Hamburg. Der Bootsverleiher an der Alster ist eine Institution in Hamburg. Ein Mann, der mit 77 Jahren einen Traum seiner Jugend lebt.
Das ist nun bereits der zehnte Tag ohne Regen in diesem Monat, und der ist noch nicht einmal zur Hälfte vorbei. Schon morgens um zehn knallt die Sonne aus einem wolkenlosen Hamburger Himmel auf die Stadt herunter, sodass sich der Mann auf dem Steg unter einen Sonnenschirm verzogen hat. Er sitzt auf einem Gartenstuhl vor dem Büro, raucht in aller Ruhe eine Zigarette und schaut mit zusammengekniffenen Augen prüfend über die spiegelglatte Außenalster, wo um diese Zeit nur wenige Jollen im schlaffen Wind dümpeln und ab und zu ein Sportruderboot durchs Wasser vorbeipflügt.
Der Mann auf dem Steg heißt Bodo Windeknecht. Er ist 77 Jahre alt, schlank, muskulös und sehnig, mit wettergegerbter Haut und beinahe noch mit allen Haaren, die kurz geschnitten sind. Für sein Alter macht er einen enorm fitten Eindruck. Seit 40 Jahren vermietet er am Westufer des blauen Herzens der Hansestadt, direkt am Alsteranleger Alte Rabenstraße, Boote. Die acht Tretboote und neun Ruderboote kosten in diesem Jahr jeweils 18 Euro pro Stunde, die beiden H-Jollen und die drei Laser jeweils 30. „Nee, nee, nee“, sagt Bodo und drückt bedächtig seine Kippe im Aschenbecher aus, „so was hatten wir ja schon lange nicht mehr.“
Harte Arbeit
In diesem Moment tritt seine Frau Anne mit einer Art Wischmopp aus dem Büro hinaus auf den Steg in die Sonne, um die Tretboote von Blütenpollen zu befreien, die über Nacht von den Bäumen am Alsterufer heruntergekommen sind. Die Boote sollen schließlich blitzen. In einer Stunde, ab elf Uhr, ist geöffnet bis 20 Uhr. Früher hatten sie noch länger auf, manchmal bis 23 Uhr, aber inzwischen treten sie ein bisschen kürzer. Man werde ja nicht jünger.
„So, wie ihr arbeitet, möchten andere Urlaub machen!“ Diesen Satz hätten sie schon häufig gehört, meint Bodo, gerade an vermeintlich umsatzstarken Tagen wie diesen, aber die Arbeit sei tatsächlich nicht einfach und nicht selten sogar richtig hart. Zeitintensiv. „In der Saison haben wir ja sieben Monate lang keinen freien Tag“, sagt er, „und im Winter kommen die Boote in die Werft am Poelchaukamp zum Überholen. Da arbeite ich dann jedoch nur an sechs Wochentagen.“
Erst Lehre als Bauschlosser
Und niemand solle ja glauben, dass sie in solchen Schönwetterperioden abends das Geld in Plastiktüten nach Hause trügen. „Das ist wirklich ein Phänomen: Je länger es nicht zwischendurch mal regnet, desto träger werden die Leute. Die sagen dann: ,Ach, Tretboot fahren können wir auch noch morgen‘, und das sagen die dann so lange, bis das Wetter wieder richtig schlecht ist“, sagt Bodo.
Aber „Bootsverleih“, das klingt viel zu schnöde, denn „Bodo’s Bootssteg“ mit der angeschlossenen Terrassen-Gastronomie, die seine Schwiegertochter Gunda von ihm gepachtet hat, gilt längst als Hamburger Institution. Nicht nur, weil er in der Vergangenheit schon häufiger als Filmkulisse diente. Sondern auch, weil er eine Oase der Ruhe für die verlängerte Mittagspause ist und sich überdies perfekt als lauschiger Treffpunkt für Paare eignet. Käffchen, Küsschen, Bootspartie.
Die Romantik unter den weißen Schirmen soll daher bitte schön nicht gestört werden. Deshalb werden Gäste, die unbedingt telefonieren wollen, üblicherweise gebeten, sich mit ihrem Handy über die Treppe nach oben auf den Harvestehuder Weg zurückzuziehen. „Na ja“, sagt Bodo, „so eng sehen wir das auch nicht mehr. Aber die Telefoniererei kann ganz schön nerven.“
So, wie er das sagt, klingt es nach Meinung. Nach klarer Kante und Prinzipien. Da sitzt ein Mann auf dem Steg, der offenbar ganz genau weiß, was er will. „Ja“, nickt Bodo, „das kann man schon so sagen. Jedenfalls war mir schon mit 15 Jahren klar, dass die Boote irgendwann mein Ding sein würden.“
Ein Kollege nahm ihn damals, 1955, eines Tages mit ins Winterlager für die Tret- und Ruderboote. Der Teenager Bodo, der im zweiten Kriegsjahr 1940 als jüngstes von vier Geschwistern in Lüneburg zur Welt kam, wo sein Vater bei der Luftwaffe diente, lernte zu jener Zeit Bauschlosser in Barmbek. Aber nach seiner Lehre stieg er dann lieber als Bootsjunge beim damaligen Bootsverleiher Walter Rabitz ein. „1957 ließen wir die ersten beiden Tretboote zu Wasser. Sie hießen ‚Bella‘ und ‚Bimba‘, denn mein Vorgänger hatte damals seinen ersten Urlaub in Italien verbracht. Und da gab es damals diesen Schlager von Bibi Johns: ,Die Blumen sind für Bella Bimba …‘“
Bodo wurde Zeitsoldat
Ab 1961 versuchte Bodo sich dann doch einmal auf einem großen Pott. Er heuerte auf einem Stückgutfrachter der Hapag-Lloyd-Reederei als „Ingenieurs-Assi“ an und schipperte die nächsten zwei Jahre lang zwischen Kanada und Australien. „Ich wollte lieber unten in der Maschine fahren, denn so hatte ich mehr Zeit für den Landgang als die Leute an Deck.“
Aber schon zwei Jahre später zog es ihn zur Bundeswehr, Bodo wurde Zeitsoldat und riss beim Pionierbataillon 6 in Plön drei Jahre ab. als Brückenspezialst. Ein sicherlich ungewöhnlicher Lebenslauf, der vermutlich etwas mit Geldverdienen zu tun hatte, denn sein erklärtes Ziel war nach wie vor die Selbstständigkeit. Als Bootsverleiher. Doch dafür brauchte er Kapital.
Bodo erhebt sich und holt sich aus dem Büro erst einmal eine Zigarette. Als sie glimmt, befinden wir uns im Jahr 1978. Da hatte er schon wieder zehn Jahre bei Walter Rabitz an der Alster gearbeitet. „Im Januar dieses Jahres starb er, und im März konnte ich mir dann endlich meinen Traum erfüllen“, sagt Bodo feierlich, „mein eigenes Geschäft!“ Einen Komplex, vom großen Schiff aufs kleine Tretboot umzusatteln, habe er übrigens nie entwickelt. Und Fernweh auch nicht.
Wunderschöne Tret- und Ruderboote
Er machte nicht den Fehler wie einige andere Jungunternehmer, erst einmal alles über Bord zu werfen, was der Vorgänger hinterlassen hatte. Im Gegenteil. Die Tret- und Ruderboote waren ja nicht nur noch gut, sondern sie waren irgendwie auch wunderschön. Und vor allem schön robust, aus Aluminium, das nicht rostet. „Ganz so einfach ist das dann doch nicht“, merkt Bodo an, „man muss das Metall nämlich trotzdem pflegen, sonst fängt es an zu blühen und kriegt irgendwann doch Löcher.“ „Charlie“, „Rolf“, „Flock“: Fast ihre gesamte Flotte, auch die Ruderboote, stammt aus den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren und sieht dennoch aus wie neu; „Bella“ und „Bimba“ allerdings liegen leider schon auf dem Tretbootfriedhof. Wer auf Bodo’s Bootssteg also ein Tretboot mietet, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Nostalgiker sein.
Bodo blickt skeptisch drein und nippt an seiner Kaffeetasse. „Nee, nee, nee,“, sagt er dann bedächtig, „in 40 Jahren lernst du die Vorlieben deiner Gäste kennen. Und da muss ich sagen: Es sind höchstens zehn Prozent, die das noch wirklich zu schätzen wissen. Die anderen 90 wollen bloß raus aufs Wasser.“ Er selbst, grinst Bodo vielsagend, rudere übrigens lieber. Am Steg ist noch ein Motorboot festgemacht, „ein Tuckerboot“, sagt Bodo, „mit einem Zehn-PS-Albin-Innenborder. Ich habe ja eine Sondergenehmigung fürs Bergen, Abschleppen und Retten.“ Was allerdings nur selten vorkomme.
Bodo tänzelt immer noch leichtfüßig über Deck
Neulich, zu Beginn der Saison, hätten zwei Männer sich ein Tretboot gemietet, hätten dann aber irgendwo zwei Kumpels an Bord genommen, obwohl das Boot höchstens für drei Erwachsene zugelassen sei. „Dann haben sie auf der Binnenalster Quatsch gemacht und sind tatsächlich gekentert. Die Wasserschutzpolizei hat sie rausgefischt, und ich musste das Boot an meinen Steg zurückschleppen und wieder aufrichten. Und dann haben die ganz frech behauptet, unser Boot sei kaputt gewesen“, erzählt Bodo, „der eine wollte sogar 3000 Euro für sein Handy haben, das jetzt in der Alster lag. Das muss man sich mal vorstellen!“ Natürlich hätten sie den Männern nichts bezahlt, stattdessen hieß es: „Tschüs, ihr braucht auch nicht wiederzukommen.“
Für Segler, sagt Bodo, sei die Alster jedoch tatsächlich ein schwieriges Revier und für Regattasegler deshalb ein ideales Trainingsgewässer. Wegen der unsteten Winde, die aus jeder Straße anders wehten. Im letzten Jahr habe er dennoch nur drei Kenterungen gehabt: „Scheint die Sonne auf das Schwert, macht der Segler was verkehrt!“ Er lacht.
Um Punkt elf tauchen dann zwei Segler mittleren Alters auf. Es sind Stammkunden, die eine H-Jolle reserviert haben. Telefonisch, was durchaus zu empfehlen ist. Und auf einmal springt Bodo federnd auf, geht leichtfüßig über den Steg, der auf 40 Holzpfählen steht, die er höchstselbst händisch durch zwei zähe Tonschichten des Alstergrunds gerammt hat. Er hüpft an Bord der Jolle, tänzelt leichtfüßig übers Deck, schon ist die Persenning unten, sind die Fender drinnen und das Segelboot startklar. „Könnt an Bord kommen!“, ruft er. Der Mann auf dem Steg ist jetzt ganz in seinem Element.
Nächste Woche: Jochen Margedant, geschäftsführender Direktor der Elbphilharmonie