. Vor allem die mit den berüchtigten Langzeitzündern bestückten Blindgänger gelten als besonders brisant. Die Kampfmittelräumer werden noch lange damit zu tun haben. In diesem Jahr wurden bislang lediglich zwei Blindgänger entdeckt und entschärft.
Dabei wurden noch nie so viele Häuser in Hamburg gebaut wie heute. 4990 Anträge auf Flächensondierung sind – meist als Vorbereitung für Baumaßnahmen – im vergangenen Jahr gestellt worden. Zum Vergleich: 2012 waren es erst knapp 3100 Anträge. Drei Jahre später zog der SPD-geführte Senat die „Notbremse“: Die Suche nach Kampfmitteln war nicht nur zu teuer. Sie entpuppte sich auch als Hemmschuh für das ambitionierte Wohnungsbauprogramm der Stadt. Deshalb wurde die Kampfmittelverordnung 2015 geändert, insbesondere der Paragraf zur Sondierungspflicht.
„Gefährliche Schlupflöcher“
Er schrieb bis dahin vor, dass ein Eigentümer einer Verdachtsfläche „verpflichtet“ sei, ein „geeignetes Unternehmen“ mit der Suche nach Kampfmitteln zu beauftragen. Davon ist mittlerweile keine Rede mehr. Heute schreibt die Kampfmittelverordnung vor, „geeignete Maßnahmen“ zu treffen, „soweit diese zur Verhinderung von Gefahren und Schäden durch Kampfmittel bei der Durchführung der Bauarbeiten erforderlich sind“.
In der Praxis bedeutet dies, dass nur noch bis zu der Tiefe, die ohnehin ausgehoben wird, nach Blindgängern gesucht wird. Damit ist die Suche nach den gefährlichen Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs auf einem Tiefpunkt angekommen. Das „Bündnis sicher Wohnen und Bauen“, ein Zusammenschluss der gut an der Suche nach Blindgängern verdienenden Kampfmittelsuchfirmen, hatte vor „gefährlichen Schlupflöchern“ gewarnt und vorausgesagt, es werde „auf Bomben gebaut“.
Einsparung von 1,2 Millionen Euro
Den Grundstein für diese Entwicklung hatte der von der CDU geführte Senat schon 2005 gelegt. Bis dahin war die Suche nach Kampfmitteln noch Sache der Stadt innerhalb der Gefahrenabwehr gewesen. Im Zuge von Sparmaßnahmen war die Suche nach Kampfmitteln, Blindgängern und Munition zur Sache der Grundstückseigentümer gemacht worden. Es ging damals, wie aus dem Vorblatt zu Senatsdrucksache 2005/1471 hervorgeht, um eine Einsparung von 1,2 Millionen Euro. Die Folgen waren dramatisch, denn die Kosten für die Arbeit der Kampfmittelsondierungsfirmen explodierten.
Auch die Stadt, oft selbst Eigentümer der fraglichen Flächen, musste deutlich tiefer in die Tasche greifen. Die SPD bezeichnete die Privatisierung der Kampfmittelsuche damals als „riskante Bombenpläne“ und hob hervor, dass die Kampfmittelsuche eine staatliche Aufgabe sei. Als die SPD an die Regierung kam, beließ sie es jedoch dabei.
Nur noch das Nötigste wird getan
So wird heute nur noch das Nötigste bei der Kampfmittelsuche getan. Dass im vergangenen Jahr trotzdem 22 Bombenblindgänger entdeckt und entschärft wurden, ist auch einzelnen „Großprojekten“ zuzuschreiben, wie der Suche im Stadtteil Gut Moor, wo auf einem einzigen Areal gleich sechs Blindgänger entdeckt wurden. Finanziert wurde das aufwendige Verfahren in dem Moorgebiet von der Stadt und mit Bundesmitteln. 2005 war bisher das Jahr mit den meisten Bombenfunden: 24 Blindgänger wurden damals entschärft. Viele Funde hingen mit dem Bau der HafenCity zusammen. Heute dürfte so mancher Blindgänger trotz Bautätigkeit unentdeckt bleiben.
Unklar ist auch, ob die Zahlen, mit denen in Hamburg seit Jahren gearbeitet wird, seriös sind. Von 107.000 Fliegerbomben, die im Zweiten Weltkrieg bei 213 Luftangriffen auf Hamburg abgeworfen wurden, geht man offiziell aus. Das wäre ein Durchschnitt von 502 Spreng- oder Minenbomben pro Luftangriff. Aber allein während der Operation Gomorrha im Sommer 1943 fielen bei den sieben Angriffen der Royal Airforce und der Bomberflotte der USA nach Schätzung der damaligen deutschen Behörden rund 25.000 Spreng- und 1200 Minenbomben, also gut ein Viertel aller im Zweiten Weltkrieg angeblich auf Hamburg abgeworfen Fliegerbomben.
2010 starben drei Kampfmittelräumer
Ein interner Bericht der Polizeibehörde vom 9. März 1945 nennt für einen am 7. März durchgeführten „mittelschweren Luftangriff“ 2300 abgeworfene Spreng- und 80 Minenbomben. Beladungspläne über Bomber, die im Zweiten Weltkrieg Hamburg anflogen, gibt es nicht. Sie hätten Aufschluss über die tatsächlich abgeworfene Bombenmenge gegeben.
Als besonders brisant gelten Blindgänger mit chemischem Langzeitzünder. Sie sollten noch Stunden nach den Luftangriffen detonieren. Das Ziel: die Menschen in den Kellern zu halten und die Feuerwehr am Löschen zu hindern. Diese Bomben haben besonders komplizierte Zünder. Das bedingte nach Einschätzung von Experten nicht nur eine hohe Zahl von Blindgängern. Die Entschärfung ist sehr gefährlich. 2010 starben in Göttingen drei Kampfmittelräumer beim Versuch, eine Fliegerbombe mit einem solchen Langzeitzünder zu entschärfen. In Hamburg werden diese Blindgänger, wenn möglich, gesprengt. Fachleute halten es wegen des Zündmechanismus für wahrscheinlich, dass solche Blindgänger irgendwann auch von selbst ohne Einwirkung von außen explodieren.