Hamburg. Viele Hamburger Eltern finden keine Kita-Betreuung für ihren Nachwuchs. Zahl der Suchverfahren hat sich verzehnfacht.

Dass sie sich nicht bemüht hätte, kann man Anna Fuchs* wahrlich nicht vorwerfen. Kaum dass sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, hatte sie begonnen, vorsorglich einen Kita-Platz für ihren Sohn zu suchen. Das war Anfang 2017, und der Plan war, dass sie im August 2018, rund ein Jahr nach der Geburt, in ihren Job in der Medienbranche zurückkehrt und ihr Mann Urlaub nimmt, um die Eingewöhnung in der Kita zu übernehmen.

Doch es kam alles anders. Denn mehr als ein Jahr später, nach Bewerbungen bei acht Kitas im Raum Eimsbüttel und etlichen persönlichen Besuchen in den Einrichtungen, hatte Anna Fuchs immer noch keinen Platz. „Tut uns leid, wir haben nichts frei“, war die Standardantwort. Eine Kita-Leiterin zeigte ihr einen Ordner: eine Warteliste mit 200 Namen drauf. Dass sie „maximale Flexibilität“ gezeigt habe, etwa bei den Betreuungszeiten, habe ihr auch nicht geholfen, sagt die junge Mutter.

Kita-System ausgebaut

Erst im Juni 2018, nach knapp eineinhalb Jahren Suche, kam dann doch noch eine Zusage – für Oktober. Die Folgen: Die Rückkehr in den Job muss verschoben werden, die in der Regel mehrwöchige Eingewöhnung muss neu organisiert werden. „Das ist alles ziemlich nervig und anstrengend“, sagte Anna Fuchs. Die Wunschkita für ihren Sohn hat sie natürlich auch nicht bekommen, aber das sei schon okay. Hauptsache, überhaupt einen Kitaplatz.

Man glaubt kaum, dass diese Geschichte in Hamburg spielt. Wie kein anderes Bundesland hat die Hansestadt das Kita-System ausgebaut, hat die Gebühren für das fünfstündige Grundangebot abgeschafft, investiert bald eine Milliarde Euro jährlich in die Betreuung und hat mit fast 100 Prozent im Elementarbereich (drei bis sechs Jahre) und knapp 50 Prozent im Krippenalter (unter drei Jahre) die höchsten Betreuungsquoten in Westdeutschland. Und doch – oder auch gerade deswegen – sind Geschichten wie die von Anna Fuchs beileibe keine Seltenheit.

„Not der Eltern wird verschleiert“

In Harburg etwa berichteten etliche Eltern dem Abendblatt, dass sie zum Teil zwei Jahre auf einen Kita-Platz warten mussten. Jüngstes Indiz für einen Mangel: Die Zahl der „Platznachweisverfahren“, mit denen die Bezirksämter einen Platz für diejenigen Eltern suchen, die keine Kita gefunden haben, ist massiv gestiegen: von sechs im Jahr 2015 über 13 (2016) auf 129 (2017). Im ersten Halbjahr 2018 gab es sogar schon 94 Verfahren. Das geht aus den Antworten des Senats auf eine Kleine Anfrage des FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Daniel Oetzel hervor.

„Die Zahl der Platznachweisverfahren hat sich von 2016 bis 2017 verzehnfacht. In diesem Jahr ist von weiteren Steigerungen auszugehen“, stellt der Familienpolitiker fest. Dennoch weigere sich der Senat, den tatsächlichen Bedarf für Kita-Plätze zentral zu ermitteln: „Dadurch wird die unzweifelhafte Not der Eltern verschleiert“, so Oetzel.

Sozialbehörde kommt ins Grübeln

Dazu muss man wissen: Seit 2003 erhalten alle Eltern, die das wünschen, einen Kita-Gutschein und dürfen dann selbst eine Kita aussuchen. Der Rechtsanspruch gilt mittlerweile schon für einjährige Kinder. Das Angebot regeln die Träger der Einrichtungen im Wettbewerb zueinander. Dieser Paradigmenwechsel, weg von der zentralen Steuerung durch die Stadt, hin zum freien Spiel des Marktes, hat nach Meinung vieler Experten lange gut funktioniert – der erfolgreiche Ausbau spricht für sich.

Doch mittlerweile kommt man selbst in der Sozialbehörde ins Grübeln. „Auch wir sehen in den Nachweisverfahren einen Indiz für regionale Engpässe“, sagt Sprecher Marcel Schweitzer. „Deshalb werden wir uns genauer mit den Planungen und Bedarfen beschäftigen.“ Soll heißen: Eventuell ist doch wieder etwas mehr zentrale Steuerung erforderlich. Der Anspruch des Senats in der Kita-Politik sei hoch: Schweitzer: „Wir wollen den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung gut erfüllen.“

Kita-Betreiber sehen Handlungsbedarf

Auch die Kita-Betreiber sehen Handlungsbedarf. „In unseren Einrichtungen ist es grundsätzlich so, dass Wartelisten geführt werden und wir nicht alle Ansprüche befriedigen können“, sagt Hartmut Duwensee, Geschäftsführer der Kinder- und Jugendhilfe gGmbH des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Hamburg. Die 16 Kitas, in denen rund 3500 Kinder betreut werden, seien alle zu 100 Prozent ausgelastet. Engpässe gebe es vor allem im Krippenbereich und regional, etwa in Eimsbüttel. Statt einer Rückkehr zur zentralen Steuerung hält Duwensee es für wichtiger, die Bauprüfung in den Bezirken zu beschleunigen, damit neue Kitas schneller realisiert werden können. In Rahlstedt etwa warte das DRK seit zehn Monaten auf eine Baugenehmigung.

Solche Probleme kennt auch Leila Moysich. „Außer Frage, in Hamburg gibt es einen Kita-Platzmangel“, sagt die Geschäftsführerin des Trägers SterniPark. Der wirbt zwar noch mit freien Plätzen in seinen 19 Kitas (2000 Kinder), aber die Lage sei regional sehr unterschiedlich, sagt Moysich. Teile von Harburg seien geradezu „Notstandsgebiet“, Wandsbek auch sehr angespannt, in Altona dagegen sei die Versorgung gut.

Grundstücke fehlen

Etwas mehr punktuelle Steuerung durch die Stadt wünsche sie sich schon, sagt Moysich. So werde bei großen Neubauvorhaben oft den Investoren überlassen, für eine Kita zu sorgen, anstatt dass die Stadt das im Zusammenspiel mit den Trägern in die Hand nehme. Auch bei dem städtischen Träger Elbkinder (185 Kitas/28.000 Kinder) kann man sich über mangelnde Nachfrage nicht beschweren: „Besonders in den ,nachgefragten‘ Stadtteilen wie Eimsbüttel und Altona ist es für die Eltern schwieriger, einen Kita-Platz zu finden – vor allem in ihrer Wunsch-kita“, sagt Geschäftsführerin Katja Nienaber­.

„In diesen Stadtteilen neue Kitas zu eröffnen ist für alle Träger schwer, da geeignete Objekte und Grundstücke fehlen.“ Wartelisten führe man bei den Elbkindern aber nicht, sagt Nienaber. „Wir nehmen Interessenten auf, die dann bei Freiwerden eines Platzes angefragt werden, ob sie weiterhin an dem Platz Interesse haben.“ So handhaben es die meisten anderen auch – sie nennen das dann aber Wartelisten.

* Name geändert