Hamburg. Erstmals besucht Richard Lutz Hamburg. Das Abendblatt ist exklusiv auf dem Güterbahnhof Maschen dabei.
Am Ende der Mitfahrt im Lokführerstand hätte der Bahnchef gern noch eine kleine Erinnerung. „Wollen wir ein Selfie machen?“, fragt Richard Lutz. „Klar“, sagt Jonas Schaller, der seinen Arbeitsplatz in der Rangierlok vom Typ Gravita für gewöhnlich mit dem Berufsnachwuchs teilt. Schaller bildet auf dem Rangierbahnhof Maschen Lokführer aus.
Doch an diesem Freitag ist der Vorstandsvorsitzende zu Besuch auf Europas größtem Rangierbahnhof. „Das habe ich mir schon sehr lange gewünscht“, sagt Lutz, der den bundeseigenen Konzern seit März 2017 führt. Wie schon sein Vorgänger Rüdiger Grube besucht der 54 Jahre alte promovierte Wirtschaftswissenschaftler bei sogenannten Regionentagen regelmäßig Werke und Bahnhöfe, spricht mit Beschäftigten, von denen es mittlerweile wieder mehr als 200.000 im Konzern gibt.
Der erste Regionentag von Richtard Lutz
Es ist Lutz erster Regionentag in Hamburg und Umgebung – und das Abendblatt war exklusiv dabei. Der Besuch ist von langer Hand geplant und es trifft sich gut, dass er in Maschen bei der Güterverkehrssparte stattfindet, die bei der Bahn Cargo genannt wird. Cargo ist das wohl größte Sorgenkind. Das ist erst zwei Tage zuvor bei der Präsentation der Halbjahreszahlen in Berlin deutlich geworden. Demnach ist die Verkehrsleistung der Bahn im Güterverkehr in den ersten sechs Monaten abermals zurückgegangen. Um 6,7 Prozent. Schon seit zehn Jahren – mit Ausnahme von 2010 und 2011 – ist die auf der Schiene transportierte Ladung rückläufig, obwohl die Transportmenge insgesamt immer weitersteigt. Dem wachsenden Lkw-Verkehr auf der Straße, so scheint es, kann die Bahn keine attraktiven Angebote entgegensetzen.
Die Situation sei „alles andere als einfach“, hieß es bei der Halbjahresbilanz, und Güterverkehrsvorstand Alexander Doll machte dafür in ungewohnter Offenheit auch „hausgemachte Schwächen“ verantwortlich. Der Vorstandschef formuliert es auf der Dachterrasse des von Schienensträngen umgebenen Hauptgebäudes des Rangierbahnhofs ein wenig diplomatischer: „Es hat in der Vergangenheit sicherlich auch mal an der Entschlossenheit für Weichenstellungen zugunsten des Schienenverkehrs gefehlt“, sagt Lutz.
Lutz ist gekommen, um zuzuhören
Er ist gekommen, um zuzuhören und wohl auch, um Zuversicht zu verbreiten und Mut zu machen. „Das ist schon sehr beeindruckend“, sagt er gleich mehrfach an diesem Tag. Er sagt aber auch: „In Sachen Qualität und Pünktlichkeit sind wir noch nicht so gut, wie wir es gerne wären. Das gilt auch für den Bereich Cargo. Aber wir haben auch gezeigt, dass wir die Trendwende schaffen können.“
Das Problem der Güterverkehrssparte sei nicht eine zu geringe Nachfrage von Kunden, die ihre Produkte auf der Schiene transportieren lassen wollten, ist der Vorstandsvorsitzende überzeugt. „Unsere größte Herausforderung ist die Ressourcenseite, ist es, genug qualifiziertes Personal zu finden“, sagt Lutz.
Die Nachfrage wird steigen
Das wird auch auf dem Maschener Rangierbahnhof deutlich. Gut 500 Mitarbeiter hat das Werk, das an 363 Tagen im Jahr und rund um die Uhr in Betrieb ist. Lokführer, Rangierer, Wagenmeister – es sind zum Teil körperlich sehr anstrengende Jobs, für die es zu wenige Bewerber gibt. Und gearbeitet wird zum Teil mit Lokomotiven, „die älter sind als einige hier in diesem Raum“, sagt Werksleiter Manfred Stabrove bei seiner Präsentation von Anlage und Technik des 1977 in Betrieb gegangenen Rangierbahnhofs. Nach der Erneuerung der Rangiertechnik vor einigen Jahren gilt er als eine der modernsten Anlagen weltweit. Mehr als 100 der bis 740 Meter langen Güterzüge werden hier pro Tag entkuppelt und zu neuen Zügen zusammengestellt. Ein Großteil der Güter stammt aus dem Hamburger Hafen oder ist für ihn bestimmt. Im Schnitt werden pro Tag etwa 7000 Waggons bewegt. Die Kapazität würde auch 8000 zulassen. Aber wenn die Nachfrage steige, müsse in Maschen auch erheblich investiert werden, lautet die unmissverständliche Bitte von Werksleiter Stabrove an den Vorstandsvorsitzenden.
Lutz ist überzeugt, dass die Nachfrage steigen wird. „Der Güterverkehr auf der Schiene wird wachsen, und wir sind überzeugt, dass wir daraus in der Zukunft eine Erfolgs- und Wachstumsgeschichte machen werden“, sagt er. Und was das Personal angeht, sieht er den Konzern auf dem richtigen Weg. „Wir haben angekündigt, in diesem Jahr 19.000 Mitarbeiter einzustellen, bislang sind es etwa 14.000 und die 19.000 werden wir schaffen.“
Der Konzern soll wieder zur Eisenbahnerfamilie werden
Zu wenig qualifiziertes Personal ist nicht das einzige große Problem des Rangierbahnhofs. Dessen Hauptgebäude ist derzeit nur mit einer befristeten Ausnahmegenehmigung und zeitraubend über eine marode Brücke zu erreichen. Sie gehört der Gemeinde Seevetal, sie hat die Brücke gesperrt. Die Verhandlungen darüber, wer wie viel von dem wohl 30 Millionen Euro teuren Neubau oder einer Grundsanierung bezahlen soll, verlaufen äußerst zäh. Auch das wollen die Maschener Bahner dem Vorstandschef an diesem Tag mitgeben. „Wenn wir die Brücke nicht mehr hätten, wären wir so gut wie tot“, sagt der Werksleiter. Damit die Mitarbeiter noch zur Arbeit kommen könnten, müssten sonst viele Gleise gesperrt werden.
Lutz hätte es gern, wenn sich die Bahn mehr in Richtung einer „großen Eisenbahnerfamilie“ entwickeln würde, die sie früher einmal war. „Ich wünsche mir, dass wir die Idee der Zusammenarbeit im Konzern noch weiter nach vorne bringen. Wenn das nicht schon gut klappen würde, wären wir hier in Maschen nicht so erfolgreich. Wir sind da auf einem guten Weg, aber es ist auch noch Luft nach oben“, sagt er.
Lutz will ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen
Der Bahnchef selbst tut viel an diesem Regionentag in Maschen, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen. Er lobt die Matjespumpernickel aus der Werkskantine, lässt sich vom Bergmeister ausführlich erklären, wie ein Güterzug neu zusammengestellt wird, erzählt, dass er selbst nahe eines großen Rangierbahnhofs aufwuchs. Mit Lokführer Schaller will er über das Mitarbeiternetzwerk in Kontakt bleiben. „Ich schicke Ihnen dann das Selfie.“