Hamburg. Er wollte als Jurist zur Polizei, landete aber in der Kultur und bewahrte das Konzerthaus davor, als Ruine zu enden.

Wer die Elbphilharmonie-Eröffnung, ein Gratiskonzert für Polizisten binnen 100 Stunden oder das G-20-Gipfelkonzert mit Donald Trump, Wladimir Putin und Emmanuel Macron im Konzerthaus organisiert hat, den schreckt so leicht nichts mehr. Und so kann Jochen Margedant über einen alten Witz entspannt lachen: „Was ist der Unterschied zwischen einem Protokollbeamten und einem Terroristen? Mit Terroristen kann man verhandeln.“

Den tieferen Wahrheitsgehalt des Witzes musste der 46-Jährige im Januar 2017 hautnah erfahren. Denn die Eröffnung des Konzerthauses war nicht nur eine organisatorische Herausforderung, sondern auch eine protokollarische. Für das große Familienfoto von der Plaza hatten die Stäbe der Ehrengäste monatelang verhandelt und gefeilscht, bevor alle Plätze vergeben waren. Minutiös hatte das Team um den geschäftsführenden Direktor Jochen Margedant den 11. Januar vorbereitet. Doch als der große Moment endlich gekommen war, waren die Planungen das Papier nicht mehr wert, auf dem sie wieder und immer wieder gedruckt worden waren.

Margedant drückte den Nothalt

Die Maschinen der Kanzlerin und des Bundespräsidenten waren wegen Schneetreibens in Berlin verspätet gestartet, die anderen Ehrengäste hatten sich längst in der Circle Lounge im 13. Stock getroffen. Als die Ehrengäste aus der Bundeshauptstadt schließlich doch überraschend schnell am Platz der Deutschen Einheit eintrafen, stand dort für einen Moment niemand, um sie in Empfang zu nehmen. Eine Kanzlerin wartet nicht, und kurzerhand nahm Angela Merkel die Rolltreppe. Also eilten Scholz und Margedant ihnen entgegen, und der Bürgermeister nahm die Regierungschefin auf der Zwischenebene in Empfang. Als ranghöchster Gast wartete nur noch Joachim Gauck am Eingang. Da beide Rolltreppen hinauffuhren, um die Gäste ins Gebäude zu bringen, drückte Margedant kurzentschlossen den Nothalt und eilte nach unten, um den Bundespräsidenten zu begrüßen. Das Protokoll reagierte leicht verstimmt, Gauck trug es mit Fassung.

Kaum waren die letzten Berliner Ehrengäste eingetroffen, war plötzlich Bundestagspräsident Norbert Lammert nicht mehr am Platz – er hatte den Liedermacher Wolf Biermann getroffen und war mit ihm verschwunden. Und die Aufzüge, welche die Ehrengäste fürs Familienfoto zur Plaza befördern sollten, waren alle unterwegs. „Da dachte ich schon, morgen bin ich den Job los“. Doch schließlich fügte sich alles friedlich zu einem Bild zusammen, das um die Welt gehen sollte – mit zufriedenen Gesichtern aus der Elbphilharmonie.

Zweimal pro Woche im Konzert

Eineinhalb Jahre später ist die ganz große Aufregung gewichen, aber aufregend geht es in der Elbphilharmonie noch immer zu. Durchschnittlich zweimal pro Woche besucht Margedant ein Konzert. „Das mache ich aber nicht nur wegen der Musik, sondern auch, um die Menschen zu sehen – ihre leuchtenden Augen, ihre Neugier auf das Haus“, sagt er. So bekommt er ein Gespür für die Sorgen und Themen der Gäste: Hakt es irgendwo? Sind die Schlangen am WC zu lang? Klappt das Catering?

Die Elbphilharmonie ist nicht nur ein Klang-, sondern auch ein Jobwunder: Gemeinsam mit dem Generalintendanten Christoph Lieben-Seutter ist Margedant Chef von 180 Festangestellten. Zudem arbeitet ein Pool von rund 800 Mitarbeitern eines Dienstleisters, der das „Vorderhauspersonal“ stellt – die Kräfte im rot gestreiften Shirt oder im Frack. Bei jedem Konzert im Großen Saal sind rund 60 Personen nötig, für den Kleinen Saal kommen noch einmal 20 hinzu.

Durch einen Zufall zur Kultur

Es war eher der Zufall, der den Juristen zur Kultur brachte. „Eigentlich wollte ich ja zur Polizei“, erzählt Margedant. Als Referendar in Lüneburg begleitete er für das niedersächsische Innenministerium zwei Castor-Transporte. Bei seiner Bewerbung für den höheren öffentlichen Dienst in Hamburg wollte Margedant im Bewerbungsgespräch nur seine Verwendungsbreite demonstrieren, um seinem Ziel näher zu kommen. „Ich habe gedacht, ich gebe als weitere Interessengebiete das Gegenteil von Polizei an und bin dann auf Kultur gekommen – und so letztlich im Referat Tanz und Theater gelandet.“

Mit Erfolg: 2005 begann er in der Kulturbehörde als „Ratte“, als Regierungsrat zur Anstellung – wie es der Zufall wollte, als Nachfolger eines gewissen Andreas Dressel, heute Finanzsenator der Hansestadt. Margedant kümmerte sich auf seiner ersten Station um das Projekt Elbphilharmonie. Binnen sechs Monaten hatte er ein so umfangreiches Projektwissen erworben, dass er sich unentbehrlich machte. Seine nächste Ausbildungsstation im Bezirksamt Altona trat er nur noch pro forma an. „Eigentlich sind wir schon da alle zwei Wochen nach Basel geflogen.“ Dort arbeiten die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Zu besprechen gab es genug, denn das Projekt lief immer weiter aus dem Ruder. Manager kamen und gingen, Margedant blieb und stieg 2009 zum „Projektleiter Elbphilharmonie“ in der Kulturbehörde auf.

Von Talking Heads zu Schostakowitsch

Die Arbeiten am Prestigebau verzögerten sich, die Kosten explodierten, immer wieder gab es in der komplexen Bauherrenstruktur Streit; die Planer des Bauunternehmens und der Architekten lagen im Dauerclinch, die Behörde war mit dem komplexen Bau überfordert. 2012 stand alles auf Messers Schneide: Im Oktober 2011 hatte Hochtief im Streit um die Absenkung des Saaldaches die Bauarbeiten eingestellt; Aufsichtsrat und Geschäftsführung drängten – wie beim Flughafen Berlin – auf eine Kündigung der Verträge. Die Politik zögerte mit dem radikalen Schritt, obwohl der Bau nur noch Negativschlagzeilen schrieb. Manche plädierten schon für eine Ruine, ein „Mahnmal gegen Image-Idiotie“.

Von den Projektbeteiligten riet nur Margedant dazu, die Verträge nicht zu kündigen und die Einigung zu suchen. Und tatsächlich gelang es auf höchster Ebene – zwischen Bürgermeister Olaf Scholz und dem neuen Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes –, die Streitpunkte abzuräumen. Statt eines Torsos im Herzen der Stadt hat Hamburg ein weltweit beneidetes Konzerthaus.

Elbphilharmonie hat ihn verändert

Die Elbphilharmonie veränderte nicht nur die Stadt, sondern auch Margedant. Er wurde zum Klassik-Fan. „Ich bin eher mit New Wave wie Talking Heads und The Police aufgewachsen und höre es heute noch“, sagt er, „aber inzwischen muss ich mit meinen Jungs zu Hause über die Playlist diskutieren.“ Seine beiden Söhne, elf und neun Jahre alt, favorisieren eher die Charts, Margedant möchte noch einmal die Stücke des Abends hören. „Da kämpfen wir schon manchmal um die Boxensteuerung.“

Die Familie lebt in einem Reihenhaus im Hamburger Westen. Mit seiner Frau, einer Französischlehrerin, teilt er eine tiefe Verbundenheit zu Frankreich. Wie viel ihm die Elbphilharmonie bedeutet, ist auch seinen Kindern bewusst: Sie haben das Gebäude aus Holzklötzen nachgebaut, das Modell steht auf seinem Schreibtisch.

Margedant liebt es, durch das Gebäude zu laufen, Abkürzungen zu nehmen, die kein normaler Konzertbesucher jemals kennenlernen wird. Morgens sieht er Kinder aufgeregt bei Führungen durch das Haus laufen, am Abend sitzt er unter den Konzertgästen. Seine braunen Locken heben sich durchaus ab in dem eher grau melierten Publikum.

Lob von Brosda

Das Haus wird ihn so schnell nicht loslassen. „Jochen Margedant kennt die Elbphilharmonie wie kaum ein anderer. Es ist ein Glück für das Haus und den künftigen Betrieb, dass wir ihn für die Geschäftsführung gewinnen konnten“, lobte ihn sein Chef, der Kultursenator Carsten Brosda, zur Amtseinführung. Nicht nur der SPD-Politiker schätzt die besonnene, unaufgeregte und zugleich professionelle Art. Im Sommer gelang es seinem Team und ihm, binnen 100 Stunden ein Konzert aus dem Nichts in der Elbphilharmonie zu organisieren.

Der Pianist Sebastian Knauer und das Abendblatt hatten die Idee, ein Danke-Konzert für Polizisten des G-20-Gipfels zu organisieren – und nach den Bildern vom Krawall ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Am Sonntag um 17.37 Uhr schickte Margedant die erste E-Mail, am darauffolgenden Donnerstag um 20 Uhr begann ein Konzert, das es bis in US-amerikanische Medien schaffte.

Das vielleicht größte Konzert indes war für Margedant eines, das nicht die ganz großen Schlagzeilen eroberte; am 23. Januar 2017 kamen die Wiener Philharmoniker unter Ingo Metzmacher in die Elbphilharmonie und spielten die elfte Sinfonie von Schostakowitsch. „Wir waren lange nervös, ob die Elbphilharmonie wegen ihrer Akustik genügend Emotionalität mitbringt. Nach diesem Konzert habe ich gewusst: Der Saal funktioniert.“

Was aber kommt noch, wenn man schon mit 46 Jahren Geschäftsführer eines der größten Konzerthäuser der Welt ist? Margedant wiegelt ab: „Wenn man so ein Gebäude über zwölf Jahre geplant hat, möchte man schon noch ein paar Jahre erleben, was dieses Haus mit den Menschen macht.“

Nächste Woche: Tessa Aust, Geschäftsführerin vom Schmidts Tivoli