Hamburg. Der Chef der Nautischen Zentrale im Hafen und seine Mitarbeiter koordinieren jährlich Tausende Schiffe. Ihre Länge ist nicht entscheidend.
Langsam schiebt sich von links der Bug der „MOL Trust“ vor die Fensterfront im Arbeitszimmer von Jörn Warwel. Der Frachter der japanischen Reederei MOL Mitsui O.S.K. Lines ist eines der größten Containerschiffe der Welt und kann mehr als 20 000 Containereinheiten (TEU) transportieren. Es dauert zwei Minuten, bis der 400 Meter lange Schiffskörper auf seinem Weg zum Burchardkai das Gebäude der Nautischen Zentrale passiert hat und den Blick auf die gegenüberliegende Elbseite und die Villen an der Elbchaussee wieder freigibt. „Die Länge ist nicht das Problem“, sagt der 54-jährige Warwel. „Aber die Breite.“
Warwel ist Chef der Nautischen Zentrale am Bubendeyufer und verantwortlich für die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs im Hamburger Hafen. Das ist eine komplexe Aufgabe. Rund 9000 Seeschiffe erreichen jährlich den Hafen und legen auch wieder ab. Dazu kommen mehr als 6000 Schiffsbewegungen innerhalb des Hafens, von einem Kai zum anderen. Für Touristen auf Hafenrundfahrt sieht es aus, als führen große Seeschiffe und kleinere Zubringer, Binnenschiffe und Kreuzfahrer, Hafenfähren, Schlepper und Massengutfrachter kreuz und quer durcheinander. Doch tatsächlich steht dahinter ein Plan. Und den macht die Nautische Zentrale.
27 Nautiker koordinieren die Schiffe im Hafen
„Jedes Schiff muss bei uns mindestens 24 Stunden im Voraus angemeldet werden“, erklärt Warwel. „Von den großen Schiffen wissen wir etwa drei bis vier Tage zuvor, wann sie kommen.“ Die Nautische Zentrale erteilt den Schiffen die Genehmigung, zu einer definierten Uhrzeit einen bestimmten Kai anzusteuern. Gemeinsam mit den Kapitänen und Offizieren der Schiffe und den Hafenlotsen dirigieren sie die Schiffe an die Kaikanten. Ohne die 27 Nautiker in der Zentrale, die sich in Zwölf-Stunden-Schichten rund um die Uhr ablösen, könnte der Hamburger Hafen nicht funktionieren.
Viel hat sich verändert, seit Warwel vor 24 Jahren bei der Nautischen Zentrale angeheuert hat. „Bis 2014 haben wir den Schiffsverkehr im Hafen auf einer großen Tafel mit Magneten dargestellt“, berichtet der erfahrene Kapitän, der wie alle seine Kollegen viele Jahr zur See gefahren ist. Bis zu 60-mal pro Schicht mussten die Nautiker an der Tafel die Magneten verschieben, um die aktuellen Positionen der Schiffe zu markieren. Das ist vorbei, die Digitalisierung hat Einzug gehalten am Bubendeyufer und die Tafel ist elektronisch.
Die Schiffe werden immer größer
Es kommen weniger Schiffe als früher in den Hamburger Hafen, dafür aber größere. Im vergangenen Jahr erreichten mehr als 1000 Schiffe den Hafen, die länger als 330 Meter und breiter als 45 Meter waren. Im ersten Halbjahr 2018 waren es bereits 519 Ozeanriesen. Das ist eine Herausforderung. Gleich hinter der Landesgrenze beginnt elbabwärts ein 40 Kilometer langer Flussabschnitt, an dem sich nur Schiffe begegnen dürfen, die zusammen nicht breiter als 90 Meter sind. Ein großes Containerschiff wie die „MOL Trust“ ist allein schon fast 60 Meter breit. Da bleibt nicht viel Platz.
Die zweite schwere Einschränkung für die Erreichbarkeit des Hafens ist durch die Tide bedingt, den Wechsel von Ebbe und Flut. Auch 145 Kilometer entfernt vom offenen Meer schwankt der Wasserspiegel in den Hafenbecken noch im Durchschnitt um 3,70 Meter. Damit ist der Tiefgang der Schiffe begrenzt. Kleinere Schiffe, die unabhängig von der Tide in den Hafen ein- und auslaufen, dürfen höchstens 12,80 Meter Tiefgang haben.
Mit der Flut kommen die Ozeanriesen
Größere Schiffe nutzen die Flutwelle elbaufwärts und dürfen nicht mehr als 15,10 Meter Tiefgang aufweisen. In entgegengesetzter Richtung können sie unter Berücksichtigung der Tide mit Tiefgängen von bis zu 13,80 Metern fahren. Für große Containerschiffe oder Erzfrachter bedeutet das: Sie können voll beladen Hamburg nicht erreichen und ihnen steht nur ein gewisses Zeitfenster zur Verfügung, um den Hafen zu erreichen und zu verlassen.
„Wir haben es gerade kürzlich geschafft, drei der weltweit größten Containerschiffe mit einer Flut in den Hafen zu bringen“, berichtet Warwel. Vor zehn oder 20 Jahren waren die Dimensionen heutiger Schiffe schwer vorstellbar. Die Infrastruktur aus Kaianlagen, Containerbrücken und an- und abfließendem Verkehr per Bahn und Lkw musste nachgebessert werden.
Auch die Elbe stößt an ihre Leistungsgrenze. So wie die gesamte Hamburger Hafenwirtschaft wartet auch Jörn Warwel dringend auf die Anpassung der Elb-Fahrrinne, die nach vielen Verzögerungen Ende des Jahres beginnen könnte. „Für uns geht es gar nicht so sehr um den Tiefgang, sondern mehr um die Verbreiterung der Fahrrinne“, sagt er. „Die geplante Begegnungsbox, in der zwei große Schiffe aneinander vorbei kommen, würde uns schon sehr helfen.“