Hamburg. 360 Stunden Talk- und Kochsendungen produzieren Markus Lanz und Markus Heidemanns im Jahr. Wie sie arbeiten.
Die Studiouhr rückt auf 15.40 Uhr, als Markus Lanz seinen Gast unter tosendem Applaus begrüßt. „Herzlich willkommen, Irmgard Bohse, sie war öfter in meiner Sendung als ich“, ruft Lanz und drückt der 84-jährigen Dame in der zweiten Reihe die Hand. Kein TV-Zuschauer wird diese Szene sehen können. Und doch genießt die Rentnerin aus Ottensen ihre 30 Sekunden Ruhm, fast immer begrüßt sie der Talkmaster persönlich. Seit Januar sind sie per Du, der Markus und die Irmgard: „Dieser bekannte Schauspieler, der mit der hohen Stirn, hat uns nach einer Sendung gefragt: Warum duzt ihr euch eigentlich nicht?“
Der Schauspieler war Heiner Lauterbach, aber wer wie Irmgard Bohse bei fast allen Lanz-Sendungen im Studio saß, kann schon mal durcheinanderkommen. An diesem Nachmittag im Frühsommer wird die 1133. Sendung aufgezeichnet, seit Juni 2008 talkt Lanz nun durch die deutschen Wohnzimmer. Irmgard Bohse ist von Anfang dabei.
Einst Heimat der Ottensener Eisenwerke
Viele Zuschauer würden das Studio eher in der politischen Herzkammer Berlin oder in Mainz, der Heimat des ZDF, verorten. Doch produziert wird „Markus Lanz“ auf dem Phoenixhof in Bahrenfeld, einst Heimat der Ottensener Eisenwerke. Wo vor einem Jahrhundert noch Dampfmaschinen stampften, wird nun Fernsehen gemacht, allein im vergangenen Jahr 127-mal „Markus Lanz“ und 241 Folgen „Die Küchenschlacht“, eine ZDF-Sendung, in der Hobbyköche gegeneinander antreten. Zusammen mit Sonderproduktionen sendeten die Fernsehmacher – so heißt die Firma schlicht wie treffend – 2017 mehr als 360 Stunden.
Vierter Stock, ein lichtdurchflutetes Büro an der Schützenstraße, ein paar Steinwürfe vom Studio entfernt. Ein Rallye-Gokart, Überbleibsel einer Show, steht in der Ecke, am Schreibtisch sitzt Markus Heidemanns, Pulli, Jeans, Sneakers, braun gebrannt. „Meine Frau ist prominenter als ich“, sagt der Inhaber einer der größten deutschen TV-Produktionsfirmen. Mit Estefania Küster, einst mit Dieter Bohlen liiert, hat Heidemanns zwei Kinder. Vor Jahren hörte er bei einer Urlaubsreise von einer Mitarbeiterin des Phoenixhofs, dass gerade ein neuer Hauptmieter gesucht wird. Heidemanns stellte sich in Shorts, T-Shirt und Latschen den Inhabern vor – im festen Glauben, die Urlauber-Kluft werde ihm Glück bringen. Heidemanns bekam die Räume.
In das TV-Geschäft geriet Heidemanns Mitte der 1990er als Reporter durch eine Geschichte über Harald Schmidt. Der damalige Late-Night-Talker fand Gefallen an dem jungen Journalisten, verpflichtete ihn für seine Sendung. Später wechselte Heidemanns als Produktionschef zu Kerner, schon da hatte er ein festes Ziel: „Mit 40 Jahren will ich einen eigenen Laden führen.“ Auf die Frage, ob er mal eine Lanz-Sendung nicht produziert habe, scrollt er durch sein Smartphone und zeigt Fotos nach seiner Nasen-Operation: dick verbunden, das Gesicht zerbeult wie nach einer Schlägerei. In diesem Zustand entließ sich Heidemanns selbst aus der Klinik, um zwei Lanz-Sendungen an einem Nachmittag zu produzieren. Bei der zweiten Aufzeichnung legte er sich dann doch ins Bett, zu groß waren die Schmerzen. Es blieb bis heute die einzige Folge, bei der Heidemanns fehlte.
Im Konferenzraum neben Heidemanns stapeln sich auf einem Couchtisch die Dossiers über neun Gäste, verfasst von Redakteuren, jedes bis zu 25 Seiten dick. Markus Lanz hat sie in den vergangenen Tagen genau studiert, Schlüsselzitate, Lebensläufe, politische Einstellungen abgespeichert. Lanz hockt auf dem Sofa, ein Laptop auf den Knien. Einer der bekanntesten Talkmaster hat nicht einmal ein eigenes Büro, er braucht keins, sagt er, seine Moderationen schreibt er hier. Am Konferenztisch feilen die Redakteure am Ablauf der beiden Sendungen, die an diesem Tag aufgezeichnet werden. Auf einem Monitor an der Wand begutachten Lanz und Heidemanns die vorbereiteten Einspielfilme, ein Ausschnitt zeigt Nationalspieler Ilkay Gündogan als Kind im DFB-Trikot. „Super“, lobt Heidemanns, „das passt zu der Diskussion um das Foto von Gündogan und Mesut Özil mit Erdogan.“
Auch um das WM-Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft soll es in der ersten Sendung gehen, eingeladen sind Moderator Reinhold Beckmann und Fußball-Comedian Matze Knop. Außerdem geht es um den Koalitionskrach, kurzfristig verpflichtete die Lanz-Redaktion SPD-Vize Ralf Stegner als Ersatz für Elmar Brok. Der CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament hatte am Vorabend abgesagt. Die Runde komplettieren der Ornithologe und Tierstimmen-Imitator Uwe Westphal und eine Journalistin. In der zweiten Sendung, die am nächsten Abend ausgestrahlt wird, gastieren der gefeuerte FBI-Chef James Comey, Nahostexperte Ulrich Kienzle und ein Abenteurer-Paar.
WM, Trump, Vogelschutz, Erdogan, Merkel, Afrika. Kann in zweimal 75 Minuten zusammenwachsen, was überhaupt nicht zusammengehört?
Die Sendung
Reinhold Beckmann kommt als erster Gast in den VIP-Raum mit großem Tisch und Lounge-Ecke. Beckmann, einst erfolgreicher ARD-Talker, gehört zu den Stammgästen bei Lanz. Die Mischung aus Politik, Sport und Unterhaltung sei ideal, sagt er. Lanz müsse nicht wie reine Polit-Talker die Gäste streng nach Parteienproporz auswählen. Auch Stegner kommt regelmäßig, trotz einer SPD-Vorstandssitzung am Abend ist er eingesprungen. Er hört nach Auftritten bei Lanz viel Gutes: „Die Leute mögen es, wenn Politiker hart befragt werden.“
In den Redaktionsräumen nebenan wird es hektisch, der Comedian Matze Knop steckt im Stau, der geplante Aufzeichnungstermin 16.30 Uhr ist nicht zu halten – misslich, da Stegner unter Zeitdruck steht. In der Redaktion kursieren Notfallpläne. Mit Stegner anfangen, Knop später in die Runde holen? „Geht nicht“, entscheidet Heidemanns, „wir müssen mit Fußball beginnen.“ Er will die Zuschauer, die von der WM-Übertragung im Ersten zu Lanz zappen, unbedingt in der Sendung halten.
Allein Regisseur Volker Weicker futtert entspannt Gummibärchen: „Wir machen hier nur Fernsehen. Und keine Operation am offenen Herzen.“ Der Grimme-Preis-Träger hat gute Nerven. Bei der WM 2002 führte er im Finale die Weltregie. Eine Milliarde Zuschauer, 64 Kameras. Kurz vor dem Anpfiff streikte das Regiepult, Weicker musste die Kameraleute von einem winzigen Display steuern: „Hat auch funktioniert.“
20 Minuten später eilt Knop ins Studio. Markus Lanz sitzt wie immer links außen, die Moderationskarten in der rechten Hand. Er braucht sie fast nur, um die Gäste vorzustellen: „Ich versuche, ein Gespräch entstehen zu lassen. Da kann ich nicht sklavisch an den Karten kleben. Ich habe mir das bewusst antrainiert, weil ich selbst oft genug auf der anderen Seite gesessen habe und weiß, wie irritierend es ist, wenn man auf Fragen antwortet, dabei aber nicht angesehen wird.“
75 Minuten später lobt Heidemanns: „Gute Sendung, Markus.“ Stegner attackierte die CSU („Die Kanzlerin wird behandelt, als sei sie die Hilfsreferentin der Münchner Staatskanzlei“), Beckmann schlug den großen Bogen zwischen Özil-Debatte und Integration von Flüchtlingen, Matze Knop parodierte Bundestrainer Joachim Löw – und Vogelkundler Uwe Westphal sorgte sich um die heimische Vogelwelt. Allein Irmgard Bohse ist nicht ganz zufrieden mit der Sendung: „Ich dachte, Sie würden mehr Vögel imitieren“, sagt sie zu dem Ornithologen. Nur für die alte Dame zwitschert Westphal noch das Rotkehlchen. Frau Bohse ist glücklich.
Um 20.30 Uhr, kurz vor Beginn der zweiten Aufzeichnung, schreitet James Comey ins Studio. Ein 2,03-Meter-Hüne mit dem Kreuz eines Schwergewichtsboxers. Im Gespräch mit Lanz öffnet er die Tür zum Weißen Haus ganz weit, spricht über Trump („Er erzählt nur von sich“) und die E-Mail-Protokolle von Hillary Clinton, die das FBI veröffentlichte: „Es foltert mich noch heute, wir haben Todesqualen gelitten.“ Lanz lässt Comey reden, hakt klug nach, es ist, man darf das sagen, eine Sternstunde des politische Talks. Und dann versteht man Lanz, wenn er sagt: „Ich hatte noch nie so viel Freude an der Sendung wie im Moment. Wir kommen inhaltlich dem Punkt, an den wir immer wollten, langsam näher.“
Relevanz und Aufmerksamkeit
Relevanz, Aufmerksamkeit, auch im politischen Berlin. Natürlich gibt es nicht nur Glanzlichter. Eine Woche nach Comey darf Ex-Nationalspieler Mario Basler im Studio pöbeln. Schon bei „Hart aber fair“ beleidigte er Mesut Özil: Der Weltmeister von 2014 habe die Körperhaltung „eines toten Froschs“. Als Lanz nachhakt, schnaubt Basler: „War doch geil. Hat sich jeder drüber aufgeregt. War doch schön.“ Überhaupt sei ihm alles „scheißegal“. Dass Lanz, sonst immer um Distanz bemüht, mit Basler das Sportler-Du pflegt, macht es nicht besser. Andererseits: Wie soll man jemanden stellen, der über sich sagt: „Mich interessieren Argumente nicht“?
Doch wie tickt der Mann, der Woche für Woche Prominenten Spannendes entlocken will? Lanz, aufgewachsen in Südtirol, redet ungern über Privates, es gibt kaum Interviews, keine Homestorys. Als jetzt die Nachricht durchsickerte, dass er wieder Vater wird, erklärte sein Büro: Kein Kommentar. Gut dotierte Werbeofferten hat Lanz ausgeschlagen: „Ich mache tatsächlich keine Werbung im klassischen Sinn. Stellen Sie sich vor, ich wäre das Gesicht einer großen VW-Kampagne und müsste in der Sendung über den Dieselskandal reden. Das geht nicht. Wir werden gut bezahlt, da dürfen die Leute erwarten, dass wir uns nicht links und rechts anbiedern.“
Der Talker
Auf dem Tisch im Konferenzraum liegt sein Buch über Grönland, Lanz liebt dieses Land, er lebte mehrfach mit Eskimos im nördlichsten Dorf der Welt. „Ich habe das Gefühl, ein privilegiertes Leben zu führen“, sagt er. „Und dafür bin ich sehr dankbar. Ich arbeite zwar viel, aber das tun andere auch. Und ich weiß von vielen Reisen rund um die Welt: Für die meisten Menschen ist das Leben jeden Tag ein gnadenloser Kampf. Da geht’s wirklich um die nackte Existenz. Ich weiß, was das bedeutet, weil ich selbst so aufgewachsen bin.“ Lanz’ Vater starb mit 52 Jahren an Leukämie, er hinterließ der Familie Schulden: „Ich habe es unendlich gehasst, in prekären Verhältnissen aufzuwachsen, in denen man von anderen abhängig war“, hat er vor Jahren einmal dem Abendblatt gesagt.
„Ich bin überhaupt nicht von meiner eigenen Bedeutsamkeit überzeugt“, sagt Lanz. Und dann lachend: „Ich glaube, wenn ich diesen Job machen könnte, ohne dass die Sendung ausgestrahlt würde, wäre ich genauso glücklich.“
Für jemanden, der – Reportagen und Dokumentationen eingerechnet – rund 170 Stunden im Jahr auf Sendung ist, mag das kokett klingen. Nicht für Geschäftspartner Heidemanns: „Markus interessiert sich einfach für Menschen.“ Nach der zweiten Aufzeichnung kann es schon mal drei Uhr werden, bis Lanz mit seinem letzten Gast das Studio verlässt.
Was keineswegs bedeutet, dass Lanz in der Sendung entspannt plaudert – im Gegenteil, kein anderer Talker unterbricht so oft wie er. Besonders Politikern mit Hang zum Monologisieren fährt er mit „Sie antworten nicht“ oder „Stoppstoppstopp“ in die Parade. Das gefällt nicht allen. Irmgard Bohse, sein größter Fan, hört mitunter die Kritik, dass Lanz unfreundlich sei. Sie lässt das nicht gelten: „Der Markus kann doch nicht minutenlang einen Gast sabbeln lassen. Soll er den anderen sagen: Sie können am nächsten Tag wiederkommen.“?
Irmgard Bohse tut ihre Meinung bei Kaffeekränzchen kund, sie surft nicht in sozialen Netzwerken, wie auch, ohne Computer. Sie bekommt nicht mit, wenn das Internet-Fernsehgericht über Lanz tagt. Wie nach der Sendung im Januar 2014, als er mit einem „Stern“-Journalisten die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht in die Zange nahm.
Der Shitstorm
In den Tagen danach geriet Lanz in einen Shitstorm, im Internet startete eine Linken-Politikerin die Petition „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr!“, innerhalb weniger Tage 230.000-mal unterschrieben.
Rückblickend sagt Lanz: „In der Sendung argumentierten zwei Männer gegen eine Frau: definitiv ein Fehler von unserer Seite. Aber Frau Wagenknecht und ich haben ein intaktes Verhältnis, ich schätze sie sehr.“ Eines sei aber damals „in dem Skandalgeheul“ untergegangen: „Es entzündete sich an einer Formulierung der Linkspartei zur Europawahl, in der es sinngemäß hieß, manches in der EU sei militaristisch und diktatorisch. Das fand ich steil für eine Partei, die selbst ihre eigene diktatorische Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet hat. Interessanterweise verschwand dieser Passus nach der Sendung plötzlich aus dem Programmentwurf.“
Lanz’ Kollegin Sandra Maischberger (ARD) hat in der „Zeit“ jüngst die Aufgeregtheiten um das Talk-Geschäft so beschrieben: „Wenn wir früher eine schlechte Sendung produziert haben, ernteten wir harsche Kritik. Wenn heute eine Sendung nicht gelingt, gefährden wir gleich den Fortbestand der Demokratie.“ Auch Lanz sagt: „Ich frage mich manchmal, ob die sozialen Netzwerke wirklich gut sind für unsere Demokratie. US-Wahl, Brexit – die Liste der Ereignisse, bei denen ihr Einfluss sehr negativ war, ist mittlerweile wirklich lang. Und aktuell kann man es auch bei der WM beobachten: wie vorsichtig die Kommentatoren sind. Wenig Haltung hinterm Mikro. Ich ahne, warum. Weil alle erleben, was passiert, wenn mal ein Satz verrutscht.“
Aber Lanz spricht auch von einer anderen Seite: „In dieser gigantischen digitalen Wolke werden viele Dinge neu gedacht, und faszinierend viel Neues entsteht, auch politisch. Obama, Macron – kaum denkbar ohne soziale Netzwerke. Alles hängt mit allem zusammen.“
Daher gehöre er nicht zu denen, die „wahnsinnig pessimistisch sind und nun vom Untergang des Abendlandes reden“. Im Gegenteil, man müsse auch die Vorzüge von Facebook, Instagram und Co. sehen: „Wir werden heute gezwungen, uns mit Grundthemen der Demokratie auseinanderzusetzen, die wir früher als selbstverständlich erachtet haben. Es gibt einen Kampf um Aufmerksamkeit, um das gute Argument, das finde ich sehr belebend. Ich glaube tatsächlich, dass das Gros der Leute heute informierter ist als früher. Und auch das hat übrigens viel mit dem Netz zu tun.“
„Die Küchenschlacht“
Das Foto zeigt einen Teller mit sieben Tomaten und einem Stück Käse. Dennis Schwind, Redakteur der Sendung „Die Küchenschlacht“, zeigt es den sechs Hobbyköchen, die an diesem Freitag ihr Können am Herd demonstrieren wollen. „Bei diesem Kandidaten ist alles schiefgegangen. Ihm ist die Zeit weggelaufen, das Cordon bleu verbrannte, er hat dann nur den Käse und die Tomaten serviert. Habt die Uhr bitte im Blick“, mahnt Schwind. Die Köche lächeln nervös, sie wissen, dass ihnen nach exakt 35 Minuten der Herd abgeschaltet wird.
Seit zehn Jahren sendet das ZDF werktags um 14.15 Uhr „Die Küchenschlacht“. Nach jeder Sendung entscheidet ein Juror, wer ausscheiden muss. Die Wochensieger treten gegeneinander an, der Sieger der „Champions Week“ kassiert 25.000 Euro. Aus Kostengründen zeichnen die Fernsehmacher bis zu vier Folgen an einem Tag auf.
Die Rezepte der Kandidaten klingen eher nach Stern als nach Hobby. Serviert werden Secreto vom Landschwein mit Guacamole, Entrecôte mit Kapern-Vinaigrette oder Basilikum-Quark-Creme mit flambiertem Pfirsich und Schokoladen-Pistazien-Chip.
„Das Niveau ist immer weiter gestiegen. Früher war es eine Sensation, wenn ein Hobby-Koch ein Filet auf den Punkt garen konnte. Heute gilt das als selbstverständlich“, sagt Nelson Müller, der an diesem Tag moderiert. Müller zählt zu den bekanntesten deutschen TV-Köchen. „Bei mir war zuerst die Fernseh-Prominenz, dann das Restaurant. Mit meinem ersten Werbevertrag bin ich zur Bank gegangen und habe um einen Kredit für ein Restaurant gebeten“, sagt Müller, inzwischen zählt sein Sterne-Lokal Schote zu den besten im Ruhrgebiet.
„Du bist doch die Diana, die als Empfangschefin auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet“, begrüßt Müller eine Kandidatin im Vorgespräch. Dianas Konkurrenten Jan gratuliert er zum Abitur. Die Teilnehmer sind sichtlich beeindruckt, was der Sterne-Koch alles über sie weiß. Natürlich hat Müller die Informationen nicht selbst recherchiert, es wäre für einen viel beschäftigten Gastronomen, der zudem noch als Soulsänger auftritt, ziemlich viel verlangt.
Die Redaktion hat auch für Müller ein Dossier über jeden Kandidaten erstellt, nicht so ausführlich wie bei Lanz, aber genauso präzise. So weiß der Moderator nun, dass einer seiner Köche mal in einem See in Florida geangelt hat, nicht ahnend, dass es dort von Krokodilen wimmelte. Und dass eine Kandidatin mit der ersehnten Siegprämie ein Café eröffnen möchte.
„Will man ein Ass aus dem Ärmel ziehen, muss man erst eines hineinstecken“, zitiert Redakteur Schwind gern Rudi Carrell, den Altmeister der TV-Unterhaltung. Will heißen: Der Moderator braucht diese Informationen, damit es zwischen garen, braten und dünsten auch menscheln kann.
An diesem Tag gehört Thomas Martin zu den Juroren. Martin, als Küchenchef im Louis C. Jacob einer der renommiertesten Köche im Norden, nimmt seinen Job so ernst, dass er dem Abendblatt-Wunsch nach einem Foto im Studio nur zögernd zustimmt – und nur dann, wenn es schnell geht. Denn er soll die Kandidaten erst nach der Sendung kennenlernen, damit er unbeeinflusst sein Urteil fällen kann.
Martin findet die strengen Regeln wichtig, er kann es sich nicht leisten, seinen guten Namen für eine Mogelpackung zu riskieren. TV-Prominenz ist für einen Spitzenkoch ohnehin nicht ohne Risiko. Wenn es mal nicht schmecken sollte, heißt es schnell: Kein Wunder, der Chef hat ja auch Besseres zu tun. Daher hat für Martin das Restaurant absolute Priorität: „Falls mich jemand fragt: ,Machen Sie jetzt auch Fernsehen?‘, sage ich: ,Ja, das stimmt, aber das Jacobs steht immer an erster Stelle.‘“
Er sieht sein TV-Engagement auch als Werbung für seinen Berufsstand, dem Nachwuchs fehlt: „Es ist gut, wenn jemand animiert durch Kochsendungen sagt: Diesen Beruf würde ich auch gern machen. Bei der Sendung bekommen die Teilnehmer und Zuschauer einen Eindruck davon, wie die Köche unter Druck ins Schwitzen geraten. Das zeigt sehr realistisch den Alltag in Restaurantküchen.“ Nelson Müller kennt Kandidaten, die sich aus der „Küchenschlacht“ in den Sterne-Bereich gekocht haben.
Der Quotendruck
Im Schneideraum zeigen Monitore die schreckensgeweiteten Augen eines Mannes, als sich die Tür eines Kleinflugzeugs öffnet. „Und raus fliegst du“, fällt Oliver Pocher schadenfroh sein Urteil. Sein Kandidat hatte bei der Frage, wie viele Knochen ein erwachsener Mensch hat (206 bis 214 Knochen, je nach Zählart), komplett falschgelegen, zur Strafe schickt ihn der Moderator nun mit einem professionellen Tandemspringer in die Tiefe. „Sieht gut aus“, lobt Heidemanns die Arbeit seiner Kollegen in der Entwicklungsredaktion. Ob die Sendung jemals ausgestrahlt wird, weiß niemand.
„Und raus fliegst du“ ist Heidemanns neue Idee: ein Quiz, in dem unterlegene Kandidaten per Fallschirm auf den Boden der Tatsachen geschickt werden. Die Show zeigt den Einfallsreichtum der Fernsehmacher-Crew – und die Härte im TV-Geschäft. „Das Konzept für die ,Küchenschlacht‘ habe ich noch auf eineinhalb DIN-A4-Seiten in einer Stunde geschrieben. Damals hat das ZDF gesagt: Mach mal. Die haben an die Idee geglaubt. Heute ist alles viel aufwendiger“, sagt Heidemanns.
Aufwendig. Und teuer. Rund 100.000 Euro hat Heidemanns in die Produktion gesteckt, gedreht wurden auf dem Flugplatz in Bückeburg zwei Varianten, eine mit normalen Kandidaten, eine mit Prominenten wie Fernseh-Richter Alexander Hold. In den nächsten Wochen werden die Unterhaltungschefs der großen deutschen Sender das Material begutachten. Der Auftrag für ein Daily-Format, also für eine tägliche Sendung wie „Küchenschlacht“, wäre für Heidemanns wie ein Sechser im Lotto.
Entwicklung neuer Formate
„Wir stecken viel Geld in die Entwicklung neuer Formate“, sagt Heidemanns. Als Produktionschef muss er ins Risiko gehen – auch langjährige Formate können eingestellt werden: 2015 kam das Aus für „Topfgeldjäger“ (968 Folgen), 2017 für „Lafer Lichter Lecker“ (374 Folgen). Als die Quoten der „Küchenschlacht“ vor drei Jahren schwächelten, sagt Heidemanns, „hatte ich schon unruhige Nächte. Die Gefahr bestand, dass das ZDF auf dem Sendeplatz etwas anderes versucht. Das hätte unsere Firma in eine Schieflage gebracht.“ Er modernisierte den Klassiker, streut nun vorab produzierte Interviews in die Sendung. Mit Erfolg, im Schnitt schauen 1,4 Millionen Zuschauer den Hobby-Köchen zu.
Wichtig. Denn Heidemanns produziert nur im obersten Regal. Regie führen Top-Profis der Branche wie Volker Weicker. Klar, es ginge auch billiger. Aber bekämen dann die TV-Zuschauer genau im richtigen Moment Erstaunen, Zorn oder Lachen der Gäste zu sehen?
Das Catering vor und nach den Sendungen gleicht einer Feinkost-Auswahl, Hostessen servieren dazu Kaffee-Spezialitäten. Heidemanns weiß, dass niemand absagen würde, wenn stattdessen Discounter-Würstchen vor sich hin köcheln würden. Und jeder geladene Hobbykoch wäre auch bereit, den Kaffee für einen Euro aus einem Automaten zu ziehen – Hauptsache, er ist überhaupt dabei.
Aber für Heidemanns gehört Wohlfühlatmosphäre zur DNA der Fernsehmacher: „Billigen Toast, eingeschweißte Marmelade oder Käsescheiben auf Brötchen umdrehen, weil sie sich wellen, kann ich nicht akzeptieren.“ Jeden Morgen begutachtet er das Catering.
Die meisten der 80 Mitarbeiter von Heidemanns und Lanz haben feste Verträge. „Ich weiß, dass in anderen Produktionsfirmen Mitarbeiter nur projektbezogen eingestellt werden. Aber das ist nicht unser Weg“, sagt Heidemanns. Kreativität brauche Sicherheit.
Das Flaggschiff
Heidemanns kann sich das alles leisten, weil er sein eigener Chef ist. Und weil auch sein Geschäftspartner Lanz – die Sendung produzieren sie gemeinsam – den in der Branche durchaus üblichen Geiz-ist-geil-Kurs hasst: „Wir ticken da ganz ähnlich. Wir haben uns noch nie um einen Cent gestritten.“ Zudem fährt die Lanz-Sendung, das Flaggschiff der Fernsehmacher, laut Heidemanns die besten Quoten ihrer Geschichte ein, im Juli schalteten bis zu 1,7 Millionen TV-Zuschauer bei Lanz ein.
Markus Lanz weiß, dass an seiner Person viele Jobs hängen: „Das ist mir kürzlich klar geworden, als ich wegen einer Influenza eine Woche lang wirklich nicht arbeiten konnte.“ Lanz – und damit die Fernsehmacher – hatten Glück, es gab aufgezeichnete Sendungen. Der Moderator will sich mit solchen Problemen nicht zu sehr belasten, das bringe einen nicht weiter: „Aber natürlich bedeutet das eine Verpflichtung zu einem relativ disziplinierten Leben.“
Und der Druck der Quote? „Wie Schüler bekommen auch wir Zeugnisse, nur mit dem Unterschied, dass wir unseres dreimal in der Woche morgens um halb neun kriegen. Das ist für uns ein sehr wichtiger Moment: Hat es die Leute interessiert, was wir gemacht haben? Aber den Quotendruck hatte ich zuvor bei RTL auch, ich lebe schon mein halbes Leben damit.“
Seine eigenen Sendungen schaut sich Lanz übrigens fast nie an: „Ich ertrage es zum einen nur schwer, mich selbst zu sehen. Zum anderen will ich nicht anfangen, mich zu kontrollieren und – als Folge davon – zu verstellen.“ Das Problem sei aber seine Mutter: „Die sagt mir dann: Du hast schon wieder viel zu sehr die Stirn gekräuselt. Ich sage dann immer: Mama, das ist doch total egal.“