Hamburg. UKE-Rechtsmediziner Prof. Püschel kritisiert: Patienten werden nicht oft genug untersucht. Ein Hamburger Fall und neue Zahlen.
Wenn Maike H. zum Asklepios-Klinikum St. Georg herüberschaut, kann sie ihre Tränen nur schwer unterdrücken. Hier auf der Intensivstation der Herzchirurgie begann das Martyrium ihres Vaters. Peter H. starb acht Wochen, nachdem er in St. Georg am Herzen operiert wurde. Eine Routinegeschichte, ein „Wahleingriff“, kein Notfall. Zwei Bypässe und eine neue Aortenklappe. Für die Ärzte ein Standard-Procedere. Der OP-Bericht liest sich wie ein technischer Report: „Aortenklappenersatz mittels biologischer Prothese vom Typ Edwards Perimount Größe 23 mm. 2-fach Bypass mit linker A. thoracica interna auf die LAD und rechter A. thoracica interna als T-Graft auf den Ramus marginalis der CX.“
Peter H. infizierte sich in der Klinik mit tödlichen Krankenhauskeimen. Der Laborbericht vor der Operation am 15. April 2016 zeigt keine Keime oder Auffälligkeiten. Einen Tag nach der Operation schnellt der kritische Infektionswert CRP von zuvor 3,6 auf 100,9, drei Tage danach auf 317,0, später auf den „Rekordwert“ von 391,9. Schon ab 100 rechnen Ärzte damit, dass der Tod nicht mehr abgewendet werden kann.
Ausmaß von Keimen im Krankenhaus nicht richtig erfasst
Zwölfmal wird der Patient anschließend noch operiert – vergeblich. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen fahrlässiger Tötung gegen die Klinikärzte.
Das wahre Ausmaß der Gefahr durch Keime, vor denen auch der renommierte Rechtsmediziner Klaus Püschel vom UKE warnt, wird bislang in Hamburg offenbar nicht komplett erfasst. Zugleich stieg die Zahl der Fälle, in denen Patienten etwa die Erreger des Typs MRSA im Körper trugen, im vergangenen Jahr um fast ein Drittel auf 51 Fälle an. Das geht aus Senatsantworten auf Kleine Anfragen der Linksfraktion hervor. Der Fragesteller, der Abgeordnete Deniz Celik, spricht von einem insgesamt „gefährlich hohen Niveau“.
Wurden Keimausbrüche vertuscht?
Die Feststellung eines Keims im Körper bedeutet nicht zwingend eine Infektion. In der Mehrheit wird der Körper lediglich von den Bakterien bevölkert (Kolonisation), ohne dass dies zu konkreten Symptomen führt.
Die Zahl der Fälle, in denen es zu einem regelrechten Ausbruch der Erreger in Krankenhäusern kam, ist aber laut Statistik gestiegen – auch wenn es dabei weniger Betroffene gab: Im vergangenen Jahr waren bei insgesamt zehn solcher akuten Krisenfälle 27 Patienten akut infiziert; 2016 waren es noch 46 Personen. Vermehrt traten bei den Ausbrüchen zudem zuletzt die sogenannten multiresistenten gramnegativen Keime (MRGN) auf, die von der Weltgesundheitsorganisation als gefährlichste Erreger eingestuft werden.
So kam es den Daten zufolge etwa im Juni in einem Krankenhaus im Bezirk Nord zu einem MRGN-Ausbruch mit sieben akut infizierten Menschen und 82 weiteren befallenen Patienten. Alle Bezirke außer Harburg waren im vergangenen Jahr von mindestens einem Keimausbruch betroffen. Keiner der Vorfälle war zuvor öffentlich bekannt geworden. Von Januar bis Juni dieses Jahres brachen erneut dreimal gefährliche Keime mit insgesamt sechs akut infizierten Patienten auf.
Abgeordneter Celik fordert Aufklärung
Der Senat teilte wie bei einer früheren Anfrage nicht mit, um welche Krankenhäuser es sich handelt. Deniz Celik spricht davon, dass die Patienten im Dunkeln gelassen würden: „Es kann nicht sein, dass die Bevölkerung in einigen Fällen erst sehr viel später von einem Ausbruch erfährt. Es ist das Recht der Patienten, sich ein Krankenhaus aussuchen zu können und auch die dortige aktuelle Situation zu kennen.“
Auffällig ist zudem, dass der jüngste Keimausbruch auf der Intensivstation des AK St. Georg im Februar keinen Niederschlag in die Statistik gefunden hat – obwohl die Station sogar teilweise gesperrt werden musste. Auf internen Dokumenten, die dem Abendblatt vorliegen, ist dort von einem „Ausbruch“ und sofortigen Gegenmaßnahmen die Rede. Betreiber Asklepios betonte, es habe sich um kein meldepflichtiges Ereignis gehandelt. Nach der Antwort auf eine weitere Anfrage der Linksfraktion sind seit 2015 insgesamt 17 Menschen an Keiminfektionen gestorben – der Fall von Peter H. fand dabei aber ebenfalls keinen Niederschlag. Es bestehe auch bei tödlich verlaufenden Infektionen keine Meldepflicht, schreibt der Senat.
Ursache für Keim-Problematik: Antibiotika in der Tiermast
Der Leiter der Gerichtsmedizin am UKE, Prof. Klaus Püschel, kritisiert, dass Patienten bereits in den Krankenhäusern nicht oft genug auf Keime untersucht werden – „es muss auch für Ärzte umfassende und genaue Informationen geben, wann ein Infektionsfall gemeldet werden muss.“
Als Ursache für die Entwicklung der gefährlichen Keime gelten unter anderem die Fütterung von Tieren mit Antibiotika. Püschel sagt, dass Hamburger Kliniken seit Jahren mit teils umfangreichen Maßnahmen dafür sorgen wollten, das Risiko zu vermindern. „Es geschieht vieles, aber auch das Problem und die Gefährlichkeit der Erreger wachsen an. Und so kommen die Krankenhäuser im Ergebnis schlechter mit dem Risiko zurecht als in der Vergangenheit.“
Er selbst, so Püschel, habe eine klare Strategie, falls er in ein Krankenhaus müsse: „Ich beschränke meinen Aufenthalt auf die Diagnose und die akute Behandlung. Ansonsten versuche ich, kein Behandlungszimmer und kein Patientenzimmer zu betreten, wenn es sich vermeiden lässt – und die weitere Behandlung, wo es möglich ist, außerhalb des Krankenhauses zu bekommen.“
Keime – das sagt Asklepios
Auch andere Patienten und Besucher könnten selbst dafür sorgen, das Risiko möglichst gering zu halten. „Die wirklich gewissenhafte Desinfektion der Hände ist ein wichtiges Mittel – zusätzlich ist auch ein Mundschutz gegen Tröpfcheninfektionen sehr sinnvoll.“
Die Tochter des Verstorbenen Peter H. macht der Klinik direkte Vorwürfe: „Mein Vater hätte gerettet werden können.“ Viel zu spät hätten Ärzte und Pfleger auf die tödlichen Keime reagiert. Asklepios bedauert den tragischen Tod von Peter H. Der Patient habe eine schwere Grunderkrankung gehabt und sei bereits mit „erheblichen Risikofaktoren“ nach St. Georg gekommen. „Diese Risikofaktoren, sein fortgeschrittenes Alter, seine eingeschränkte Immunkompetenz und die bei schweren Eingriffen zwar äußerst seltenen, aber leider nie auszuschließenden Komplikationen können zu einem solchen tragischen Tod führen“, so ein Sprecher.
Der Linken-Abgeordnete Deniz Celik wirft den Krankenhäusern dagegen vor, auch aus Kostengründen nicht genügend gegen das Infektionsrisiko zu unternehmen. „Der Personalmangel in den Kliniken muss endlich bekämpft werden. Jeder weiß, dass die massive Kürzung in der Pflege und bei den Reinigungskräften die hygienischen Bedingungen verschlechtert hat.“