Hamburg. Die einst beliebteste Geldanlage der Deutschen wird zum Auslaufmodell. Die Renditen sinken kontinuierlich. Was Experten jetzt raten.
Immer neuer Ärger mit der Lebensversicherung. Nachdem sich die Kunden seit Jahren mit einer sinkenden Verzinsung abfinden müssen, wachsen auch Zweifel an der finanziellen Stabilität der Gesellschaften. Manche Kunden müssen befürchten, dass sich einige Assekuranzen komplett von ihren Lebensversicherungen trennen werden. Welche Leistungen können Kunden noch erwarten? Lohnt eine Kündigung oder Rückabwicklung des Vertrages? Welche Perspektive haben Lebensversicherungen noch? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum stehen die Anbieter
so unter Druck?
Die Lebensversicherer sind mit ihren Produkten langfristige Zusagen eingegangen. Zum Beispiel die Sparbeiträge ihrer Kunden mit 3,25 oder 2,75 Prozent Zinsen zu vermehren (siehe Grafik zum Großklicken). Diese Zusagen wurden für mehrere Jahrzehnte gegeben. Doch angesichts der niedrigen Zinsen für festverzinsliche Wertpapiere fällt es immer schwerer, diese zu erfüllen. Deshalb müssen Jahr für Jahr sogenannte Zinszusatzreserven gebildet werden, die sich inzwischen auf rund 60 Milliarden Euro summieren. In den nächsten Jahren werden weitere Milliarden hinzukommen. Das Geld fehlt dann für die laufende Verzinsung (Überschussbeteiligung) der Verträge, die jedes Jahr neu festgelegt wird. In diesem Jahr liegt die durchschnittlich Überschussbeteiligung der 40 größten Lebensversicherer bei 2,37 Prozent (Vorjahr: 2,51 Prozent). „Allerdings wird nur der Sparanteil des Kunden verzinst“, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Der Sparanteil entspricht 75 bis 90 Prozent der monatlichen oder jährlichen Beiträge. Der Rest wird für Vertreter, Verwaltungskosten und den Hinterbliebenenschutz benötigt. „Die tatsächliche Verzinsung ist also noch viel niedriger“, sagt die Verbraucherschützerin.
Wie ist die wirtschaftliche Lage
der deutschen Lebensversicherer?
34 von insgesamt 84 deutschen Anbietern drohen mittel- bis langfristig finanzielle Schwierigkeiten, wie aus einem Bericht der Bundesregierung hervorgeht. Diese 34 Gesellschaften stehen unter intensiver Aufsicht der Finanzaufsicht BaFin. Nach einer Umfrage der „Bild“ ist bekannt, dass die Debeka und die Generali zu diesen Versicherern gehören. Die meisten Versicherer verweigerten hier aber die Antwort. Unter die verstärkte Aufsicht der BaFin geraten Versicherer, wenn sie beim Nachweis der finanziellen Stabilität geringere Anforderungen als die Mehrheit der Branche erfüllen. Das ist aber bis zum Jahr 2032 regulär möglich. Davon macht zum Beispiel die Debeka nach eigenen Angaben Gebrauch. „Die Kundenerwartungen können wir aber erfüllen“, sagt ein Sprecher. Die BaFin schaut zudem besonders streng auf Gesellschaften, wenn sich bei diesen mittel- bis langfristig finanzielle Schwierigkeiten ergeben könnten. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass die Auszahlungen an Kunden in Gefahr sind. „Wir verfolgen genau, was die Versicherer tun und wie das, was sie tun, wirkt“, sagt Chefaufseher Felix Hufeld von der BaFin. Auch bei der Betriebsrente gibt es Probleme. Von 137 Pensionskassen soll die Lage bei 13 Kassen besonders dramatisch sein. Namen sind nicht bekannt.
Sind gekürzte Auszahlungen
an die Kunden rechtens?
Sie sind rechtens, wie der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst bestätigt hat. Dabei geht es um Bewertungsreserven, die bei festverzinslichen Wertpapieren entstehen. Gerade bei niedrigen Zinsen sind diese Bewertungsreserven als Teil der Überschussbeteiligung eher hoch. Bis 2014 stand die Hälfte dieser Bewertungsreserven dem Kunden zu. Dies wurde jedoch vom Gesetzgeber geändert, weil ansonsten mit Blick auf die niedrigen Zinsen die Zahlungsverpflichtungen der Versicherer in Gefahr gewesen wären. Seitdem können die Lebensversicherer diese Bewertungsreserven mit ihren Zahlungsverpflichtungen verrechnen. Das kann die Auszahlung der Versicherung zum Laufzeitende um einige Tausend Euro verringern. Diese Auffassung hat der BGH bestätigt (Az.: IV ZR 201/17).
Warum trennen sich Assekuranzen
von ihren Lebensversicherungen?
Mit dem Verkauf von vier Millionen Lebensversicherungen an den britischen Abwicklungsspezialisten Viridium hat mit der Generali erstmals eine große Gesellschaft von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Betroffen davon sind auch viele Kunden der Hamburger Volksfürsorge, die in der Generali aufgegangen ist. Generali, die das Neugeschäft mit klassischen Policen schon eingestellt hat, muss nun nicht mehr für die hohen Zinsgarantien der Altverträge einstehen. „Durch einen Unternehmensverkauf darf kein Versicherungsnehmer schlechter gestellt werden“, sagt Frank Grund von der BaFin. Das sieht Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten anders: „Wir befürchten, dass alle Tricks und Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Kunden möglichst schlecht an Überschüssen zu beteiligen“. Denn der Experte sieht „eine mangelnde Transparenz“. Sicher ist ohnehin nur der Garantiezins.
Können Kunden einem Verkauf
Ihrer Police widersprechen?
Wehren können sich die Kunden gegen einen Verkauf ihrer Police nicht. Die BaFin muss jedoch prüfen, ob das neue Unternehmen die Zinsgarantien erfüllen kann und verlässlich ist. Allerdings gibt es einen Trick, sich eventuell noch nachträglich von seinem Vertrag zu trennen. Kunden können prüfen, ob ein Widerruf der Lebens- oder Rentenversicherung möglich ist. Das betrifft Verträge, die zwischen Mitte 1994 und Ende 2007 geschlossen wurden und in vielen Fällen eine falsche Widerspruchsbelehrung haben. Die Verbraucherzentrale bietet für Generali- und Volksfürsorge-Verträge eine Sammelaktion zur Überprüfung an, ob man vom Widerruf profitieren kann. Je nach Aufwand der Überprüfung bewegen sich die Kosten bei der Verbraucherzentrale zwischen 85 und 200 Euro.
Soll ich meine alte Lebensversicherung jetzt lieber kündigen?
Experten raten von einem vorzeitigen Ausstieg aus dem Vertrag ab. Oft ist ein vorzeitiges Ende der Police mit hohen Verlusten verbunden. „Bei vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossenen Policen rate ich meist von einer Kündigung ab“, sagt der Hamburger Versicherungsberater Rüdiger Falken. Denn die Auszahlungen aus Kapitallebensversicherungen sind dann noch komplett steuerfrei. „Auch wenn die Verträge mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung gekoppelt sind, sollte man daran nicht rühren“, rät Falken. Das gelte auch für Verträge mit hohem Garantiezins, der sich nach dem Jahr des Abschlusses richtet (s. Grafik). Grundsätzlich kann nur für jeden Einzelfall beurteilt werden, ob eine vorzeitige Vertragsauflösung sinnvoll ist. Kostenpflichtige Beratungen dazu gibt es bei der Verbraucherzentrale Hamburg oder einem Versicherungsberater.
Was bringt eine Lebensversicherung
bei der Auszahlung noch?
Nach wie vor unterscheiden sich die Ablaufleistungen einer Lebensversicherung sehr stark. Nach 20 Jahren Laufzeit lag die durchschnittliche Ablaufleistung Ende 2017 bei 35.137 Euro, wie aus einer Studie des Branchendienstes map-Report hervorgeht. Das entspricht einer jährliche Rendite von 3,50 Prozent. Für den Musterfall hatte ein zu Vertragsbeginn 43-Jähriger jährlich 1200 Euro in die Police eingezahlt, insgesamt also 24.000 Euro. Die höchsten Ablaufleistungen mit mehr als 38.000 Euro erbrachten die Versicherer Debeka und Europa (s. Grafik). Allerdings zeigt sich, dass die durchschnittlichen Ablaufleistungen wegen der niedrigen Zinsen seit Jahren sinken. Bezogen auf den Beispielfall erhielten die Kunden 2006 im Schnitt noch 43.617 Euro nach 20 Jahren ausgezahlt. 2017 waren es 20 Prozent weniger. Dieser Trend wird mindestens noch einige Jahre anhalten – solange die Zinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB) derart niedrig gehalten werden. Die bei Vertragsabschluss prognostizierten Ablaufleistungen werden so bei Weitem nicht erreicht. Was der Kunde bei seiner Versicherung konkret erwarten kann, erfährt er aus der jährlichen Standmitteilung.