Hamburg. Das größte Konzert des Jahres kommt ohne Band aus. Mehr als einen Typen mit T-Shirt, Shorts und Gitarre braucht es nicht.

Es. Ist. So. Absurd. Am Mittwoch steht eine riesige Bühne auf der Trabrennbahn in Bahrenfeld, flankiert von acht Tribünen. 80.000 Menschen stehen und sitzen, singen und klatschen. Aber es sind nicht die Rolling Stones, die dort spielen, die berühmteste Band der Rockgeschichte. Auch nicht die Foo Fighters, nicht Metallica oder AC/DC, nicht einmal Helene Fischer. Sondern ein Typ. Ein Typ in T-Shirt und Shorts mit Gitarre. Sonst nix. Das größte Hamburger Konzert des Jahres wird von einem 27 Jahre jungen Alleinunterhalter aus England gegeben: Ed Sheeran.

Aber ist das wirklich so absurd? Ist es nicht eher großartig, dass es in der Konzertspektakel-Welt mit ihren Konfetti-Kanonen, Feuerwerks-Batterien, Licht- und Lasergewittern, Tänzern, Artisten und anderen Showelementen möglich ist, alleine auf der Bühne zu stehen und 80.000 Menschen 100 Minuten lang gut zu unterhalten, zu begeistern und zu berühren? Toll, dass es das noch gibt. Über Sheerans Qualitäten als Songwriter muss man ja nicht viel erzählen, sondern den ersten Songs „Castle On The Hill“ und „Eraser“ lauschen und die Zahlen dazu abrufen: 130 Millionen verkaufte Tonträger weltweit, über eine Milliarde gestreamter Songs in Deutschland, ungezählte Chartsrekorde.

Von 30 zu 80.000 Ed-Sheeran-Fans in wenigen Jahren

Mit dem Song „The A Team“ vom ersten Album „+“ geht Sheeran zurück an den Beginn seiner Karriere, als er 2011 beim Reeperbahn Festival in der Bar des East Hotels vor 30 Zuschauern (und im Gruenspan) seine Live-Premiere in Kontinentaleuropa gab. Das erinnert an Adele, die im Februar 2007 erstmals außerhalb Englands auftrat: Vor 50 Leuten sang sie auf einem Barhocker im Grünen Jäger am Neuen Pferdemarkt. Jetzt sind beide die größten englischen Sterne am Pophimmel, aber nicht nur von ihrer sympathischen, kumpeligen Ausstrahlung her blieben Ed und Adele Kneipensänger mit Humor und natürlichem Charme.

Adele wird bei ihren Tourneen von einer fantastischen Band begleitet, Sheeran hingegen begleitet sich selbst mit nicht weniger Raffinesse. Er beherrscht den Popsong wie im Medley „Don’t/New Man“ ebenso wie die Ballade mit „Happier“. Klassisches Fingerpicking auf der akustischen Gitarre (bei „Thinking Out Loud“ greift er auch mal zur elektrischen) fällt natürlich nicht so auf wie sein Umgang mit der Loopmachine: Töne, Akkorde und Gesang werden in Endlosschleifen geschickt, verknüpft, aufgetürmt. Alles live, wie Sheeran betont. Das ist neben 3D-Projektionen, variablen Bühnenelementen und hübschem Lichterspiel mit Flammen bei "I See Fire" oder irischen Farben bei „Galway Girl“ das Maximum an Showeffekten, die eigentliche Schau sind die 80.000 überwiegend (durch Kreischtest erwiesenen) weiblichen Zuschauer. Der größte Chor der Stadt steht und sitzt bereit, klatscht auf Anweisung Takte oder illuminiert Bahrenfeld mit Zehntausend Handy-LEDs. „Perfect“.

Euphorische und doch tiefenentspannte Stimmung

Die so gelöste euphorische und gleichzeitig tiefenentspannte Stimmung nötigt wirklich Respekt ab angesichts der Strapazen, die die Fans auf sich nehmen an diesem Abend. Schon bei den Foo Fighters, die im Juni vor 60.000 Besuchern auf der Trabrennbahn spielten, brauchte es bei An- und Abfahrt an einem Sonntag, am Einlass und an den Versorgungsständen mit Pech sehr viel Geduld. Bei Ed Sheeran aber sind es noch einmal 20.000 Gäste mehr, die an einem Werktag die Sternfahrt zur Luruper Chaussee antreten. Und es ist heiß.

Die Sonne scheint nicht beim langen Marsch durch den Volkspark oder die Ebertallee entlang, sie schreit einen an wie Klaus Kinski: „Du dumme Sau!“. Saftige 34 Grad verwandeln Shuttlebusse und die Warteschlangen an den Kleintaschen- und Ticketkontrollen in Supermarkt-Parkplatz-Hähnchengrillwagen. Die Regenschauer des Nachmittags ziehen gewitzt um die Trabrennbahn herum. Immerhin weht bei Sheeran ein angenehmes Lüftchen. Bestes Konzertwetter für einen zauberhaften Abend mit dem singenden Hobbit.

Viel Mühe bei der Sicherheit – weniger beim Trinkwasser

Die Rettungsdienste empfahlen schon im Vorfeld das unbedingte Tragen von Kopfbedeckungen, Sonnenschutz mit Lichtschutzfaktor „Bleiweste“ und reichliches Trinken. Der Veranstalter richtete an den Einlässen und an leider nur zwei – am weitesten von der Bühne entfernten – Punkten auf dem Gelände Stände ein, an denen ein halber Liter Wasser für einen Euro angeboten wird. An den regulären Getränkeständen kostet ein Becher Mineralwasser 3,50 Euro.

Die Mühe, die man sich bei den Sicherheitskontrollen und beim Eindämmen des Ticket-Schwarzmarktes macht (wer kein personalisiertes Ticket auf seinen Namen hatte, musste am „Trouble-Counter“ für 80 bis 100 Euro ein neues kaufen), hätte auch der Wasserversorgung der Besucher gut getan. So bleibt zu hoffen, das der Abend für die vielen jungen Erstbesucher eines Konzerts dieser Dimensionen, die ihren Platz im vorderen Bereich vom Einlass um 16 Uhr an bis zur ersehnten Megahit-Zugabe „Shape Of You“ stundenlang behaupten, glimpflich abläuft und sie einem der Wasserträger begegnen, die sich durch die Reihen schlängeln. Danke dafür!

Und rechnet man die Umstände des Abends heraus, ist Ed Sheeran der Junge mit dem sonnigen Gemüt geblieben, der 2011 im East Hotel auf den Tisch stieg und sang und der ein Herz für den Kiez behalten hat: Den Abend beendet er im St.-Pauli-Trikot mit „You Need Me, I Don’t Need You“. Das Drumherum hat sich geändert, sonst nix. Trotzdem fließen Tränen beim Gedanken, ihn nicht auf der Trabrennbahn, sondern in einem Pub zu erleben. Aber es ist nur Schweiß, der in den Augen brennt.