Hamburg. Auf Kampnagel laufen die Vorbereitungen für das Internationale Sommerfestival. Leiter András Siebold: „Avantgarde macht Spaß!“

Am 8. August wird auf Kampnagel das Internationale Sommerfestival eröffnet. Derzeit wird auf dem Gelände noch geprobt und aufgebaut – zum Beispiel der „Avant-Garten“ am Kanal, wo sich nach und zwischen den Vorstellungen Publikum, Macher und Künstler treffen. Festivalleiter András Siebold über ein vielfältiges Programm, das Jazzkonzerte mit Nebel-Performances und experimentelles Tanztheater mit einer Stunt-Show vereint.

Sprechende ­Reiskocher, eine Konferenz der Bäume und eine Nebel-Performance: Ist Abgedrehtheit Voraussetzung, um zum Sommerfestival eingeladen zu werden?

Keineswegs, und was Sie da aufzählen, ist auch überhaupt nicht abgedreht.

Ach, ist es nicht?

Das Buch „Das geheime Leben der Bäume“ war lange an der Spitze der „Spiegel“-Bestsellerliste. So gesehen ist „Conference Of Trees“, so heißt der neue Konzertabend des Elektro-Musikers Pantha du Prince, ein Mainstream-Thema. Die Reiskocher, die in der Performance „Cuckoo“ von Jaha Koo zum Einsatz kommen, sind das Standardmodell in Südkorea und dort so bekannt wie bei uns der Thermomix. In dem Stück geht es um die globalisierte Gegenwart, den Leistungsdruck, die Selbstmordrate. Und zu den Nebel-Performances: Jeder, der schon mal im Theater war, weiß, welchen Zauber Bühnennebel hat. Der Schweizer Regisseur Thom Luz, der immerhin schon zweimal zum Theatertreffen eingeladen wurde, zeigt das bei uns in einem wunderbar poetischen Stück über eine Nebelmaschinenfabrik.

Eine weitere Nebel-Aufführung, „Levitation/Sea Of Fog“, findet in einer Kirche statt, nicht auf Kampnagel. Warum?

Weil es sich um ein sakrales Musikstück für Kirchenorgel und Geige handelt, gespielt von den großartigen Musikern Stefan Rusconi und Tobias Preisig, das durch eine riesige Nebel-Installation ergänzt wird. Wir haben im Michel angefragt, aber die wollten nicht. Sie seien „keine Eventlocation“. Was für ein Blödsinn: Die CD-Einspielung fand in der Kirche Saint-Etienne im schweizerischen Cully statt, beim Jazzfestival in Montreux kam es in einer Kirche zur Aufführung. Egal, wir haben dann die St. Gertrud Kirche nahe der Mundsburg gefunden, die eh viel näher bei Kampnagel liegt. Der Pfarrer dort hat das Projekt sofort verstanden und unterstützt uns sehr engagiert.

Werden es auch die Besucher verstehen?

Man braucht jedenfalls kein Universitätsstudium, um dieses Festival zu besuchen. Wir machen ein Avantgarde-Festival, bei dem es darum geht, Bekanntes in neue Zusammenhänge zu stellen. Ein Festival, bei dem Musiker mit Theatermachern arbeiten und Bildende Künstler auf Tänzer treffen. Avantgarde macht Spaß und ist definitiv kein Synonym für unverständlich! Das Festival ist für ein breites Publikum gemacht, nicht für einen elitären Haufen. Dass das gelingt, sieht man nach den Vorstellungen im Festival-Garten jeden Abend.

Zum Sommerfestival gehört auch eine Konferenz zum Thema „Heimatphantasien“. Was ist die Idee dahinter?

So ein Festival ist ein totaler Energiebolzen, ein Druckkessel. Da ist es gut, ein Gegengewicht zu haben, einen Ort, an dem man nachdenken kann, und ­Gäste, die Impulse geben. Wir haben in diesem Jahr Experten und Expertinnen eingeladen, die sich mit den Begriffen „Heimat“ und „Nation“ auseinandersetzen, Themen, die gerade sehr präsent sind, auch im Festival. Zum Beispiel kommt der Künstler Ho Tzu Nyen aus Singapur nach Hamburg, um hier eine Uraufführung über einen Nationengrenzen ­ignorierenden Triple-Agenten zu ­inszenieren. Parallel zeigt er noch eine Ausstellung im Kunstverein zu dem Themenkomplex. Dazu passt die Kon­ferenz, und solche Verbindungslinien machen das Programm aus, das der Gegenwart auf den Zahn fühlt. Natürlich bieten wir keine konkreten politischen Lösungen an, aber wir bieten ein Umfeld, das Lust macht auf den Austausch mit anderen Sprachen, Menschen, Kulturen. Jeder, der zum Sommerfestival kommt, ist danach gefeit gegen jede Art von Nationalismus und Ausgrenzung.

Von der Stunt-Show bis zum Jazzkonzert, vom kubanischen Tanz bis zu experimentellem Theater ist das Spektrum beim Sommerfestival extrem breit. Wie kommt es zu all diesen Programmpunkten?

Mein Team und ich sind viel unterwegs, gerade komme ich zum Beispiel aus ­Kuba, wo ich mir aktuelle Produktionen angesehen habe. Manche Projekte ­planen wir zwei, drei Jahre im Voraus, etwa die Retrospektive mit Arbeiten der Sängerin Peaches, mit der wir uns seit fast einem Jahr beschäftigen und die wir für das Sommerfestival 2019 gemeinsam mit dem Kunstverein planen. Wenn wir ein wirklich vielfältiges Publikum für das Festival begeistern wollen, dann muss quasi jeder Abend für alle etwas bieten. Das ist unser Anspruch, und so machen wir unser Programm, mit dem wir ja auch viele Bühnen unterschiedlicher Größen bespielen.

Manche Namen tauchen über die Jahre im Sommerfestival-Programm immer wieder auf. Sind einige Künstler grundsätzlich ­gesetzt?

Bei aller Öffnung für Neues gibt es natürlich auch eine Kontinuität und eine Identität des Festivals. Und für diese Identität ist es wichtig, dass es Künstler gibt, die wiederkommen. Das wünscht sich auch unser Publikum, diese Rückmeldung bekomme ich immer wieder mit der Frage, wann denn diese oder jene Gruppe mal wieder zu sehen sein wird. Uns geht es auch darum, Entwicklungen von Künstlern zu zeigen, deren Arbeiten wir bedeutend finden. Eine, mit der wir schon häufig gearbeitet haben, ist die Österreicherin Florentina Holzinger. In ihrem neuen Stück „Apollon“ setzt sie sich aus feministischer Perspektive mit dem weiblichen Körper auseinander und zeigt, dass der eben nicht nur der Träger von Schönheit ist, sondern auch der Träger von Schmerz oder Ekel sein kann. Eine Freakshow für Erwachsene und schon ziemlich hart. Ein bisschen wie in die Steckdose fassen und das Gehirn durchgeschüttelt ­bekommen. Perfekt für das Sommer­festival.

Gibt es auch Initiativbewerbungen von Künstlern, die gerne kommen möchten?

Täglich! Aber für eine Auswahl braucht es immer mehr als eine Mail mit einem Videolink zu einer Performance auf einem Marktplatz in Slowenien. Wir schauen uns extrem viele Stücke an, folgen Empfehlungen von Kuratoren oder Künstlern, lesen Rezensionen in der internationalen Presse oder sprechen selbst Künstler an, um mit ihnen etwas zu entwickeln. Inzwischen sind wir auch ein produzierendes Festival mit sehr vielen Uraufführungen, die dann von Hamburg aus in die ganze Welt touren.

Die Elbphilharmonie ist erneut Veranstaltungsort. Hilft die Ausverkauft-Garantie bei der Planung des Sommerfestivals?

Sie hilft nicht unbedingt direkt bei der Finanzierung, aber es ergeben sich sehr gute Synergien. Der kubanische Pianist Arturo O’Farrill kommt zu Beispiel für eine Woche nach Hamburg. Durch sein ausverkauftes Konzert in der Elbphilharmonie können wir ihm für seine Zeit hier mehr zahlen, als sonst möglich gewesen wäre. Das macht die Hamburg-Reise für ihn attraktiver. Natürlich hilft die ­besondere Aufmerksamkeit, die die ­Elbphilharmonie ja immer noch bekommt. Einen Teil der Tickets für die Konzerte dort können wir direkt über Kampnagel verkaufen, was bedeutet, dass die Leute zu uns umgeleitet ­werden. Wer uns bis dahin nicht kannte, lernt uns kennen. Aber die Elbphilharmonie hat auch was davon, schließlich tragen wir mit unseren Produktionen zur künstlerischen Qualitätssicherung dort bei.

Geben Sie uns zum Schluss doch bitte noch drei Sommerfestival-Empfehlungen: für Einsteiger, Fortgeschrittene und Profis.

Für Einsteiger empfehle ich „Streb Ex­treme Action“ vom 15. bis 18. August. Eine Stunt-Show aus New York für die ganze Familie, die einfach Spaß macht. Für Fortgeschrittene Gisèle Viennes „Crowd“ vom 10. bis 12. August. Virtuoser Slow-Motion-Tanz zu Klassikern der Rave-Kultur. Und für Profis Ho Tzu ­Nyens „The Mysterious Lai Teck“ vom 9. bis 11. August. Multimedia-Theater, bei dem es um Politik und Verrat im postkolonialen Malaysia geht. Begleitend kann man sich eine Ausstellung im Kunstverein anschauen.

Und was wird sich der Erste Bürgermeister ­ansehen?

Peter Tschentscher wird das Festival eröffnen und dann die Malpaso Dance Company aus Kuba erleben. Danach wird er hoffentlich Stammgast, so wie alle, die einmal Sommerfestival-Luft geatmet haben.

Das Festival

Auf Kampnagel findet, bevor überall die Saison wieder losgeht, traditionell das Internationale Sommerfestival statt.

Vom 8.–26. August fluten Tanz, Theater, Performance und Musik aus aller Welt das
Gelände und die Hallen am Osterbekkanal.

Karten gibt es unter www.kampnagel.de, unter T. 27 09 49 49 und auch in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah, und der Hotline 040/30 30 98 98. Mit der Sommerfestival-Karte (35 Euro) bekommt eine Person 50 Prozent Ermäßigung auf alle Veranstaltungen (bei den Elbphilharmonie-Kooperationen nur 10 %), der Studenten-Festival-Pass (100 Euro) ermöglicht den Eintritt in alle Vorstellungen (außer Elbphilharmonie), Inhaber des Supporter-Passes (500 Euro) dürfen zudem den Festivaldirektor rund um die Uhr anrufen.